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Donnerstag, 2. Mai 2013

London-Erinnerung I






Natürlich waren sie ständig wieder da – die Erinnerungen und Bilder von damals. 
 
London 1976

Gerade mal zwanzig Jahre alt, wohnte ich zusammen mit La Perla, während gut sechs Monaten in dieser 8 Millionen Metropole. Eine recht abenteuerliche Zeit für zwei, die in kleinen Bergdörfern aufgewachsen waren.

Wunderliches und „Aufregendes“ fanden wir dort vor. Schuhe mit 15 cm hohen Absätzen und Hot Pants, deren ausgefranste Ränder die Gesäßbacken auch nicht richtig zu bedecken vermochten. Die aufkommenden Punks mit ihren Sicherheits-Nadeln in den Wangen und dann wir sahen die ersten „skandalösen“ Auftritte der „Sex Pistols“, einer Punkband, die mit ihren „obszönen“ Auftritten sogar die Engländer schockierten.
Deswegen sah ich, mit meinem schulterlangen Haar und dem dort „veralteten“ Hippie-Style, neben den aktuellen Punks mit ihrem rot-grünen Kamm zwischen zwei glatt rasierten Kopfhälften und den „genagelten“ Lederjacken, bereits damals schon – „sehr alt“ aus.

Doch 37 Jahre später, bei meinem letzten Londonbesuch vor ein paar Wochen, war ich wieder voll dabei.
Denn auf dem „Piccadilly Circus“, dem Platz der Welt-Jugend von damals, sassen nun vor allem Touristen in meinem Alter um den altehrwürdigen Erosbrunnen herum. Dabei schwelgten sie, mit einer kleinen Träne im Auge, im vergangenen Spirit von damals, denn der Platz hat nach dem Umbau vor ein paar Jahren, jegliches Flair verloren. Auch in der „Carnaby Street“ – mit dem früheren Charme seiner kleinen Designer-Boutiquen, in deren Schaufenstern damals die verrücktesten Kleider und ausgefallensten Schuhe der Welt zu bestaunen waren – mussten inzwischen alle von damals, mit einer Ausnahme, dem Einerlei der mondänen Verkaufsstellen grosser Labels, mit ihren überteuerten und überall gleichen Auslagen, weichen.
Nur an den beiden Enden der heutigen Touristenstrasse trotzen – Grenadier Guards“ gleich – das Pub „Shakespeares Head“ und das altehrwürdige Kaufhaus „Liberty’s“, noch immer der modernen Zeit.
Aber auch am Hyde Park Corner tut kaum noch jemand engagiert und vehement wie damals, seine freie Meinung kund, denn vermutlich haben Twitter und Co, die schmalen Rednerpulte inzwischen endgültig abgelöst. Aber ob das „Gezwitscher“ genau so lustig ist......?

Man darf sich sicher etwas den „wehmütig“ Erinnerungen hingeben, aber natürlich kann man nicht vergleichen. Denn überall hat sich im Laufe der Jahre ja vieles verändert und oft doch auch zum Guten.
So sind die Londoner allgemein viel, viel freundlicher geworden und die Sauberkeit auf den Strassen, Plätzen und Parks hat sich sehr stark verbessert. Verwahrloste, „Drögeler“ und Bettler sieht man kaum noch und aufdringliche Strassenhändler, wie es sie in Rom zuhauf gibt, hat es keine. Die damals verhassten und unterprivilegierten „Schwarzen“ sind heute völlig integriert und akzeptiert und in jeder Position anzutreffen.
Auch die typischen, schwarzen Taxis haben sich der Zeit etwas angepasst und manche sind origineller und farbiger geworden – gerade die haben mir zum Teil besonders gefallen. Die jungen Leute sind inzwischen zwar zu anderen Treffpunkten der Welt weitergezogen, aber erstaunlich viele alte, bereits totgesagte, rote Telefonkabinen stehen noch immer dort.
Das weltbekannte „Mind the gap“ gehört auch nicht mehr typischerweise zur Geräuschkulisse jeder Underground-Station – genauso wie der schwarze Regenschirm nicht mehr zwingend zu jedem Londoner gehört. Dafür ist nun jede Tube-Station der grössten und ältesten U-Bahn der Welt sauber, hell und freundlich. Die modernen Busse sind aber noch immer rot, nur haben sie nun auch, wie überall auf der Welt, einen Ein- und einen Ausstieg mit automatischen Türen, die verhindern, dass man beim Rotlicht oder bei langsamer Fahrt spontan Aus- oder Einsteigen kann – denn warum sollten die (nicht mehr) so „versnobten“ Londoner da noch eine Ausnahme machen. Dafür sind die Busse jetzt moderner, leiser, umweltfreundlicher und fahren auch für die Fahrgäste etwas „schonender“.




