.

Donnerstag, 8. November 2007

Bildbetrachtung




Bildbetrachtung




 Bildquelle: Andreas Dengs  / pixelio.de / Nr. 568781





Zuerst, liebe Freundin, ganz herzlichen Dank für deine elektronische Postkarte.
Sicher hast du ganz besonders sorgfältig, genau dieses sinnige Bild - mit dem aufgeschlagenen Buch auf einem kleinen Tischchen und der darauf abgelegten Lesebrille - für mich ausgewählt. Damit hast du, vermutlich wie beabsichtigt, meine Sehnsucht berührt. Denn als ich dieses Bild betrachtet habe, wurde mir warm ums Herz und meine Stimmung wurde für einen Moment besonders hoffnungsvoll, ja, fast feierlich. Weisst du auch warum?
Ich habe beim Betrachten, auf dem Bild noch viel mehr als die drei Elemente gesehen, die darauf abgebildet sind.
So sehe ich rechts neben dem Tisch mit der aufgeschlagenen Lektüre, einen Mann - etwas älter als ich - in einem ganz bequemen Stuhl sitzen. Ich vermute, dass er seit einiger Zeit im Buch gelesen hat. Dazu hat er ja nun nicht mehr viel Zeit, denn er weiss, dass seine Zeit bereits nahezu abgelaufen ist.
Im Hintergrund zählt das gleichmässige Ticken einer alten Standuhr unerbittlich die letzten Sekunden eines Lebens ab, während rechts von ihm ein grosses Holzscheit im offenen Kamin knistert und wohlige Wärme spendet. In seiner Front befindet sich ein grosses Fenster. Er hat die feinen Vorhänge zur Seite gezogen, damit die letzten spätherbstlichen Sonnenstrahlen sein entspanntes, ebenmässiges Gesicht noch etwas wärmen können. Seine ausgeprägten Gesichtszüge spiegeln die schicksalhafte Vergangenheit und die tiefblauen, warmen Augen ruhen mit einer gereiften Gelassenheit auf seinem besten Freund - der bereits kahlen, grossen Eiche - die mitten im abgeernteten Feld auf dem Hügel vor seinem Fenster steht. Ihre nackten, schwarzen Äste zeigen wir Mahnfinger in den blauen Himmel, und sie warten, im Gegensatz zu ihm, darauf, dass ihr Leben - dem Kreislauf der Natur entsprechend - in wenigen Monaten wieder aus dem Winterschlaf erwacht und weitergeht.
Der Mann, im ruhig stehenden Schaukelstuhl, trägt ein kariertes Hemd aus verschiedenem Blau und darüber eine halboffene, grauen Strickjacke. In der Hand hält er gedankenverloren eine Tasse Kaffee aus der er vorhin, einen kleinen Schluck genommen hatte, während seine Nase gleichzeitig das würzige Aroma einzog. Er wunderte sich dabei wie schon oft, dass ihm dieser aromatische Duft - auch nach so vielen Jahren und tausenden von Tassen - immer noch einen kurzen Moment der Glücks bescheren konnte.
Der Holztisch, auf dem nun das Buch liegt, ist mit einem naturfarbenen Tuch aus grober Leine bedeckt. Das Tischtuch ist mit mittelgrossen Quadraten bedruckt, in deren Mitte abwechselnd die Sonne, der Mond, Sterne oder Teile des Himmels dargestellt sind.
Genau dieser Bezug zum Unvergänglichen - der Erde, der Gestirne, der unendlichen Weite des blauen Himmels mit seinen wiederkehrenden Gesetzmässigkeiten, hat ihn angesprochen und bewogen, gerade heute dieses Tischtuch zu wählen.
Vielleicht zufälligerweise, passt es auch genau zum Inhalt, des aufgeschlagenen Buches, das er für diesen Moment zusammen mit seiner Lesebrille zur Seite gelegt hat, damit er über das soeben Gelesene nachdenken kann. Denn, nachdem er nun fast die Hälfte durchgelesen hat, weiss er, dass es sich dabei um ein sehr gutes und weises Werk handelt. Er ist sich sogar sicher, dass es für ihn das wertvollste und wichtigste Buch ist, das er je in die Hand genommen hat und er nun endlich gefunden hat, wonach er all die Jahre in hunderten von Büchern gesucht hatte...........


:-¦

3 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Das habe ich doch irgendwo schon einmal gelesen?!
Grüessli...

Herr Oter hat gesagt…

Als Absender der Postkarte kennst du diesen Text, natürlich. Findest du nicht auch, dass sich die Überarbeitung für diesen Blog gelohnt hat?
Ciao bella

Anonym hat gesagt…

Finde ich! schön dass meine Postkarten so gut bei dir ankommen :-)