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Freitag, 16. November 2007

Ein ganz normaler Lebenslauf



Ein ganz normaler Lebenslauf



Wie schnell doch die Zeit vergeht!
Erst noch hiess es: Komm schon endlich!
Ich will nicht - stelle mich quer - nützt nichts! Steisslage - Geburtszange - erster Schrei und ich werde erst blau - dann gelb.

Wohl behütete Kindheit - mit zwei Brüdern - reizendes Bündner Dörfchen mit mildem Klima.
Schulanfang. Ich will nicht - stelle mich quer - nützt nichts! Lehrerin Rietberger - älteres Fräulein in der Bündnertracht. Er ist ein Träumer - und das Bett am Morgen ist noch immer nicht trocken. Ich will - aber ich kann nicht. Ich schäme mich!
Stallbesuche statt Schule. Lehrer Heldstab: Leider kann er nicht in die Fünfte versetzt werden. Er stellt sich quer - hält sich nicht an Linien - eine Zwei im Schreiben. Elternschelte
Als wäre es gestern gewesen.

Freund Werner - Alpsommer - und Ludmilla aus Russland, die Frau des Bauern, pure Weiblichkeit im Kuhstall.
Ich will Senn werden!
Giacomo der Italiener und Christian mit vielen Warzen. Ein Querkopf mit zwei Aussenseitern - die besten Freunde.
Schwesterchen trifft ein. Stolzer Papa, stolze Brüder - endlich ein Mädchen.

Lehrer Nold in der Fünften spielt Geige - interessante Charakterschrift, meint er - ja, der versteht mich - nun geht’s bergauf, in die Sekundarschule.
Schulschatz Rosi und der junge Tunichtgut. Keine Angst - nichts passiert!

Sommerlager - Renate - keine Liebe, aber neue Erfahrung: Komm mit, ich zeig dir was - was macht sie da? - oh schön! Als wäre es gestern gewesen.

Statt Senn - zum Koch. Mit Roland, dem Casanova - meinem Stiffti-Kumpan. Lernen in der Küche und in der Liebe: Vreni - arbeitet am Buffet und schläft bei mir, monatelang. Experimente - Versuche. Hoffentlich nichts passiert dabei. Aber immer alles gut gegangen - aufgepasst.
Warum hast du das gemacht, Bruder? Ich hasse dich!
Liebeskummer - aber nicht für lange - Trost bei Heidi, Vreni 2, Marina - der Zigeunerin und … die Übrigen habe ich vergessen. Ich nenne das Erfahrungen sammeln. Denke dankbar an euch alle.
Ende gut - Lehre gut - auch wenn's für einen Querkopf manchmal hart war.

Neuer Lebensabschnitt: Luzern - Hotelfachschule. Frühstück in der Pizzeria: Wie heisst du? La Perla.
Ich liebe dich!
Als wäre es gestern gewesen.
Rekrutenschule.
Kommst du im Sommer mit nach London? Ja, ich will.
Sechs Monate Studentenleben und erfolgreich Englisch lernen in der Acht-Millionen-Stadt. La Perla hat Heimweh - ich einen neuen Kurs im Januar.
Probleme im Französisch - Verzweiflung - einsamer Entscheid - Kursabbruch - dummer Querkopf.
Kommst du mit nach Neuenburg? Ja, ich will. Acht Monate lang Deutsch gesprochen. Nichts gebracht. Zurück nach Luzern. Marianne - die Kochkünstlerin - ich ihr Küchenchef. Fast zwei Jahre Prominentenluft schnuppern - der Raben aber, ist eine Nummer zu gross für mich.
Aber eins steht fest: mit Dreissig will ich mein eigenes Lokal haben!

Und ich will, nach sechs Jahren, nun endlich heiraten!" - "gut, willst du meine Frau werden?"
Herr Oter willst du La Perla zur Frau nehmen? - Ja, ich will.
La Perla willst du Herr Oter zum Ehemann? Ja, ich will.
War das nicht erst gestern?

Minigolf als Turniersport. Fast vier Jahre vergehen.
Ihr Bauch wird rund - das Gesicht mütterlich und ich nervös. Komplikationen während der Geburt - will der etwa auch nicht? Kaiserschnitt. Glück gehabt - Gott sei Dank! Wir sind eine Familie.
Die Frau wird zur Mutter und ich stolzer Vater. Ist er nicht süss?
Er ist der Schönste! der Liebste! der Beste! Hoppe, Hoppe Reiter …
Wie heisst er denn? Er wird sich später Tschügge nennen.
Kaum zu glauben, das war vor 23 Jahren.

Eigener Betrieb - Willst du? - Ja, ich will.
Sehr geehrte Familie Iten. Wir würden gerne ihr Hotel mieten.
Der Start für die nächsten fünf Jahre erfolgt vier Tage nach dem dreissigsten Geburtstag.
Harte Arbeit - lange Stunden - kaum Freizeit - grossen Erfolg. Zum Glück gibt es Maruschk’a und Sepp als Kindermädchen, Ersatz-Grosseltern, moralische Stütze und zusammen mit Margrith und Moritz, die besten Freunde.

