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Sonntag, 25. September 2016

Unsere Wahrnehmung


Unsere Wahrnehmung


Marina arbeitet bei der Spitex, dem ambulanten Pflegedienst der Gemeinde. Sie macht diese abwechslungsreiche Arbeit mit viel Freude. Seit kurzer Zeit betreut sie auch Frau Müller, die ihr neu zugeteilt wurde. Sie wohnt in einer hübschen kleinen Wohnung und ist nach dem Besuch beim mürrischen Herr Bianchi an der Reihe.
Doch immer, wenn Marina Frau Müllers Wohnung betritt, fühlt sie sich etwas unwohl. Marina kann sich das gar nicht erklären, denn Frau Müller ist eigentlich netter als Herr Bianchi. Nach einiger Zeit stellt Marina sogar fest, dass sie inzwischen sehr ungern zu Frau Müller geht und beim Besuch der alten Dame zunehmend ein mulmiges Gefühl hat. Zuerst macht sie sich Vorwürfe deswegen, dann versucht sie herauszufinden, was sie an Frau Müller so stört. Achtsam beobachtet sie darum ihre Gefühle und Emotionen, sobald sie sich vom einsamen Herr Bianchi mit einem nachsehenden Lächeln verabschiedet hat. Nach kurzer Zeit nimmt Marina wahr, dass der Geruch in der Wohnung der Auslöser für ihr unangenehmes Gefühl im Kontakt mit Frau Müller ist. Es riecht bei ihr sehr oft nach Kohl und diesen Geruch kann sie seit ihrer Kindheit kaum ertragen. Denn genau so hat es aus der Wohnung der alten Weber gerochen, die Marina als Kind sehr gefürchtet hat, weil sie ständig etwas zu reklamieren hatte.

Sobald Marina diese Wahrnehmung gemacht hat, kann sie ihre Gefühle einordnen.
Sie wird sich bewusst, dass sie lieber zum mürrischen Herrn Pestalozzi geht, weil es bei ihm an der Wohnungstür immer nach frisch gekochtem Kaffee riecht.
Sie weiss nun aber auch, dass ihre negativen Gefühle beim Betreten des Hauses von Frau Müller nichts mit dieser Kundin zu tun haben und, dass sie selber ganz alleine dafür verantwortlich ist.


Wahrnehmung:
Wahrnehmung ist die Aufnahme von Informationen und findet laufend über alle unsere fünf Sinne statt.
Wir sehen, hören, riechen, schmecken und ertasten ständig, darum ist die Zahl dieser Informationen immens.
Aber nur einen winzigen Bruchteil der vorhandenen Informationen nehmen wir tatsächlich auch wahr. Denn wir filtern die unzähligen Reize und Eindrücke, denen wir ständig ausgesetzt sind.
Wir wählen diejenigen aus, die für uns wichtig sind oder uns gerade interessieren. Aber auch das Neue, Ungewohnte oder Andersartige nehmen wir meist bewusster wahr, als das Gewohnte und das Übliche.
Meistens geschieht diese Auswahl unbewusst, unreflektiert und wird auch unbewusst verarbeitet.
Daraus ergibt sich oft ein bestimmtes oder unbestimmte Gefühl.

Was wir wahrnehmen, basiert auf unseren Erfahrungen, Einstellungen und Motiven. Aber auch unsere aktuellen Gedanken und Umstände sind massgebend. Dabei spielt die momentane Aufmerksamkeit, Konzentration und besonders die emotionale Verfassung eine wichtige Rolle. Freude, Trauer, Aufregung, Ärger, Wut, Gleichgültigkeit oder Überforderung, alle eigenen Gefühle und Befindlichkeiten können dazu beitragen, dass Reize sofort wahrgenommen werden oder kaum ins Bewusstsein vordringen.

Wahrnehmung erfordert darum Achtsamkeit.
Achtsamkeit bedeutet, sich innerlich auf seine aktuelle Umgebung und Situation einzustellen und zu konzentrieren, auch wenn starke Emotionen oder Einflüsse von aussen die bewusste Wahrnehmung beeinträchtigen.
Eine bewusste Wahrnehmung kann man trainieren. Anfangs können Achtsamkeitsübungen hilfreich sein, später genügt es, sich einfach mehrmals täglich die bewusste Wahrnehmung wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Unsere Welt besteht also aus dem, was wir selektionieren und dann wahrnehmen. Und so individuell diese Wahrnehmungsbilder jedes einzelnen sind, so individuell entwickelt sich jeder Mensch, denn jeder lebt sozusagen in seiner eigenen Welt. Diesen Weltbildern vertrauen wir – Bildern von liebevollen und schmerzhaften Erfahrungen, von Sprungbrettern und Stolpersteinen, von Höhenflügen und Peinlichkeiten, von Erfolgen und Misserfolgen oder dem Glück und den Ängsten aus längst Vergangenem.
Für jeden von uns ist sein Weltbild – das heisst: seine Sicht der Dinge – das wirklich Wahre.
Das gilt es bei Konflikten zu berücksichtigen. Denn  tatsächlich existiert nicht ein einziges richtiges Bild oder eine einzige Wahrheit, wie Probleme gelöst werden können.









:)




Sonntag, 4. September 2016

Der Nachrichten-Tsunami


Der Nachrichten-Tsunami


Den täglichen Nachrichten über Terror, Krieg und Gräueltaten kann sich im Moment wohl kaum jemand entziehen. Sie kommen nicht mehr in Wellen, sie überfluten uns wie ein Tsunami. Während andernorts Bomben fallen, werden wir augenblicklich mit den entsprechenden Bildern und Nachrichten bombardiert. Unaufhörlich! Und sie werden immer grausamer, unerträglicher und belastender – die Bombardemente, die Bilder und die Nachrichten dazu. So empfinde ich es jedenfalls. Ich kann das Ganze kaum mehr verarbeiten, ich bin mit der Nachrichtenflut überfordert! Aber wie kann ich mich dem Tsunami entziehen?
Einfach keine Info-Sendungen mehr ansehen, keine Nachrichten mehr anhören, keine Zeitungen mehr lesen, Twitter einfach löschen?
Als politisch interessierter Mensch geht das nicht so einfach. Ich möchte ja wissen, was sich hierzulande tut, wie sich die Schweiz entwickelt, welche Probleme hier gelöst werden sollten und wie wir unseren innerstaatlichen Frieden möglichst erhalten können. Denn die nächsten Abstimmungen kommen bald und da will ich nicht anhand von Parolen, sondern mit fundiertem Wissen daran teilnehmen.
„Lass alles nicht so an dich heran”, rät man mir.
Sicher gut gemeint, jedoch für mich nicht praktikabel. Ich habe keinen Panzer, sondern bloss eine Haut und die ist in der letzten Zeit dünner und verletzlicher geworden, das gebe ich zu.

