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Sonntag, 17. April 2016

Ich küsse nicht gerne



Ich küsse nicht gerne


Ich mag sie einfach nicht – diese imaginären Luftküsse, links und rechts, knapp an den Ohren vorbei, zur Begrüssung oder zum Abschied. Wange an Wange mit Frauen, die ich kaum kenne, das ist mir einfach zu nahe, zu eng und zu intim. Ich finde es ehrlicher, sich anständig die Hand zu geben und in die Augen zu sehen. Denn in den Augen des Gegenüber, erkenne ich mehr, als an seinen Ohrläppchen.

Aber vielleicht ist die Abneigung gegen diese Begrüssungs-Küsserei auch einfach ein Trauma aus Kindertagen … (hier: Loni - ein Albtraum)

Nicht, dass ihr jetzt denkt, ich sei ein genereller Kussmuffel!
Nein – aber ich bevorzuge für solche 'Lippenbekenntnisse' einfach die richtige Person und die passende Situation. Ich küsse nicht jede zur Begrüssung und umarme schon gar nicht jeden, auch wenn sich das unter Männern immer mehr verbreitet. Ich habe nichts gegen eine Umarmung zwischen Vater und Sohn als Zeichen von Verbundenheit und Respekt; obschon, bei meinem Vater hätte ich das nie gemacht. Das war damals bei uns einfach nicht üblich.

Mir ist es unangenehm, wenn ich von Personen geküsst und umarmt werde, die ich noch nicht lange kenne oder die mir eigentlich gar nicht sonderlich sympathisch sind.
Doch wie mache ich das in einer Gruppe? Da müsste ich ja eine Auswahl treffen. Das geht natürlich nicht – entweder alle oder keine. Ich habe mich für keine entschieden.

Doch das kommt nicht immer gut an und so trete ich bei weiblichen Kuss-Fans manchmal ins Fettnäpfchen. Sie will, ich nicht!
So einmal geschehen bei einer Arbeitskollegin, die in einer ganzen Gruppe von mir fremden Frauen stand. Meine Kollegin und ich hatten uns bei der Arbeit noch nie zur Begrüssung geküsst, nicht einmal die Hand gegeben. Aber an dem Tag … ich hielt natürlich bei allen eine Armlänge Distanz, auch bei Ihr, wie immer.
Die Reaktion kam am nächsten Arbeitstag: „Du hast mich vor den Anderen schön blamiert!” funkelte sie mich böse an. „Aber wir hatten doch bisher noch nie …” meinte ich etwas verlegen. „Ja schon, aber heute ist das eben üblich – ich stand vor meinen Kolleginnen da wie ein Depp!”, giftelte sie mich an.

Seit diesem Vorfall bin ich mit dem Begrüssungskuss etwas 'grosszügiger’ geworden – wenn es sich gar nicht vermeiden lässt – denn ich will ja niemanden kränken.
Doch noch immer gehe ich erstmal mit ausgestrecktem Arm auf die Leute zu, um den Abstand zum Gegenüber zu steuern. Doch nicht selten treffe ich dann auf Frauen, die das Küsschen-Ritual regelrecht einfordern. So stehe ich dann steif da und lasse mich zum Ritual hin und her zerren.
Scheinbar muss ich diese Menschen ans Herz drücken, auch wenn mir das unangenehm ist. Oder habe ich als Mann eine faire Chance diese Begrüssungsform zu vermeiden, ohne die Frauen zu verletzen?

Diese 'gesellschaftliche Küsserei' auf die Wangen ist, zumindest bei uns, ja nicht althergebracht oder kulturell begründet.
Zwar kennt man den gehauchten Wangenkuss bereits seit frühchristlicher Zeit – als 'Friedenskuss', dem Zeichen einer vollständigen Versöhnung und Freundschaft.