Und doch, den legendären, roten Doppeldecker-Bus, the Routemaster, mit dem einen, türlosen, hinteren Einstieg und dem dort angebrachten, auffällig knallgelben Haltegriff-Stange, habe ich dennoch gefunden. Denn er knattert noch immer zu laut, aber zuverlässig auf zwei bestimmten „Heritage Routen“ von Haltestelle zu Haltestelle und wirft mit seinem harten Gangwechsel und den abrupten Bremsmanövern, wie früher, die illusteren Fahrgäste beinahe von den Sitzbänken. Doch man darf noch immer zu- und aussteigen, wann man will und das habe ich natürlich mit heller Freude auch mehrmals getan.
Nur, statt der oft etwas älteren, schwarzen, meist „gewichtigen“ Frau mit dem typisch „losen“ Mundwerk der damaligen „Bus conductors“, begrüsst einem heutzutage eine junge, zierliche, hellhäutige „customer hosts“ mit einem freundlichen Lächeln und ohne die gelächterheischenden Sprüche. Doch auch die alte Schaffnertasche mit dem „Coin dispenser“ – hierzulande nennt man sie Münzwechsler oder auch Galoppwechsler und mit dem typischen „klack-klack-klack“ des Hebelmechanismus allen Älteren vertraut – musste der modernen, elektronischen „Oyster card“ endgültig Platz machen. 



Conductor´s bag with a coin dispenser 
(Schaffnertasche mit Münzmagazin, umgangssprachlich Galoppwechsler)
Bild-Lizens by: LosHawlos / Bild-Quelle: Wikimedia Commons

 
Aber noch mehr vermisst habe ich das vertraute „Fares please, enoyne fair please“ des Kondukteurs, das er früher nach jedem Halt einige Mal durch den Wagen gerufen hat und damit die Fahrgäste aufforderte, den Fahrpreis ohne zu schummeln zu bezahlen.
Genau so verstummt ist auch das „Gling“ für den nächsten Halt oder das „Gling-Gling“, mit dem die Bussführerin dem Fahrer Bescheid zur Abfahrt gab. Das Seil durch den Bus ist zwar noch vorhanden, aber es wird nun mittels Knopfdruck ein optisches Signal zum Fahrer gegeben. Auch die alten, oft undichten Kurbelfenster wurden durch Klappfenster ersetzt – doch kurz vor der Endstation kommt noch immer der „conductor“ im Oberdeck nach vorne und kurbelt an der Anzeige die neue Endhaltestelle nach oben.

Trotz all diesen Veränderungen, bin ich gerne über eine Stunde lang im legendären Londoner-Bus auf der Heritage Route 15 gefahren. Vorbei an vielen alten Sehenswürdigkeiten und modernsten Wolkenkratzern, aber in Gedanken doch oft Jahrzehnte zurück. So kam mir beispielsweise wieder in den Sinn, als wir mit unserer betagten Landlady gemeinsam den Portobello-Road-Market besuchten. Ein seltenes Erlebnis der besonderen Art, aber davon erzähle ich mehr ein anders Mal.




;)

4 Kommentare :

rotzloeffel hat gesagt…

Ja, solche "Zeitreisen" sind schön. Ich hab nur nicht so schöne Ziele.^^ Nun bin ich aber auch etwas jünger und noch dazu in der DDR aufgewachsen. London war da eher ein unerfüllbarer Traum. Und nach Deinen Erzählungen, möchte ich ihn lieber auch so lassen. Ich hätte gerne diesen "alten Charme" der Stadt aus den 70-ern erlebt. Und mit diesem schönen roten Doppeldeckerbus wär ich auch gern den ganzen Tag dort rumgefahren. ;-)

Ich hab meine "Zeitreise" mal in mein Heimatstadtteil gemacht, 20 Jahre später. Und es waren alle Erlebnisse sofort wieder da, trotz der vielen baulichen Veränderungen.
Ist das nun ein Zeichen dafür, das man alt wird? Denkt man mit 20 auch so gern an vergangene Zeiten?