Es steht schlimm um die Welt! Überall Krieg, Terror, Unterdrückung, Attentate und unvorstellbares Leid. War es früher anders oder haben wir vieles davon einfach nicht mitbekommen?
Man hat auch das Gefühl, dass es nicht nur immer schlimmer und mehr wird, man denkt, dass es auch immer näher kommt. Aber stimmt das wirklich?
In den 70er- bis 90er-Jahren töteten meist europäische Terrorzellen jährlich 100 bis 400 Menschen in Europa. Haben wir das schon vergessen? An einen Terroranschlag in der Schweiz kann sich vermutlich kaum noch jemand erinnern. Auch die Morde gehen seit 30 Jahren ständig zurück – von 110 im Jahr 1990 auf 46 im Jahr 2014. Die Schweiz steht somit weltweit an der 208. Stelle von den 218 erfassten Länder (Wikipedia)

Mir geht es also gut hier. Ich lebe in einem sicheren und friedlichen Land, mit einer Regierung die ich selbst mitwählen konnte. Ich wohne in einer schönen Wohnung, mit Nachbarn die mich respektieren. Ich habe jeden Tag genug zu Essen, das ich mir gut leisten kann und ich habe sauberes Trinkwasser, das sogar direkt aus dem Wasserhahnen kommt. Dafür bin ich dankbar.
Doch manchmal habe ich fast ein schlechtes Gewissen. Denn obschon ich bewusst eher bescheiden leben, lebe ich im Verhältnis zum grössten Teil der Weltbevölkerung im Luxus - und bin mir das meistens gar nicht bewusst. Habe ich das verdient oder anders gefragt, was ist mein Verdienst an diesem privilegierten Leben? „Nichts”, müsste ich antworten, ich wurde einfach in dieses Land geboren. Glück gehabt!
Also müssten mich die schrecklichen Bilder aus den Kriegs- und Krisengebieten glücklich und zufrieden machen. Doch das tun sie nicht.

Das Flüchtlingselend, das sich inzwischen zu einer richtigen Völkerwanderung entwickelt hat, geht mir immer mehr zu Herzen. Sechzig Millionen Menschen, vertrieben, entwurzelt, entzweit. Sie verlieren ihre Heimat, ihre Familie und leider oft auch ihre Hoffnung. Aber was geht das mich an? Die haben doch einfach Pech gehabt, dass sie nicht hier geboren wurden – oder?
Und was sollen wir denn tun – Geld spenden, Flüchtlinge im Haus aufnehmen oder gar hinfliegen und für Frieden sorgen?
Ich verstehe, dass nicht alle, denen es schlechter geht, zu uns kommen können. Ich weiss auch, dass wir heute die vielen schweren Fehler, die der Westen als Kolonialmächte und Kriegstreiber in der Vergangenheit gemacht haben nicht so schnell ausbügeln können. Ich bin mir auch bewusst, dass viel von unserem Reichtum aufgrund von Ausbeutung, gerade in diesen Flüchtlings-Ländern, zustande kam.
Vielleicht machen mir gerade darum diese Nachrichten immer mehr Angst. Ich frage mich, wo führt das alles hin? Gibt es einen neuen Weltkrieg oder holen die, die nichts haben, einfach das zurück, was wir ihnen genommen und jetzt zu viel haben? Ausgleichende Gerechtigkeit?

Das Dilemma ist doch, dass ich an der ganzen Situation nichts ändern kann. Darum sehe ich nicht ein, warum ich über jeden Toten auf dieser Welt informiert sein muss. Warum muss ich mir jedes Attentat mehrmals in den verschiedenen Nachrichten und Meldungen ansehen, anhören und lesen. Das ist doch nur Benzin ins Feuer geschüttet und Antrieb für diese Gruppierungen. Nachahmer werden ermutigt, Sympathisanten bestätigt, Fanatiker gezüchtet.
Ich will diesen Meldungen gar nicht mehr diesen Raum geben. Ich will nicht mehr wissen, was auf der ganzen Welt gerade an Schrecklichem passiert. Ich will nicht mehr über Dinge informiert werden, die mich nicht beeinflussen, sondern nur berühren. Ich will nichts mehr über die Sachen vernehmen, die ich sowieso nicht beeinflussen kann. Ich will auch nichts mehr über Politiker  oder Machthaber hören, die ich nicht gewählt habe, die ich nie wählen würde und die ich trotzdem nicht abwählen kann.
Ich will nicht mehr - ich will weniger!
Denn ich glaube, solange jeder immer mehr will – solange Geld und Besitz diese Macht besitzt und Macht und Ruhm so verführerisch ist, solange wird es Neid und Missgunst geben. Solange jeder denkt, dass der andere mehr habe, dass andere es besser hätten und, dass er besser sei als der andere, solange gibt es kein friedliches Miteinander auf dieser Erde und solange werden die News-Spalten mit Horror gefüllt werden.



:\








Sonntag, 5. Juni 2016

Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten





Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten

Immer wieder werden neue digitale Angebote heftig diskutiert.
Im Moment ist es unter anderem der Vermittlungsdienst Uber, der die Taxi-Branche revolutionieren will oder auch die Internet-Plattform Airbnb, die die Hotelbranche durch Angebote privater Vermieter vor allem in den Städten stark herausfordert.
Bei beiden Online-Angeboten erwägt der Bund ein gesetzliche Regulierung oder gar ein Verbot. Aus meiner Sicht ist das falsch, denn der Fortschritt lässt sich nicht aufzuhalten! Das war schon immer so.


Wissenschaft und Technik haben uns in den letzten Jahrhunderten eine epochale Entwicklung gebracht. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Geschichte von der Gotthard-Kutsche hin zum in dieser Woche eingeweihten Gotthard-Basistunnel – eine wahre Meisterleistung staatlicher Weitsicht, unternehmerischen Denkens und intelligenten Handelns.
Von der Pferdestärke über die Dampfmaschine bis hin zur Elektrizität, der technische Fortschritt setzte auch eine 'Industrielle Revolution' in Gang, von der die Menschheit in überwiegendem Masse profitierte.
Als Beispiel nenne ich hier den Quantensprung von den handbetriebenen Webeinrichtungen des 18. Jahrhunderts über die ersten funktionsfähigen mechanischen Webstühle des Engländers Edmund Cartwright bis hin zur heute weltweit schnellsten Webmaschine der Welt, der Mehrphasenwebmaschine M8300 von Sulzer-Textil.
Dieser Erfindergeist brachte der Schweiz durch Innovation und Mut einen grossen Wohlstand und weltweiten Erfolg. Sie zeigt aber auch explizit die dunklen Seiten der technischen Entwicklung. Die Textilfabriken brachten zwar Arbeit und Wohlstand in die Ostschweiz, aber durch die Produktionsverlagerungen in Ausland auch wieder Arbeitslosigkeit und materielles Leid. Anderseits profitieren wir wieder, wegen der menschenverachtenden Ausbeutung von Arbeitskräften in Asien, durch die billige Kleidung. Welches ist nun der Fortschritt?

Auch die 'Digitale Revolution' wird die Welt auf den Kopfstellen, genau so wie es die Industrielle tat. Und, auch sie wird sich durch nichts aufhalten lassen. Elektronische Prozesse und  Automatisierungen, aber auch künstliche Intelligenzen und Robotik werden unsere Arbeit und den Alltag entscheidend verändern. In wenigen Jahrzehnten werden selbstfahrende Fahrzeuge, helfende Roboter und men­schen­lose Arbeitsplätze weitgehend Alltag sein. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Hälfte der heutigen Jobs verschwinden werden. Daran können auch Verhinderungsgesetze oder Verbote nichts ändern.

Doch seit der Erfindung der Dampfmaschine ist das ständig so und die Menschen haben trotz der Automatisierung immer wieder Jobs gefunden. Wir sollten einfach aus den Fehlern der Industrialisierung lernen und sie nicht wiederholen.  