Auch der Wangenkuss mit darauffolgendem festem Schmatzer auf den Mund, von Mann zu Mann,  der sogenannte 'Bruderkuss', hat Tradition und war vor allem in der sozialistisch Zeit der Sowjetunion bei uns bekannt, denn es war die höchste Ehrerbietung unter befreundeten Staatsmännern. Sicher erinnert man sich noch an den Berühmtesten unter ihnen, Honecker und Breschnew, zwei alte, graue und faltige Männer, die die  Lippen aufeinander drücken. Für mich schwer zu ertragen, sogar als Bild auf der Berliner Mauer.
Daraufhin wurden Umarmungen und Küsschen unter scheinbar befreundeten Politikern als politische Machtdemonstration auch andernorts immer häufiger. Doch waren das immer wirkliche Freunde?





Umarmungen zur Begrüssung zwischen Männern oder zwischen Frauen  haben vor allem in der arabisch-muslimischen Welt eine lange Tradition. Doch öffentliche Berührungen zwischen den Geschlechtern, wie bei uns, sind dort vielerorts sogar verboten.
Diese Begrüssungsformen kennt man bei uns eher von südlichen Ländern. Auch in Frankreich hat diese Form von Umarmung mit Küsschen, die sogenannte Akkolade, Tradition, während bei uns noch lange und bis noch vor wenigen Jahrzehnten der Handkuss als korrekter, sehr formaler Gruss galt. Es war die allgemein übliche Ehrerbietung an eine geachtete Dame. Bis dann diese  bacio- bacio -Welle aus den südlichen Ländern zu uns herüber schwappte.
Zuerst, so meine ich, bei der 'Prominenz’, und dort besonders bei den Schauspielerinnen. Da wollte man vermutlich grosse Herzlichkeit demonstrieren, obschon man doch weiss, dass kaum woanders, Neid und Missgunst weiter verbreitet sind.
Inzwischen gehört, was früher dieser 'Glamourwelt' vorbehalten blieb, auch bei uns 'Normalen’ schon fast zum guten Ton.

Küsschen da, Küsschen dort, Küsschen … – ja wie oft denn eigentlich?
Denn man küsst sich nicht überall gleichviel.
In Japan, beispielsweise, ist eine Umarmung unter Erwachsenen verpönt. Auch in Schweden küsst man gar nicht – wenigstens nicht zur Begrüssung. In Deutschland, Italien und Österreich macht man es meist zweimal und in der Schweiz gibt man sich gar drei Backen-Schmatzer (hier muss man aber auch alles übertreiben …).
Nur in Paris küsst man mehr, nämlich sogar viermal! – Aber Achtung im Resten Frankreichs macht man es wieder nur zweimal – das heisst – man braucht im westlichen Nachbarland fast eine Landkarte um sich über die obligatorische Anzahl der “bises” in 'La Grande Nation' zu informieren: eines in der Bretagne, zwei in Lyon, drei im Midi, vier südlich von Nantes und sogar fünf in einigen Binnenregionen von Korsika.

Und, man küsst sich nicht überall gleich.
Da gibt es Regeln zu beobachten, sonst entstehen peinliche Situationen – entweder du hängst mit deinen Lippen plötzlich verloren in der Luft oder es gibt einen Zusammenstoss der Nasen oder schlimmer noch, ein verrutschter Kuss landet direkt auf dem Mund und du stehst dann da wie ein begossener Pudel.
Also, erst rechts, dann links, so ist es bei uns. Aber schon in Frankreich wird es kompliziert, denn dort fängt man im Süden mit der linken und im Norden mit der rechten Wange an.
Und, was manche vielleicht nicht wissen: Auch bei uns gilt, je höher die soziale Stellung, desto weniger wird richtig geküsst. So einen herzhaften, geräuschvollen Schmatzer gibt man sich eher unter dicken Kolleginnen, in der  'feinen Gesellschaft' wird nur noch unhörbar gehaucht. Wichtig dabei ist, dass man die Lippen nicht spitzt.

Zum Schluss noch eine gute Nachricht für andere Begrüssungskuss-Muffel:
Unter Geschäftspartnern küsst und umarmt man sich strikte nicht! – Das ist mir sympathisch!



;)


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