LG Rotzlöffel

Herr Oter hat gesagt…

Zeitreisen und Erinnerungen, liebes Rotzlöffelchen, sind vielleicht eher ein Wesenszug, als eine Altersfrage.

Manche, auch junge Leute, entsinnen sich oft und bei jeder Gelegenheit an früher, erinnern sich an Erlebnisse und erzählen Anekdoten. Sind es vielleicht dieselben, die auch etwas schwerer "loslassen" können?

Aber es ist aus meiner Sicht auch logisch, dass sich ältere Leute eher mit der Vergangenheit beschäftigen, weil sie ja auch schon sehr viel erlebt und erfahren haben und vielleicht auch einiges verarbeiten müssen.

Zudem will man vielleicht gerade Jüngeren gegenüber auch zeigen, dass man auch mal jung, unbeschwerter und unternehmungslustiger war.

Und noch eine letzte Vermutung:
Bei einigen "Alten" war die Vergangenheit vielleicht auch viel spannender als die Gegenwart und dann "lebt" man halt von seinen Erinnerungen.

Ich bin jedoch auch überzeugt davon, dass ein erfülltes Leben überhaupt nicht davon abhängt, wie weit man in seinem Leben herum gekommen ist. Auch wenn man das heutzutage bei einigen, manchmal meinen könnte.

Nun wünsche ich Dir einen ganz erholsamen Sonntag mit vielen tollen Erlebnissen oder schönen Erinnerungen.

Liebe Grüsse
Resunad

Anonym hat gesagt…

Lieber Herr Oter

Ist diese Aussage wirklich eine Vermutung oder doch eher eine Feststellung?

(Bei einigen "Alten" war die Vergangenheit vielleicht auch viel spannender als die Gegenwart und dann "lebt" man halt von seinen Erinnerungen.)

Ich fände es wirklch traurig, nicht nur für Sie, wenn das so wäre.

Warum versuchen Sie nicht aus der Gegenwart eine Erinnerung zu machen?

Versuchen Sie es - Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

:-)

Herr Oter hat gesagt…

Besten Dank für den Eintrag.
Es freut mich, dass jemand sogar meine Kommentare so aufmerksam liest.


Es ist natürlich eine Vermutung
(und bezog sich vor allem auf Leute in Altersheimen oder mit gesundheitlichen Einschränkungen).

Aber ich sehe doch auch viele andere, deren Leben sich mit zunehmenden Alter linear ruhiger gestaltet. Die Kinder sind selbstständig, die Erwerbsarbeit ist getan und man muss nicht mehr immer überall dabei sein oder teilnehmen, nur weil es alle tun. Das ist doch ein sehr grosser Teil des Tages der nun frei gestaltet werden kann. Doch, muss dieser Teil nun weiterhin ständig mit Aktionismus ausgefüllt werden?

Das heisst natürlich nicht, dass das Leben im Alter langweilig sein muss/soll. Es gestaltet sich einfach etwas anders, vielleicht ruhiger und manchmal auch gehaltvoller. Darin liegt aus meiner Sicht genau soviel Befriedigung.

Ich – und das ist nun eine Feststellung – bin körperlich und geistig noch in der Verfassung, dass ich uneingeschränkt leben darf. Lesen, schreiben, gehen, reisen und Hausarbeit füllen meine Tage, auch wenn sie – besonders an regnerischen Tagen – nicht immer ganz wunschgerecht gestaltet werden können.
Aber, konnten sie das früher? Interessant sind sie meistens trotzdem.

Noch ein Hinweis, gerade morgen (23.05) wird hier zufälligerweise mein Feststellung über "Dinge die im Alter besser werden" erscheinen. Eine ganz schön lange Liste übrigens ;)

Liebe Grüsse
Resunad