So muss bereits jetzt unsere gesamte Ausbildung angepasst werden. In Zukunft werden Kreativität und soziale Kompetenzen  gefragt sein. Das Auswendiglernen von allgemeinem Wissen, von Formeln, Daten und Zahlen wird nicht mehr benötigt. Dafür werden in Zukunft Visionen, Ideen, Überzeugungsarbeit, Teamarbeit, Führung, Motivation, aber auch Enthusiasmus, Empathie, Pflege und Rücksicht gefragt sein. Auch die gesamte Lebensgrundlage muss revolutioniert werden – ein ausgeklügeltes bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein guter Ansatz dazu. Aber dafür müsste wiederum das Steuerwesen grundlegend umgekrempelt werden. Statt menschlicher Arbeit müssten Prozessoren und Gewinne besteuert werden und statt dem Einkommen müsste der Verbrauch abgabepflichtig sein (Mehrwertsteuer). Dazu müssten in der Übergangsphase durch Verordnungen die Spiesse für alle Beteiligten gleich lang gemacht werden. Auch müsste Wucher, also über­ris­sene Gebühren und Kommissionen der online-Anbieter, genau so wie bei den Banken, beschränkt werden.

Der Entwicklung lässt sich nicht aufhalten, denn keiner will heute mehr zurück zum Lastenträger am Gotthard, zum Meldeläufer des Mittelalters oder nur schon zurück zur Telefonkabine als einzige Telekommunikationsmöglichkeit. Auch die Fortschritte in der Chemie und der Medizin will keiner mehr missen.

Aber man muss diese Veränderungen mit Weitsicht und Fingerspitzengefühl zum Wohle der gesamten Menschheit und erträglich für die Umwelt gestalten.



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Samstag, 7. Mai 2016

Fingerspitzengefühl





Fingerspitzengefühl


Etwas gelangweilt schlendere ich hinter der älteren Person her, die ich zum Einkaufen in den Supermarkt gefahren habe.
Da treffe ich unerwartet auf eine Frau aus Eritrea.
Wir kennen uns recht gut und die Begrüssung ist herzlich. Sie spricht ganz ordentlich Deutsch und so wechseln wir kurz ein paar Worte. Meine Begleitung ist währenddessen verschwunden.

Abra ist Mitte Fünfzig und vor vier Jahren in der Schweiz geflüchtet. Die nette Familie hat sich inzwischen hier gut eingelebt. Vor kurzem konnten sie auch vom zügigen Wohncontainer in eine helle, kleine Wohnung umziehen und Meng, ihr Mann, hat endlich eine Arbeit gefunden. Der gelernte Autospengler kann nun wenigstens an drei Tagen pro Woche bei einer Recyclingfirma arbeiten. Damit hat sich auch seine Psyche wieder stark verbessert.
Die älterste Tochter ist seit einigen Monaten mit einem Schweizer verheiratet, der ältere Sohn hat glücklicherweise eine Lehrstelle gefunden und die beiden Jüngsten gehen hier zur Schule. Die Kinder sprechen Schweizerdeutsch, sind in verschiedenen Vereinen und gut integriert.
Abra und ihr Mann haben mit dem Kontakt zu Einheimischen etwas mehr Mühe. In ihrem Alter ist das nicht mehr so einfach. Doch sie besuchen wöchentlich unser Integrationskaffee um mehr Einheimische kennen zu lernen. Denn auch sie freut es besonders, wenn sie auf der Strasse oder im Laden erkannt und wahrgenommen werden – dann fühlen sie sich hier ein bisschen mehr Zuhause.
Meng kommt auch jeden Donnerstag zu mir, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Daraus ist inzwischen ein freundschaftlicher Kontakt entstanden und wir wurden von ihnen auch schon zum eritreischen Mittagessen oder zur traditionellen Kaffeezeremonie nach Hause eingeladen.

Einige Minuten später verabschiede ich mich wieder von Abra und sehe mich nach meiner Begleitung um. Ich treffe die bald Achtzigjährige hinter dem nächsten Gestell, wo sie ungeduldig wartet.
„Ich warte schon lange!”, zischt sie und funkelt mich ein bisschen böse an. Währenddessen schiebt sie ihren Einkaufswagen bereits eilig zur Kasse.
„Ach, da bist du … Warum bist du vorhin so plötzlich verschwunden? Wolltest du mit der dunkelhäutigen Frau nicht gesehen werden?”, frage ich scherzhaft, denn ich kenne ihre Einstellung zu 'den Asylanten'.

Nach einer Pause und einem unverständlichen Gemurmel fragt meine Begleitung unwirsch: „Was war denn die für eine?”
Ich muss lächeln: „Das ist die Frau des Eritreers, dem ich seit über einem Jahr jede Woche Deutsch gebe. Ich habe dir doch schon oft von ihm erzählt.”
Inzwischen sind die wenigen Einkäufe auf dem Kassenband gelandet und meine Begleiterin hat schon ungeduldig ihren Geldbeutel in der Hand.
Ohne sich umzublicken sagt sie:
„Ach, die war das – hätte ich das gewusst, hätte ich ihr zwanzig Franken gespendet …





:(






Freitag, 29. April 2016

Ben Sadok und die Palme…..





Ben Sadok und die Palme…..


Ben Sadok, ein finsterer Mann, ging durch eine Oase. Er war so bösartig in seinem Charakter, dass er nichts Gutes und Schönes sehen konnte, ohne es zu verderben. 
Am Rande der Oase stand eine junge Palme. Sie war schön gewachsen. Das ärgerte Ben Sadok. Darum nahm er einen schweren Stein und legte ihn der jungen Palme mitten in die Krone. Mit einem gemeinen Lachen ging er fort. 
Die Palme schüttelte und bog sich und versuchte, die Last abzuwerfen.
Doch vergebens. Zu fest sass der Stein in ihrer Krone. Da krallte sich die Palme fest in den Boden, schickte ihre Wurzeln so tief in die Erde, dass sie die verborgenen Wasseradern in der Oase erreichten, wuchs empor und stemmte dabei mit aller Kraft den schweren Stein hoch und höher,
bis die Krone mit den grossen Palmenfächern über jeden Schatten hinausreichte. 

Wasser aus der Tiefe und Sonnenglut aus der Höhe halfen dem jungen Baum, trotz seiner schweren Last eine königliche Palme zu werden. 

Nach vielen Jahren kam Ben Sadok wieder. Schadenfroh wollte er
den verkrüppelten Baum sehen, den er, wie er meinte, verdorben hatte. Er suchte ihn, aber er fand ihn nicht. Da senkte die stolzeste und höchste aller Palmen ihre Krone, zeigte ihm den Stein und sagte: 

Ich danke dir, Ben Sadok. Deine Last hat mich stark gemacht. 
Ein afrikanisches Märchen - Autor unbekannt


© Bild von: huba22  / Lizenz: CC0  / by: pixabay



;)

Sonntag, 24. April 2016

Theo





Theo


Alle haben sie gelacht!
Und wiederum hat er den Stammtisch fast im Alleingang unterhalten. Eine Anekdote nach der anderen – ihr schallendes Gelächter hat ihn zusätzlich angespornt. Heute Abend war er einmal mehr in Bestform.
Seine Sprüche kamen präzise und sein Intellekt arbeitete blitzschnell. Schlagfertig konterte er alle Bemerkungen und setzte so jeweils noch einen drauf – bis sie vor Lachen Tränen in den Augen hatten.
Trotzdem, niemanden am Tisch hat er gekränkt, denn Theo macht keine abwertenden Sprüche über andere. Wenn schon nimmt er sich selber auf den Arm, stilisierte sich hoch zu einer Witzfigur.
Gerade dann bekommt er am meisten Anerkennung. Dann ist er jemand! Man nimmt ihn wahr – doch keiner nimmt ihn ernst. Manch einer hat ihm zum Abschied anerkennend auf die Schultern geklopft. „Theo, du bisch eifach en glatte Siech,” und alle haben anerkennend genickt.

Aber was wissen die schon? Was wissen die von Theo! Keiner kennt ihn wirklich. Keiner sieht sein Inneres, keiner weiss von seinen Schmerz.

