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Freitag, 11. März 2016

Berti - siehst du?



Berti - siehst du?


Berti ist bescheiden aufgewachsen.
Ein abgelegenes 'Heimetli', mehr Kinder als Kühe und viel harte Arbeit, das war ihre Jugend. Die Hänge waren stotzig, Maschinen zu teuer und darum die Arbeitstage im Sommer sehr lang. Da blieb nicht viel Freizeit. Aber alles hat man gemeinsam gemacht – gearbeitet, gesungen, gebetet.
„Ich hatte eine zufriedene Kindheit, auch wenn wir arm waren. Das Nötigste war doch immer da und die Wärme dieser grossen Familie war mit nichts nicht zu ersetzen.“

Schwierig wurde es erst später.
Der Ehemann taugte nichts, er arbeitete nicht gerne. Lieber prahlte er in der 'Beiz' und vergnügte sich oft mit anderen Frauen. In dieser Zeit war auch das Geld richtig knapp. Manchmal reichte es nicht einmal für das Notwendigste.
„In dieser Zeit habe ich nachts oft geweint.“
Denn nun war Berti nicht nur arm, jetzt war sie auch noch einsam. Die Wärme fehlte ihr, nicht nur in der Stube.
Mit Flick- und Handarbeit hat sie versucht die finanziellen Löcher zu stopfen und die drei Kinder zu sättigen. „Ich habe sie so gut es ging versorgt, aber gedankt haben sie es mir nicht.“
Bis heute hat sie kaum Besuch von ihrer Familie. „Vielleicht schämen sie sich ihrer Herkunft“, mutmasst Berti und ein Schatten huscht über ihre wachen Augen. Obschon, alle drei konnten etwas lernen und hatten später Erfolg. „Keiner ist auf die schiefe Bahn geraten“, betont Berti mit erhobenem Zeigefinger. Das ist ihr wichtig und ihre Augen strahlen wieder.
Hier im Altersheim geniesst sie den Aufenthalt, wie kaum jemand.
„Das schöne, sonnige Zimmer, reichlich feines Essen und die liebevolle Pflege – so gut wie hier, ging es mir selten.“

Berti ist bescheiden geblieben.
Sie will niemandem zur Last fallen, auch finanziell nicht. Darum pflegt sie sich möglichst selber. Katzenwäsche am Waschbecken, Haarwäsche beim wöchentlichen Duschen und ganz selten ein Bad. Ein Nagelknipser genügt ihr für die Fuss- und Handpflege und Haareschneiden nur durch das Pflegepersonal. Das kostet weniger als ein Besuch bei der Coiffeuse. So ist sie es sich gewohnt und das will sie auch nicht mehr ändern. Ihre Kleidung ist einfach und Schmuck braucht diese Frau keinen. Sie strahlt von innen.

Dann, vor drei Wochen musste Berti ins Spital.
Ein einfacher, operativer Eingriff, wie es hiess. Eine Vollnarkose brauchte es trotzdem. Berti beunruhigte der  Spitalbesuch offensichtlich wenig. „Aba!“, mit einer verneinenden Kopfbewegung und einem energischen Wisch, kehrte sie ihn unter den Tisch. Alles wie üblich und schnell noch ein kleines Köfferchen gepackt.
Einige Tage später ist sie munter wieder im Heim. „Siehst du …?“, sagte sie schelmisch zur Begrüssung.

Doch kurz darauf der Bescheid:
Eine kleine Nachoperation war nötig. Nichts grosses, aber nochmals unter Vollnarkose.
Nun war es mit Bertis Gelassenheit vorbei. Sorgen türmten sich jetzt plötzlich vor ihr auf. Da nützte kein Wisch und kein gutes Zureden. Denn Berti war jetzt felsenfest davon überzeugt, dass sie eine zweite Narkose nicht überleben würde. Das musste ihr Todesurteil sein. Darauf galt es sich vorzubereiten!
Ein neues Nachthemd und frische Unterwäsche musste sofort gekauft werden. Auch das schlichte graue Kleid, das schon immer für den Todesfall im Kasten hing, musste man jetzt aufbügeln. Bei der Coiffeuse wurde ein Termin abgemacht – schneiden, waschen, legen. Dazu Fuss- und Handpflege – Maniküre und Pediküre mit Lack. Auch wollte Berti am Vortag baden und am Eintrittstag musste es eine professionelle Morgentoilette sein. Für den Ernstfall war Berti nichts zu teuer.
Von jedem einzeln hat sie sich verabschiedet und sich für die schöne Zeit im Heim herzlich bedankt.

Gestern ist Berti gut gelaunt wieder im Altersheim eingetroffen – im schlichten, grauen Kleid adrett gekleidet, aber sonst bescheiden wie immer.
„Siehst du ...?“, sagte ich und hielt ihre Hand etwas länger.




:)