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Sonntag, 2. Dezember 2007



"Lebenserfahrung"


Gedankenverloren hebt und senkt er das Teeei im Wasserglas.
Rote dünne Schlieren entströmen den feinen Löchern und schweben, wie purpurne Nebelschwaden im Abendrot oder wie zerfliessende Blutstropfen im Wasser. Und mit jeder Bewegung werden es mehr - mehr Schlieren, mehr Schwaden, mehr Blutrot und mehr Gedanken. Dabei verdichten sich die Schwaden zu Tee, die Gedanken zu Sorgen und bald beherrschen beide ihre Elemente: Die rote Farbe trübt das Teewasser und die Sorgen trüben seinen Geist.
Wie auf einer zweiten, parallelen Ebene lenken ihn diese dunklen Gedanken immer mehr ab. Dabei hüpfen sie im Sekundentakt pausenlos und endlos von einem Problem zum nächsten. Wie einer Aufstellung folgend, springen sie von einem Punkt zum anderen, die Liste hinunter und wieder hinauf und gleichzeitig drehen sie sich unablässig im Kreis.
In seinem Hinterkopf fordern die offenen Fragen ständig nach Antworten. Doch als hätten sie sich ineinander verheddert, zieht eine Fragestellung gleich die Nächste mit sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Alles scheint verkettet, verknüpft und ineinander verhackt. So sind viele kleine Knoten zu einem grossen, schweren Knäuel aufgewickelt, ohne Anfang oder Ende.
Er sieht sich ausserstande, dieses Gewirr zu entflechten, um dann die einzelnen Knoten zu lösen. Im Gegenteil, je mehr er daran zerrt, umso mehr zieht sich alles zusammen. Dazu leidet er unter laufend abnehmender Motivation und ständig zunehmenden Antriebsschwierigkeiten.
Das macht ihm Angst und diese Angst schnürt seine Kehle zu. Sie hockt ihm im Nacken, wie eine rasch grösser werdende Kröte, die sich nicht mehr abschütteln lässt und ihn zu Boden drücken droht.
Ja, er hat Angst. Grosse Angst vor allem und jedem - aber gleichzeitig verkauft er seine Angst gerne andern als Klugheit, Wissen und Erkenntnisse, die man durch Beobachten und Nachdenken erwerben kann.
Das beschreibt er dann gerne, seinem Alter entsprechend, als Lebenserfahrung.


:-¦

1 Kommentar :

Anonym hat gesagt…

Scheint mir einer deiner Kellertage zu sein. Kopf hoch! Keller sind Grundwasser gefährdet! und du weisst doch wenn einem das Wasser schon bis zum Halse steht sollte man nicht noch den Kopf hängen lassen!!! :-)