Nun ist er auf dem Heimweg – alleine.
Noch ein paar Gedanken an die vergangenen zwei Stunden. Er möchte sie für immer festhalten, denn sie haben ihm kurzfristige Linderung gebracht. Aber die quälende Einsamkeit und die Angst sind schnell wieder da. 

Noch ein kurzes Lächeln der Erinnerung und dann ist nur noch Leere.


Mehr über Einsamkeit hier


:(




Dienstag, 19. April 2016

Ich wollte nie Lokomotivführer werden




Ich wollte nie Lokomotivführer werden


Als Kind wollte ich nie, wie die anderen, ein Pilot, Lokomotivführer, Fussball-Profi oder Polizist werden. Ich wollte ein Senn sein! Der Stallgeruch hatte es mir angetan.

Natürlich lag ich auch damit wieder 'verkehrt'. Denn in unserer Familie gab es weder einen Stall, noch war jemand in der Verwandtschaft ein Bauer. Vermutlich gibt es sogar in unserem ganzen Stammbaum, seit unseren Walser-Vorfahren, kaum noch Alphirten oder Sennen.

Aber auf meinem Schulweg lagen drei Bauernbetriebe und besonders den von Bauer Hartmann besuchte ich täglich mehrmals. Ich kannte jede Kuh im Stall – es gab zwar nicht viele, aber ich war über jedes Geschehen im Stall immer bestens informiert. So dauerte mein Schulweg halt meistens auch einiges länger, als bei meinen Brüdern. War eine krank oder kam bald ein Kalb zur Welt, konnte es auch einmal noch etwas später werden. Das gab dann einigen Ärger, besonders in der Schule und manchmal halt auch Zuhause, wenn ich es übertrieb. Aber das Leben im Stall war für mich einfach spannender, als die blöde Schule und die lästigen Hausaufgaben.

Dafür hatte ich dann Zuhause, als Entschuldigung sozusagen, immer etwas Spannendes zu erzählen.
Besonders meine Mutter war, nachdem der erste Ärger abgeflaut war, an meinen Erzählungen aus dem Stall durchaus interessiert, denn sie war in der Stadt aufgewachsen. So hätte sie, erzählte sie später manchmal, auch interessiert meinem atemlos vorgetragenen Bericht über die Geburt eines Kalbes zugehört. Blöd sei nur gewesen, dass just in dem Moment, als es richtig spannend wurde und „da hinten bei der Kuh etwas herausgekommen“ sei, Bauer Hartmann zu mir gesagt hätte, es wäre nun wohl besser, wenn ich nach Hause gehen würde.

Doch in so einem Stall erfuhr man natürlich nicht nur Stallgeschichten, da war durchaus das halbe Dorfgeschehen ein Thema und ich, als aufmerksamer Zuhörer, brachte diese Neuigkeiten dann nach Hause. Damit konnte ich glänzen, im Gegensatz zu meinen schulischen Leistungen.

Schon bald hatte mein Vater für mich einen scherzhaften Übernamen gefunden: 'Early Bird' – den Namen des ersten kommerziellen geostationären Fernsehsatelliten weltweit, der damals ins All befördert wurde. Dieser 'Early Bird' konnte sagenhafte 240 Telefongespräche oder eine Fernsehsendung von weither übertragen und war damit der Beginn der internationalen Telekommunikation.

Damals, im Gegensatz zu heute, war es nicht üblich, volkstümliche Musik im Stall abzuspielen, damit die Kühe sich wohler fühlten und mehr Milch gaben. Trotzdem war ich ganz begeistert von 'Ländlermusik' und Jodel-Gesang. Natürlich wieder als einziger in der Familie. So war dann auch meine erste eigene Schallplatte aus dieser volkstümlichen Musiksparte. Diese kleine schwarze Vinil-Scheibe, ich hatte sie geschenkt bekommen, enthielt vier Jodellieder, komponiert vom „Holzgüetler“ Siegfried Zihlmann-Steffen und gesungen von der Älplerjodlergruppe Zihlmann aus Schüpfheim. 




Ein Lied darauf hiess 'Du Allerwelts Schätzeli', ein anderes 'z’Flüeli Dörfli'. Es beschreibt ein kleines Örtchen im von mir damals weit entfernten Entlebuch. Ich habe diese beiden Lied bestimmt einige hundertmal abgespielt und noch heute, nachdem ich sie Jahrzehnte nicht mehr gehört habe, erzeugten sie bei mir noch immer die gleichen Empfindungen wie damals. (Hier eine Coverversion)

Einige Jahre später habe ich dann, weit ab von Zuhause, in einer grossen Stadt, ein nettes 'Mädchen' aus genau diesem 'Flüeli Dörfli’ getroffen. Sie blieb während dreissig Jahren meine Partnerin …
Zufall oder Vorhersehung?


Um eine 45er Vinylschallplatte  und eine Kindererinnerung geht es auch in einer früheren Anekdote


:)

Sonntag, 17. April 2016

Ich küsse nicht gerne



Ich küsse nicht gerne


Ich mag sie einfach nicht – diese imaginären Luftküsse, links und rechts, knapp an den Ohren vorbei, zur Begrüssung oder zum Abschied. Wange an Wange mit Frauen, die ich kaum kenne, das ist mir einfach zu nahe, zu eng und zu intim. Ich finde es ehrlicher, sich anständig die Hand zu geben und in die Augen zu sehen. Denn in den Augen des Gegenüber, erkenne ich mehr, als an seinen Ohrläppchen.

Aber vielleicht ist die Abneigung gegen diese Begrüssungs-Küsserei auch einfach ein Trauma aus Kindertagen … (hier: Loni - ein Albtraum)

Nicht, dass ihr jetzt denkt, ich sei ein genereller Kussmuffel!
Nein – aber ich bevorzuge für solche 'Lippenbekenntnisse' einfach die richtige Person und die passende Situation. Ich küsse nicht jede zur Begrüssung und umarme schon gar nicht jeden, auch wenn sich das unter Männern immer mehr verbreitet. Ich habe nichts gegen eine Umarmung zwischen Vater und Sohn als Zeichen von Verbundenheit und Respekt; obschon, bei meinem Vater hätte ich das nie gemacht. Das war damals bei uns einfach nicht üblich.

Mir ist es unangenehm, wenn ich von Personen geküsst und umarmt werde, die ich noch nicht lange kenne oder die mir eigentlich gar nicht sonderlich sympathisch sind.
Doch wie mache ich das in einer Gruppe? Da müsste ich ja eine Auswahl treffen. Das geht natürlich nicht – entweder alle oder keine. Ich habe mich für keine entschieden.

Doch das kommt nicht immer gut an und so trete ich bei weiblichen Kuss-Fans manchmal ins Fettnäpfchen. Sie will, ich nicht!
So einmal geschehen bei einer Arbeitskollegin, die in einer ganzen Gruppe von mir fremden Frauen stand. Meine Kollegin und ich hatten uns bei der Arbeit noch nie zur Begrüssung geküsst, nicht einmal die Hand gegeben. Aber an dem Tag … ich hielt natürlich bei allen eine Armlänge Distanz, auch bei Ihr, wie immer.
Die Reaktion kam am nächsten Arbeitstag: „Du hast mich vor den Anderen schön blamiert!” funkelte sie mich böse an. „Aber wir hatten doch bisher noch nie …” meinte ich etwas verlegen. „Ja schon, aber heute ist das eben üblich – ich stand vor meinen Kolleginnen da wie ein Depp!”, giftelte sie mich an.