La Perla hat keine Nierenbeckenentzündung, sondern eine geplatzte Eileiterschwangerschaft. Der Tod sagt an einem Sonntagmorgen „Hallo, ich komme“.
Viel zu früh! Hau ab!
Glück gehabt - Gott sei Dank.
Nächste Versuche und endlich ist es irgendwann doch noch soweit. Er kommt problemlos mit Kaiserschnitt. Familienzuwachs - glückliche Eltern.
Ist er nicht süss?
Er ist der Schönste! der Liebste! der Beste! Hoppe, Hoppe Reiter …
Wie heisst er denn? Er wird sich später Flexi nennen.
War das gestern oder vor neunzehn Jahren?

Zehn Monate Auszeit im Tessin. Herrliche Erholung.
Neues Restaurant suchen. „Zu alt, zu gross, zu teuer“.
Gefunden! Gekauft. Es heisst „Traube“.
Willst du - ja ich will - unter Bedingungen.
Vierzehn Jahre - Stress, Ärger, Freude - Kinder, Gäste, Mitarbeiter - führen, kochen, servieren, putzen, Geld verdienen.
Wo bleibt die Zeit für unsere Beziehung? Ich liebe dich! - Liebst du mich auch?
Du bist ein Ekel, pedantisch, du gehst mir auf die Nerven, du bist ein Querkopf!
Entschuldigung, ich hab nichts gemerkt - nichts verstanden - nichts gelernt.
Es wird besser - alles wird gut. Liebst du mich noch?
Die Haare grauen an den Schläfen. Ich träume vom Aufhören mit 52, vom Reisen, vom Sozialjahr, von der Alp, vom Kloster, vom Schreiben und Zeichnen. Doch Träume sind Schäume.

Es gibt da einen..., du kennst ihn...., er ist dein Freund..., es ist so schön mit ihm.
Willst du mich noch? - Nein, ich will nicht mehr.
Aber ich liebe dich! - ich brauche dich!! Bitte verlass mich nicht!!!

Ich will das nicht - ich kann das nicht - ich stelle mich quer - es nützt nichts.
Drei dunkle Jahre, Streit, Vorwürfe, Kränkungen, Entschuldigungen, Trauer, Burn-out, Depression.

Mein Papi wir krank. Keine Sorge, ich schau zu ihr - ist ja mein Mami. Papi's Beerdigung.
Ciao, lieber Vater und Danke.

Ich kann nicht mehr - ich will nicht mehr - ich werde mich….. . Nein, die Kinder!
Der Tiefpunkt ist erreicht. Nun kann’s nur noch aufwärts gehen.

Kurze Abwechslung mit Bernadette. „Entschuldigung, ich habe mich getäuscht.“
Traube verkauft - Ausgestritten - faire Scheidung - endlich alles vorbei.
Machs gut, La Perla - du hast mir viel gegeben in den letzten dreissig Jahren.
DANKE für alles.
Wie schnell die Zeit vergeht. Ich bin 49 und statistisch sind nun zwei Drittel vorbei.
War's das nun?

Zum ersten Mal eine eigene Wohnung. Einsame Tage - Abende - Nächte. Heimweh - was machen meine Buben.
Und was machst du nun? Leben, lesen und viel Zeit haben.


Hallo ich bin Nina-Sue. Wenn du willst - ich bin für dich da.
Fast vierhundert Mails gehen hin und her. Plaudern im Internet, später am Telefon.
Treffen mit dem Sonnenschein auf dem Hirzel.
Ich liebe dich - ich liebe dich auch.
Ab jetzt nenne ich dich Sun - mein Sonnenschein. Ich glaube, du wirst das Glanzlicht meiner späten Jahre. Ich habe Sehnsucht nach dir - wann sehen wir uns wieder?

Meinem Mami geht’s nicht gut. Sie vergisst alles, findet sich immer weniger zurecht. Diagnose: Alzheimer.
Jedes zweite Wochenende ins Tessin.
Was machst du eigentlich? Leben, lesen, lieben, schreiben, Mami betreuen und immer weniger Zeit haben.

Wir sehen uns zu wenig - soll ich zu dir ziehen? Willst du es mit mir versuchen?
Es wird nicht einfach - denn ich bin nicht einfach - ich bin ein Querkopf.
Glück gehabt - kleine Wohnung nebenan wird gerade frei. Neue Leute, neue Freuden, neue Gegend, neue Wege, neue Hügel, neue Hürden - aber auch zwei neue Kinder, Peti und Brösmeli, die ich lieb bekomme - und auch deren Hund.

Mami muss ins Pflegeheim.
Sie zieht sich in ihre innere Welt zurück, sie hat ausgeredet, sie kennt mich nicht mehr. Und trotzdem ist sie meine Mutter. Ich liebe dich - du hattest es nicht immer leicht mit mir - deinem Sorgenkind, diesem Querkopf.

Nach zwei Jahren ziehen Sun und ich zusammen. Fast eine neue Familie. Liebst du mich - ich liebe dich.