Seit diesem Vorfall bin ich mit dem Begrüssungskuss etwas 'grosszügiger’ geworden – wenn es sich gar nicht vermeiden lässt – denn ich will ja niemanden kränken.
Doch noch immer gehe ich erstmal mit ausgestrecktem Arm auf die Leute zu, um den Abstand zum Gegenüber zu steuern. Doch nicht selten treffe ich dann auf Frauen, die das Küsschen-Ritual regelrecht einfordern. So stehe ich dann steif da und lasse mich zum Ritual hin und her zerren.
Scheinbar muss ich diese Menschen ans Herz drücken, auch wenn mir das unangenehm ist. Oder habe ich als Mann eine faire Chance diese Begrüssungsform zu vermeiden, ohne die Frauen zu verletzen?

Diese 'gesellschaftliche Küsserei' auf die Wangen ist, zumindest bei uns, ja nicht althergebracht oder kulturell begründet.
Zwar kennt man den gehauchten Wangenkuss bereits seit frühchristlicher Zeit – als 'Friedenskuss', dem Zeichen einer vollständigen Versöhnung und Freundschaft.

Auch der Wangenkuss mit darauffolgendem festem Schmatzer auf den Mund, von Mann zu Mann,  der sogenannte 'Bruderkuss', hat Tradition und war vor allem in der sozialistisch Zeit der Sowjetunion bei uns bekannt, denn es war die höchste Ehrerbietung unter befreundeten Staatsmännern. Sicher erinnert man sich noch an den Berühmtesten unter ihnen, Honecker und Breschnew, zwei alte, graue und faltige Männer, die die  Lippen aufeinander drücken. Für mich schwer zu ertragen, sogar als Bild auf der Berliner Mauer.
Daraufhin wurden Umarmungen und Küsschen unter scheinbar befreundeten Politikern als politische Machtdemonstration auch andernorts immer häufiger. Doch waren das immer wirkliche Freunde?





Umarmungen zur Begrüssung zwischen Männern oder zwischen Frauen  haben vor allem in der arabisch-muslimischen Welt eine lange Tradition. Doch öffentliche Berührungen zwischen den Geschlechtern, wie bei uns, sind dort vielerorts sogar verboten.
Diese Begrüssungsformen kennt man bei uns eher von südlichen Ländern. Auch in Frankreich hat diese Form von Umarmung mit Küsschen, die sogenannte Akkolade, Tradition, während bei uns noch lange und bis noch vor wenigen Jahrzehnten der Handkuss als korrekter, sehr formaler Gruss galt. Es war die allgemein übliche Ehrerbietung an eine geachtete Dame. Bis dann diese  bacio- bacio -Welle aus den südlichen Ländern zu uns herüber schwappte.
Zuerst, so meine ich, bei der 'Prominenz’, und dort besonders bei den Schauspielerinnen. Da wollte man vermutlich grosse Herzlichkeit demonstrieren, obschon man doch weiss, dass kaum woanders, Neid und Missgunst weiter verbreitet sind.
Inzwischen gehört, was früher dieser 'Glamourwelt' vorbehalten blieb, auch bei uns 'Normalen’ schon fast zum guten Ton.

Küsschen da, Küsschen dort, Küsschen … – ja wie oft denn eigentlich?
Denn man küsst sich nicht überall gleichviel.
In Japan, beispielsweise, ist eine Umarmung unter Erwachsenen verpönt. Auch in Schweden küsst man gar nicht – wenigstens nicht zur Begrüssung. In Deutschland, Italien und Österreich macht man es meist zweimal und in der Schweiz gibt man sich gar drei Backen-Schmatzer (hier muss man aber auch alles übertreiben …).
Nur in Paris küsst man mehr, nämlich sogar viermal! – Aber Achtung im Resten Frankreichs macht man es wieder nur zweimal – das heisst – man braucht im westlichen Nachbarland fast eine Landkarte um sich über die obligatorische Anzahl der “bises” in 'La Grande Nation' zu informieren: eines in der Bretagne, zwei in Lyon, drei im Midi, vier südlich von Nantes und sogar fünf in einigen Binnenregionen von Korsika.

Und, man küsst sich nicht überall gleich.
Da gibt es Regeln zu beobachten, sonst entstehen peinliche Situationen – entweder du hängst mit deinen Lippen plötzlich verloren in der Luft oder es gibt einen Zusammenstoss der Nasen oder schlimmer noch, ein verrutschter Kuss landet direkt auf dem Mund und du stehst dann da wie ein begossener Pudel.
Also, erst rechts, dann links, so ist es bei uns. Aber schon in Frankreich wird es kompliziert, denn dort fängt man im Süden mit der linken und im Norden mit der rechten Wange an.
Und, was manche vielleicht nicht wissen: Auch bei uns gilt, je höher die soziale Stellung, desto weniger wird richtig geküsst. So einen herzhaften, geräuschvollen Schmatzer gibt man sich eher unter dicken Kolleginnen, in der  'feinen Gesellschaft' wird nur noch unhörbar gehaucht. Wichtig dabei ist, dass man die Lippen nicht spitzt.

Zum Schluss noch eine gute Nachricht für andere Begrüssungskuss-Muffel:
Unter Geschäftspartnern küsst und umarmt man sich strikte nicht! – Das ist mir sympathisch!



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Dienstag, 12. April 2016

Einfach nichts mehr da!




Einfach nichts mehr da!

Manchmal habe ich Angst, dass plötzlich nichts mehr da ist.
Unbemerkt schleicht es sich langsam davon und dann werde ich – vielleicht eines Morgens beim Aufwachen – erschrocken feststellen, dass alles weg ist!
Vermutlich bemerke ich es, weil ich mich wundere, wer neben mir liegt.
Kenne ich die? Gehört sie zu mir oder liegt sie zufälligerweise dort?
Ich weiss es nicht!
Nichts ist mehr da, mein Gedächtnis ist einfach verschwunden.

Damit sind auch all die schönen Momente in meinem Leben weg.
Die Kindheitserinnerungen, der erste Kuss, die Hochzeit oder das unbeschreibliche Glücksgefühl, als ich meine Buben das erste Mal in meinen Armen hielt.
All diese 'unvergesslichen' Glücksmomente sind einfach vergessen.
Keine Erinnerungen an die Eltern, an die Lebenspartnerinnen oder an all die anderen wichtigen Dinge in meinem Leben. Was war beruflich, wo war ich auf Reisen, was habe ich alles erlebt?
Keine Ahnung! Es ist einfach nichts mehr da.
Meine Eigenart, meine Identität, ja mein ganzes Leben ist einfach verschwunden.

Vorhin habe ich mich gefragt, ob es auch bei mir mal so kommt, wie damals bei meiner Mutter?
Ob auch bei mir einmal die Diagnose 'Alzheimer' lautet?

Aber eigentlich brauche ich mir deswegen doch gar keine Gedanken zu machen.
Denn in dem Moment, an dem ich mich an nichts mehr erinnern werde, werden nicht nur alle schönen Erlebnisse verschwunden sein, sondern auch die sorgenvollen Gedanken, die mich gerade beschäftigten.



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Sonntag, 10. April 2016

Problemlose Problemlösungen





Problemlose Problemlösungen

Täglich ein probiotisches Joghurt zur Traumfigur in zwei Wochen. Straffe Haut und jugendliches Aussehen bis ins hohe Alter dank einer Anti-Aging-Creme und weisse Raucher-Zähne über Nacht mit der Bleaching-Zahnpaste. Ein Pülverchen gegen Haarausfall und Po-Push-Up-Slips für einen Hintern wie der von Kim Kardashian. Eine Selfie-App für das perfekte Porträt im Online-Dating-Portal. Die blaue Pille davor gegen Potenzprobleme, die Pille danach gegen ungewollte Kinder. Brausetabletten gegen Müdigkeit und Lifestyle-Medikamente gegen Stress.
Fünfhundert Facebook-Freunde gegen Einsamkeit und eine populistische Parteien gegen Migrantenströme und Überfremdungsängste — so werden heute komplexe Probleme gelöst.

© Copyright by Herr Oter



;)

Samstag, 9. April 2016

Die Mücke wird zum Elefanten geschüttelt





Die Mücke wird zum Elefanten geschüttelt
oder wie Händeschütteln die Medien beschäftigt.

Ein Händedruck, oder eben die Verweigerung desselben, gibt in der Schweiz momentan viel zu reden.
Denn in Therwil wollen zwei pubertierende, muslimische Brüder ihrer Lehrerin partout die Hand nicht geben. Sie argumentieren religiös – einige islamische Rechtsschulen (z. B. die nach Imam Shafi'i) verbieten die Berührung einer fremden Frau. Angeblich verweigern sie sich selbstständig, weil die 14 und 15 Jahre alten Muslim-Buben in ihrem Kulturkreis als volljährig gelten.
Die Lehrerin fühlt sich ob des verschmähten Handschlags nicht zuletzt als Frau diskriminiert, und lässt sich das nicht bieten.
Dank einer Händedruck-Dispens der überforderten Schulbehörde, schütteln nun die beiden jugendlichen, offenbar sehr religiösen Syrer, die aber in der Schweiz aufgewachsen sind, weder die Hände der Lehrerinnen noch die der Lehrer, sondern grüssen alle mit einem mündlichen höflichen Gruss um damit eine Diskriminierung zwischen den Geschlechtern zu beseitigen.

Der ungeheuerliche Handstreich, der bereits im letzten November seinen Anfang nahm, wurde nun von einer pensionierten Lehrerin in einer TV-Sendung an die Öffentlichkeit gezerrt und hat landesweit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Aber ob die ehemalige FDP-Kantonsrätin dieser Sache einen guten Dienst erwiesen hat, wage ich zu bezweifeln. Denn dieser verweigerte Handschlag schlägt nun hohe Wellen und schwappt zum Teil sogar über unsere Landesgrenzen hinaus.

Von «absolut inakzeptabel» über «im Koran gibt es kein Berührungsverbot in dem Sinne» oder «das entspreche dem Lebensstil des Propheten» bis zu «mehr Toleranz gegenüber Andersgläubigen» sind alle Meinungen von rechts bis links vertreten.
Eine Bundesrätin, zahlreiche Politiker aller Parteien, Vertreter von Lehrerverbänden und unzählige Kommentatoren in den Zeitungen und auf den sozialen Medien diskutieren nun über einen unbedeutenden Einzelfall und wieder benutzen nicht wenige diese Gelegenheit, um generell gegen Ausländer – und Muslime im Speziellen – zu stänkern.

Ich meine, es ist schlicht lächerlich, dass diesem Extremfall mit zwei Pudertierenden eine solch prominente Plattform geboten wird. Es führt höchstens dazu, dass diese läppische Geste wieder einmal instrumentalisiert wird und achtundneunzig Prozent der muslimischen Bevölkerung unter einen Generalverdacht gestellt werden.

Klar, es geht um mehr als einen einfachen Händedruck.
Es geht um Fragen wie Gleichstellung und Anstand, Respekt, und Frauenwürde – die christliche Frauenwürde, wohlverstanden. Denn niemanden interessiert in dieser Diskussion, was gläubige Muslimas empfinden, wenn christliche Männer ihnen unbedacht die Hand geben.
Ich habe mich bei drei somalischen Frauen erkundigt. Sie tragen farbige Kopftücher und zelebrieren den Ramadan nach strengen Regeln. Das ist ihnen wichtig. Weil sie hier wohnen, ergreifen sie jede ausgestreckte Hand, auch wenn sie sich dabei gar nicht wohl fühlen. Aber so seien hier die Regeln und sie passten sich an, sagen sie. Ich habe ihnen versprochen, sie weiterhin herzlich zu begrüssen, die meine Hände jedoch aus dem Spiel zu lassen. So, wie ich es zukünftig bei allen mit einem Kopftuch machen werde, den auch diese Frauen haben eine Frauenwürde!

Der Händedruck hat aber auch zu tun mit Religionsfreiheit, Fundamentalismus, Integration und der Anpassung der Zugezogenen an die Regeln eines anderen Kulturkreises in einem fortschrittlichen Land, das sie ja freiwillig als Wohnsitz gewählt haben. Denn wie wollen sich solch radikale Jugendliche hier integrieren, eine Lehrstelle finden oder später einmal wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, wenn sie die hier herrschenden Anstandsregeln nicht beachten und die Frauen weder achten wollen, noch sie als ihre Vorgesetzten akzeptieren können? Ich meine, dann sind sie hier einfach am falschen Platz.

Aber auf ihrem 'Mist' alleine ist diese extreme Überzeugung, trotz angeblicher Volljährigkeit, vermutlich ja auch nicht gewachsen. Kein Kind will sich freiwillig so ausgrenzen. Diese Burschen haben bestimmt Unterstützung ihres Vaters erhalten, der teilzeitlich als Imam in einer Basler Moschee arbeitet und scheinbar ein radikales Verständnis des Islam lebt. Diese Moschee soll gemäss Medienberichten einer Stiftung gehören, die mit Geld aus Saudi-Arabien finanziert wird. Dementsprechend sollen dort auch vermehrt extreme Muslime aus dem arabischen Raum verkehren. Von einem der beiden Schüler wird zudem berichtet, dass er möglicherweise mit der Terror-Miliz 'Islamischer Staat' (IS) sympathisiert.
Solchen Radikalisierungstendenzen ist natürlich entschieden entgegenzutreten und aufkeimende Parallelgesellschaften sind mit allen Mitteln zu verhindern!
Ich frage mich dabei nur, warum hierzulande nicht auch Moscheen, gleich wie unsere Landeskirchen finanziert werden müssen und nur Imame zugelassen werden, die an einer hiesigen Universität ausgebildet wurden. Auch sollten alle Moscheen, natürlich ihren Gepflogenheiten entsprechend, für jedermann geöffnet sein und es müsste dort zwingend in einer der Landessprachen gepredigt werden, damit auch alle verstehen können, was dort gelehrt wird.

Ich musste als Kind nie einer Lehrerin (oder einem Lehrer) die Hand geben. Nicht einmal Fräulein R. Berger und sie war doch der Inbegriff von Korrektheit, Anstand und dem guten Umgang miteinander. Trotzdem war sie für uns eine Respektsperson, wie alle Lehrer damals. Denn schlussendlich fängt der Respekt im Hirn an, nicht bei der Hand. Wirklichen Respekt muss man sich erschaffen, der kann nicht erzwungen werden.
Auf der anderen Seite ist die Schule eine staatliche Institution und hat darum, aus meiner Sicht, konfessionell neutral zu sein. In der Schule wie im Staat, sollen die Regeln für alle gelten!

Klar, das Händeschütteln gehört zu unserer Kultur.
Heute wird es leider zu oft von der leidigen 'Luftküsserei' verdrängt. Wange an Wange – das mag ich nicht. Das ist mir zu nahe und auch zu viel – besonders hierzulande, wo man inzwischen sogar dreimal muss.
Da ist mir ein anständiger Händedruck schon lieber, wenn überhaupt. Denn auch den dürfen wir nicht überbewerten. 2008, zur Zeit der Schweinegrippe oder jährlich zur Grippesaison, empfiehlt sogar das Bundesamt für Gesundheit auf das Händeschütteln zu verzichten; ein kleines Nicken würde auch genügen. Da ging es doch auch ohne – vielleicht, weil es zu unserem Wohle war … ?
Hände sind schmutzig. WC-Türfallen, Automatentastaturen, Treppengeländer, Handgriffe oder Einkaufswagen – die Keime lauern überall und am liebsten werden Infektionen mit den Händen übertragen (zu 80 %).
Warum also geben wir uns noch immer die Hände?
Die beliebteste Erklärung ist: Wer die Hand ausstreckt, öffnet seine Deckung, verringert die Distanz und zeigt mit dem minimalen Körperkontakt seine gute Absicht.
Doch staatstragend oder kulturbewahrend ist das nicht.