Und immer schneller verrinnt die Zeit, verkalken meine Blutbahnen, lässt mein Gedächtnis nach, sehen meine Augen schlechter und hören meine Ohren weniger.
Alles fliesst, sagt Heraklit. Auch der Quarz in der Sanduhr.

Mich nimmt Wunder, was du eigentlich den ganzen Tag machst!
Leben, lieben, lesen, laufen, schreiben, denken, träumen, hoffen, philosophieren und - Hausarbeit. Ich will und ich kann.

Und was schreibst du eigentlich?
Einen ganz normalen Lebenslauf.

:-¦




Aktualisierung (September 2011)

Mami ist leider nicht mehr hier - Sun ist nach wie vor bei mir - auch sonst hat sich nicht viel verändert, ausser: noch schneller verrinnt die Zeit, verkalken meine Blutbahnen, lässt mein Gedächtnis nach, sehen meine Augen schlechter - nur meine Ohren hören jetzt wieder viel besser und mein Blog hat um ca. 170 Post's vergrössert.

Alles fliesst, sagt Heraklit. Auch der Quarz in der Sanduhr des Lebens.

Euch nimmt Wunder, was ich eigentlich den ganzen Tag mache? Leben, lieben, lesen, laufen und manchmal auch Bücher verkaufen, schreiben, denken, träumen, lenken, hoffen, philosophieren und - nach wie vor Hausarbeit.
Ich will und ich kann, mehr denn je.

Und was schreibe ich?
Noch immer an einem ganz normalen Lebenslauf. 


©® Copyright by Herr Oter


:-))

6 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Mir ist als wäre das alles gestern gewesen. dein Lebenslauf taucht auch in meinem auf. - ein bischen musste ich dabei weinen...

Anonym hat gesagt…

Jede Begegnung,
die unsere Seele berührt
hinterlässt in uns eine Spur,
die nie ganz verweht!

Ich bin froh und glücklich, dass ich mich in deinen Lebenslauf "einspuren" darf.....

Anonym hat gesagt…

Ich bin ruhig, sage nichts mehr. Muss zuerst verdauen, was du geschriben hast.
Habe Bauchschmerzen, ist nicht einfach das zu verdauen.
Kennst du das? Die Bauchschmerzen, von jenem, was nicht leicht zu verdauen ist?
Die unzähligen Tassen Tee, welche du getrunken hast, für die Verdauung.
Bei dem Tee bist du geblieben, aber nicht der Verdauung wegen.
Sollte ich auch Tee trinken?

Herr Oter hat gesagt…

Lebenswege - so unterschiedlich sie auch sind - berühren sie sich ab und zu. Manchmal kreuzen sie sich nur kurz, andere folgen für einige Zeit der gleichen Richtung und wenige haben das Glück ein grösseres Stück des Weges miteinander zu teilen. Jede Begegnung, und ist sie noch so kurz, ist wertvoll, eine Bereicherung für alle. Doch je länger man zusammen unterwegs ist, desto schwerer fällt es, wenn sich die Wege wieder trennen. Doch man verliert sich nie mehr ganz, denn immer bleibt ein Stück im Herzen zurück.

Speziell für „einen von meinen“:
Ich weiss, von was Du schreibst und ich weiss, wie schmerzhaft Bauchweh sein kann. Tee trinken ist immer gut - aber frühzeitig und oft darüber sprechen ist viel besser. Denk dran, ich bin immer für Dich da!

Speziell für „spirit of emotions“:
Du hast bei mir nicht nur eine schöne Spur in meiner Seele hinterlassen, Du hast dich tief in meinem Herzen eingegraben. Für Deine liebevolle Begleitung danke ich dir mit ganzem Herzen.

Last but not least, speziell für „the o. & o.“:
Es tut mir leid, dass ich dich etwas zum Weinen brachte. Zum Glück konnten wir uns manchmal gegenseitig stützen, wenn der Weg beschwerlich war. Danke, dass du mich so oft gestossen und gezogen hast.

Anonym hat gesagt…

Mag ehrliche Lebensläufe, leider verjährt

Herr Oter hat gesagt…

Können Lebensläufe verjähren?

Ich vermute, Sie hätten gerne eine Aktualisierung?

Mami ist leider nicht mehr hier - Sun ist nach wie vor bei mir - auch sonst hat sich nicht viel verändert, ausser: noch schneller verrinnt die Zeit, verkalken meine Blutbahnen, lässt mein Gedächtnis nach, sehen meine Augen schlechter - nur meine Ohren hören jetzt wieder viel besser und mein Blog hat um ca. 170 Post's vergrössert.

Alles fliesst, sagt Heraklit. Auch der Quarz in der Sanduhr des Lebens.

Sie nimmt Wunder, was ich eigentlich den ganzen Tag mache? Leben, lieben, lesen, laufen und manchmal auch Bücher verkaufen, schreiben, denken, träumen, lenken, hoffen, philosophieren und - nach wie vor Hausarbeit.
Ich will und ich kann, mehr denn je.

Und was schreibe ich?
Noch immer an einem ganz normalen Lebenslauf.

(September 2011)