Wir könnten doch auch die Nasen aneinanderreiben wie die Inuit. Oder uns tief verneigen, wie das 'Konnichiwa' der Japaner. Auch uns mit einer leichten Verbeugung einfach die Hände vor die Brust halten, wie das Namaste in Indien oder das 'Wai' in Thailand. Das wäre doch eine besonders schöne Begrüssung für eine Lehrerin. Aber eben, bereits diese kleine Verbeugung vor einer Frau, ist für diese beiden fundamentalistischen Jugendlichen scheinbar bereits ein Problem, denn damit müssten sie die Frau ehren und das wollen diese extremen Fundamentalisten eben nicht.
© Copyright by Herr Oter  (April 2016)



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Dienstag, 5. April 2016

Der letzte Blumenstrauss




Der letzte Blumenstrauss

 
Nun ist er nicht mehr.
Das geht nicht ganz spurlos an mir vorbei, denn ich mochte ihn. 

Wir hatten uns gut verstanden - wir zwei 'Kleingewerbler’, wie er oft sagte. Obschon, klein war nur ich, er war grösser. Sein Produktionsbetrieb beschäftigte einige Mitarbeiter mehr.
Trotzdem fanden wir immer ein gemeinsames Thema: das 'Geschäften', die Strategien, die Werte, die schwierigen Umstände, das Loslassen und manchmal auch die Ehefrauen.


Seine verlor er früh an die Endlichkeit. Vielleicht schwärmte er darum so oft von ihr. 

“Sie war halt eine ganz besonders Gute”, sagte er immer wieder. „En Chrampfchaib, weisch.” Familie, Geschäft, Freunde – alles habe sie unter einen Hut gebracht. Leider habe er das nicht immer genug geschätzt. Zu viel sei er gehässig, gestresst – manchmal auch überfordert und unsicher gewesen. „Wahrscheinlich deswegen war ich auch oft hart und unerbittlich.”
Aber es brauche vermutlich gewisse Eigenschaften um grossen Erfolg zu haben, doch die würden dann nicht immer gleichzeitig zu einem toleranten, verständnisvollen Ehemann passen.
Ich habe ihn verstanden. Wie so oft waren nur wenige Worte zwischen uns nötig, um ein ganzes Lebensgefühl zu beschreiben.

Später heiratete er dann nochmals – eine jüngere, besonders attraktive Blonde. Aber von ihr schwärmte er nie.
Ein richtiges Mauerblümchen sei sie damals gewesen, haben mir andere erzählt, schüchtern, gehemmt und mit fast fünfzig immer noch ledig.

Im Heim, viele Jahre danach, als ich die beiden kennenlernte, war sie dann genau das Gegenteil. Denn dort hängte sie sich mit der Zeit den Männern an den Hals, liebäugelte mit jedem und später forderte sie sogar Fremde zum Küssen auf. Das war peinlich, doch Schuld war ihre Demenz!
Diese Krankheit veränderte die Frau mit siebzig komplett. Manchmal schämte ich mich für sie und er tat mir leid, denn das war nicht mehr die, die sie mal war.

Anfangs, so erzählte man mir, hätten sie deswegen oft gestritten, laut, hemmungslos, auch mitten im Speisesaal oder im Café. Manchmal sei er auch grob zu ihr gewesen – ich denke, er verstand sie einfach nicht mehr, besonders in gewissen Momenten. Denn beide hatten Mühe mit der Realität – was ist jetzt, was war mal. Manchmal vermischt sich alles und dann hat man vieles nicht mehr unter Kontrolle, auch sein eigenes Tun nicht einmal mehr.

Später haben ihn ihre Ausfälligkeiten scheinbar kalt gelassen, wenigstens liess er sich nichts mehr anmerken. Teilnahmslos schaute er ihr beim unermüdlichen Tanzen zu, ihre Schäkereien mit anderen ignorierte er einfach oder spülte sie mit einem Schluck Wein runter. Interessierte seine Frau ihn überhaupt noch? Denn langsam war er in sich versunken, ins Früher, ins Desinteresse und in die Teilnahmslosigkeit.

Irgendwann waren beide stiller geworden, sie kam in den Rollstuhl, ihn sah man immer weniger.

Dann, vor zehn Tagen, musste sie ins Spital. Nichts Ernstes. Er hatte es ruhig hingenommen. Nach einigen Tagen würde sie ja zurückgebracht.

Doch plötzlich blühte er dann auf und ging geschäftig umher.
Ein schöner Empfang für die Rückkehr seine Frau müsse es werden: Seine Kinder würden da sein, die wenigen Freunde von früher würden am Tisch sitzen und für alle habe er ihr Lieblingsessen bestellt.
Das Fest wurde dann genau so, eindrücklich und fröhlich. Er, gekleidet wie schon lange nicht mehr.
Irgendwann wurde vom Gärtner ein riesiger Blumenstrauss geliefert. Er nahm ihn am Eingang persönlich in Empfang und brachte ihn ihr an den Tisch. Sie küssten sich innig. „Du bist ein ganz Lieber”, flüsterte sie ihm zu und streichelte zärtlich über seine Wange. Beide strahlten sich an, als wäre es nie anderes gewesen.
Er war sichtlich stolz, der grosse „Gwerbler” hatte noch einmal alles gegeben – für seine geliebte Frau. Alles war gut!

Am Abend musste er dann notfallmässig ins Krankenhaus und kam nie mehr zurück.




:)



Freitag, 11. März 2016

Berti - siehst du?



Berti - siehst du?


Berti ist bescheiden aufgewachsen.
Ein abgelegenes 'Heimetli', mehr Kinder als Kühe und viel harte Arbeit, das war ihre Jugend. Die Hänge waren stotzig, Maschinen zu teuer und darum die Arbeitstage im Sommer sehr lang. Da blieb nicht viel Freizeit. Aber alles hat man gemeinsam gemacht – gearbeitet, gesungen, gebetet.
„Ich hatte eine zufriedene Kindheit, auch wenn wir arm waren. Das Nötigste war doch immer da und die Wärme dieser grossen Familie war mit nichts nicht zu ersetzen.“

Schwierig wurde es erst später.
Der Ehemann taugte nichts, er arbeitete nicht gerne. Lieber prahlte er in der 'Beiz' und vergnügte sich oft mit anderen Frauen. In dieser Zeit war auch das Geld richtig knapp. Manchmal reichte es nicht einmal für das Notwendigste.
„In dieser Zeit habe ich nachts oft geweint.“
Denn nun war Berti nicht nur arm, jetzt war sie auch noch einsam. Die Wärme fehlte ihr, nicht nur in der Stube.
Mit Flick- und Handarbeit hat sie versucht die finanziellen Löcher zu stopfen und die drei Kinder zu sättigen. „Ich habe sie so gut es ging versorgt, aber gedankt haben sie es mir nicht.“
Bis heute hat sie kaum Besuch von ihrer Familie. „Vielleicht schämen sie sich ihrer Herkunft“, mutmasst Berti und ein Schatten huscht über ihre wachen Augen. Obschon, alle drei konnten etwas lernen und hatten später Erfolg. „Keiner ist auf die schiefe Bahn geraten“, betont Berti mit erhobenem Zeigefinger. Das ist ihr wichtig und ihre Augen strahlen wieder.
Hier im Altersheim geniesst sie den Aufenthalt, wie kaum jemand.
„Das schöne, sonnige Zimmer, reichlich feines Essen und die liebevolle Pflege – so gut wie hier, ging es mir selten.“

Berti ist bescheiden geblieben.
Sie will niemandem zur Last fallen, auch finanziell nicht. Darum pflegt sie sich möglichst selber. Katzenwäsche am Waschbecken, Haarwäsche beim wöchentlichen Duschen und ganz selten ein Bad. Ein Nagelknipser genügt ihr für die Fuss- und Handpflege und Haareschneiden nur durch das Pflegepersonal. Das kostet weniger als ein Besuch bei der Coiffeuse. So ist sie es sich gewohnt und das will sie auch nicht mehr ändern. Ihre Kleidung ist einfach und Schmuck braucht diese Frau keinen. Sie strahlt von innen.

Dann, vor drei Wochen musste Berti ins Spital.
Ein einfacher, operativer Eingriff, wie es hiess. Eine Vollnarkose brauchte es trotzdem. Berti beunruhigte der  Spitalbesuch offensichtlich wenig. „Aba!“, mit einer verneinenden Kopfbewegung und einem energischen Wisch, kehrte sie ihn unter den Tisch. Alles wie üblich und schnell noch ein kleines Köfferchen gepackt.
Einige Tage später ist sie munter wieder im Heim. „Siehst du …?“, sagte sie schelmisch zur Begrüssung.

Doch kurz darauf der Bescheid:
Eine kleine Nachoperation war nötig. Nichts grosses, aber nochmals unter Vollnarkose.
Nun war es mit Bertis Gelassenheit vorbei. Sorgen türmten sich jetzt plötzlich vor ihr auf. Da nützte kein Wisch und kein gutes Zureden. Denn Berti war jetzt felsenfest davon überzeugt, dass sie eine zweite Narkose nicht überleben würde. Das musste ihr Todesurteil sein. Darauf galt es sich vorzubereiten!
Ein neues Nachthemd und frische Unterwäsche musste sofort gekauft werden. Auch das schlichte graue Kleid, das schon immer für den Todesfall im Kasten hing, musste man jetzt aufbügeln. Bei der Coiffeuse wurde ein Termin abgemacht – schneiden, waschen, legen. Dazu Fuss- und Handpflege – Maniküre und Pediküre mit Lack. Auch wollte Berti am Vortag baden und am Eintrittstag musste es eine professionelle Morgentoilette sein. Für den Ernstfall war Berti nichts zu teuer.
Von jedem einzeln hat sie sich verabschiedet und sich für die schöne Zeit im Heim herzlich bedankt.

Gestern ist Berti gut gelaunt wieder im Altersheim eingetroffen – im schlichten, grauen Kleid adrett gekleidet, aber sonst bescheiden wie immer.
„Siehst du ...?“, sagte ich und hielt ihre Hand etwas länger.




:)

Dienstag, 5. Januar 2016

Ist ein Marder Schuld an vier Morden?




Ist ein Marder Schuld an vier Morden?

Im Juni 2015 zersplittert eine Wohnzimmerscheibe in einem Dorf im Aargau. Der Grund war ein Querschläger aus der Schrotflinte eines Jagdaufsehers, der von der Polizei den Auftrag hatte, einen Marder von seinem Leiden zu erlösen. Etwa 100 Schrotkugeln durchdrangen den Storen. Zum Glück war der Mieter der Parterrewohnung, ein 19-jähriger Mann, nicht Zuhause und es kam niemand zu Schaden.

Sein herbeigeeilte Vater und der junge Mieter erhoben im regionalen TV-Sender jedoch schwere Vorwürfe gegen den Jäger: «Wäre ich da gewesen und hätte die Wäsche vor dem Fenster abgenommen, wäre es nicht so gut herausgekommen.»
Gegen den Jäger, läuft ein Verfahren wegen des Fehlschusses.
Den Schaden wird die Versicherung des Jägers inzwischen bezahlt haben – unklar bleibt, ob sich der Jäger und der Geschädigte mit seinem Vater, inzwischen über den Umfang der Entschuldigung einigen konnten.

Ein alltäglicher Fall, der in den regionalen Ausgaben der Medien zum Teil erwähnt wurde; bei der grössten Tageszeitung der Schweiz (Blick) fand ich ihn online nicht.


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Ein ganz anderes Verbrechen erschüttert sechs Monate später die ganze Schweiz.
In einer anderen Aargauer Gemeinde (ca. 5 km entfernt) findet die Polizei am 21. Dezember nach einem Hausbrand vier Leichen. Die Mutter mit ihren zwei jugendlichen Söhnen und die Freundin des Älteren wurden vor dem Brand erstochen, nachdem die 48-jährige Mutter zuvor eine unbekannte Menge Geld auf der Bank abgehoben hat.

Ein besonders brutaler und schockierender Fall über den alle Medien seit zwei Wochen fast täglich berichten, obschon die Ermittlungsbehörden absolut keine Erkenntnisse weitergeben. Scheinbar wissen sie mehr als sie sagen …. - oder tappen noch im Dunklen …  Jedenfalls wird in gewissen Medien wild über den rätselhaften vierfachen Mord spekuliert, kombiniert und manchmal Haarsträubendes an den Haaren herbeigezogen um die Gazetten zu füllen.


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Ein Beispiel:
Die beiden oben geschilderten Fälle haben aus meiner Sicht gar nichts miteinander zu tun.
Oder doch? Der 'Blick' jedenfalls hat einen Zusammenhang gefunden:
Der Vater des Wohnungsmieters im ersten Fall soll der Freund der getöteten Mutter im zweiten Fall sein. Das ist der einzige, äusserst schwache Bezug der beiden Geschehnisse.
Nichts­des­to­trotz titelt der 'Blick' heute in seiner online Ausgabe knallig:

Rätsel-Morde von Rupperswil
Hat dieser TV-Auftritt etwas mit der Tat zu tun?

Daraufhin wird die ganze Geschichte vom vergangenen Juni nochmals aufgewärmt. Keine aktuelle Erkenntnisse, keine neuen Fakten – alle damals Beteiligten geben nicht mehr Auskunft zu dieser alten, lauen Geschichte.
Trotzdem füllt das Boulevardblatt mit einem der abscheulichsten Mordtaten der letzten Jahre und einem nun schweizweit bekannten Dorfnamen, sowie einem reisserischen Titel schändlich seine Zeitungsspalten und lockt damit Leser auf seine Webseite. Gut für die Auflage, resp. die 'Klicks' – gut für die Inserenten, noch besser für die Kasse des Herausgeber!


Aber die Frage nach dem Zusammenhang der beiden Geschichten bleibt weiterhin offen?
- Warum hat der TV-Auftritt von Vater und Sohn «indirekt» etwas mit dem ungelösten Vierfach-Mord zu tun?
- Was verbindet eine harmlose Meldung über eine zerbrochene Fensterscheibe mit dem grausamen Verbrechen an einer vierköpfigen Familie?
- Was hat der Jagdaufseher mit dem abscheulichen Verbrechen zu tun?
- Ist der Sohn beteiligt? Der Vater ist es sicher nicht, das wurde bestimmt längst überprüft.

Oder – ist gar der arme tote 
Marder Schuld an den an vier Morden? 


 © Bild von: skeeze   Lizenz: CC0   by: pixabay 



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