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Dienstag, 25. Juni 2013

Der ganz grosse Star



 


Hochwasseralarm!
Erst fiebern alle tagelang den neuen Höchstständen entgegen – die Opfer, die Helfer, die Reporter, die Gaffer und die Plünderer. 

Dann kommt sie, die verheerende Flut; und mit ihr für kurze Zeit ein gewisser Einhalt, eine hilflose Starre und ein unfassbares Staunen über die Gewalt der Natur.
Aber rasch weicht die Lähmung der Geschäftigkeit und jeder nimmt seine Tätigkeit wieder auf.
Die Opfer bedauern, die Helfer helfen, die Reporter berichten, die Gaffer gaffen, die Plünderer verstecken und die Politiker fliegen über die Schadensgebiete und versprechen die grosse Hilfe. Die Spendenkontos werden eröffnet, die Versicherungstipps verbreiten sich wie Lauffeuer und im Fernsehen wird wieder endlos über besseren Deichschutz und mehr Platz für das Hochwasser diskutiert.
Bis zum nächsten Mal, denn ändern wird sich auch dieses Mal wieder nichts.

Zum Glück ist die grosse Flut inzwischen weitgehend zurück gegangen. Die Pegel sinken, Felder, Strassen und Keller entwässern sich. Die braune, stinkige Brühe hat sich wieder in die Flussläufe und Kanäle zurückgezogen, der Schlamm hat sich abgesetzt und die Mücken haben sich ausgebreitet. Zurück beliebt der Dreck und die Verzweiflung; denn die immensen Schäden werden nun sichtbar. Aber auch diese Katastrophenbilder werden leider wieder viel zu rasch aus den Medien verschwinden und die Flut 2013 wird bei den meisten bald in Vergessenheit geraten.


Was aber sicher bleibt, ist – ein Sack.
Man wird ihn weiterhin sehen, wie er an Seilen unter dem Helikopter befestigt durch die Luft fliegt, auf den Ladeflächen von Armee-Lastern gestapelt herumfährt oder durch meterlange "Sandsackmenschenketten" von Hand zu Hand gereicht wird.

Der Sandsack


Einzeln recht unscheinbar, aber in der Masse umso eindrücklicher.
Etwa 20 Kilogramm schwer oder auch handlicher, braun oder schwarz, aus Jute oder Kunststoff, hergestellt in Fernost und vor Ort mit Sand gefüllt, wird er trotz seiner unförmigen Form auch weiterhin in den Medien allgegenwärtig sein.

Ein Volk. Eine Katastrophe. Ein Sandsack.
Vom kleinsten Mäuerchen bis zum kilometerlangen Schutz vor übergetretenen Flüssen, überlasteten Dämmen oder Übergriffen von mordenden Soldaten; offenbar weltweit das wirksamste Mittel gegen Flutkatastrophen und feindlichen Kriegsangriffen.
So wurde der profane Sandsack auch bei der kürzlichen Flutkatastrophe wieder zum beeindruckenden Lebens- und Güterschützer und somit auch zum ganz grossen Medienstar. Millionenfach präsentierte er sich vom kleinsten Türschützer bis zum riesigen Schutzdamm in jeglicher Grösse und Ausbreitung
Die Pyramide von Gyzeh, so wurde berichtet, hätte man in Originalgrösse mit den vielen Millionen von Sandsäcken die gegen die grosse Flut ausgelegt wurden, nachbilden können.

Ich wundere mich, dass man noch nichts besseres dafür erfunden hat, als viel feinen Sand in grobes Tuch einzupacken, um Häuser, Strassen und Menschen vor der Sintflut oder dem Kugelregen zu schützen. Ein Grund mag sein, dass Sandsäcke, weil Jute nach einem Vierteljahr verrottet, vielerorts einfach liegen gelassen werden können, wenn das Hochwasser vorbei ist.

Anderer Meinung ist man jedoch an anderen Orten. 

Weil Klärwerke überspült wurden, finden sich entsprechend Fäkalkeime im Flusswasser und damit auch auf den Sandsäcken. Ausserdem seien auch Lösungsmittel oder Öl aus etlichen Kellern darin enthalten. So meint man dort, dass das wirksamste „Anti-Katastrophen-Mittel“ jetzt als Sondermüll entsorgt werden muss, weil es umweltschädigende Stoffe aufgesogen haben könnte.

Aber auch eine sympathische Weiterverwendung habe ich gefunden:
Nach dem Motto: "Es gibt nichts Jutes, ausser man tut es", arbeitet ein siebenköpfige Team von „Alles Jute Dresden“ fleissig an den Nähmaschinen, um Jutesandsäcke, die nicht mit der Elbeflut in Berührung gekommen sind, zu schicken Tragetaschen umzumodeln.
Maximal 876 Stück der Jutetragetaschen sollen hergestellt werden, denn bei 8,76 m war der Höchstpegelstand der Elbe in Dresden.

Man sieht, der kleine, grosse, unscheinbare und doch beeindruckende Sandsack wird uns bestimmt wieder begegnen, sei es in der einen oder andere Art.



Sandsackmauer


:)

5 Kommentare :

Jutta.K. hat gesagt…

Also ich finde das auch klasse, die Idee mit dem Sandsack als Tasche !
Die Wiederverwertbarkeit sollte allgemein mehr großgeschrieben werden!
Und außerdem kommt die Aktion auch noch einem guten Zweck zugute,super.
Freundliche Grüße
Jutta

Dekoratz hat gesagt…

Schön wäre es, wenn die Sandsäcke in solchen Massen nicht mehr gebraucht würden - und vielleicht könnte man sie (da verrottbar) auch gleich da liegen lassen und einen Deich darauf aufschütten, für den Fall der Fälle. Oder ein richtig Verantwortlicher gründet die Aktion Sandsack und profiliert sich nicht, präsentiert sich nicht, sondern packt zu und sorgt dafür, dass hinterm Deich die Leute entspannt mit Jutebeuteln einkaufen gehen können ...
Ach ja - wir haben zum Glück und leider so einiges erfahren und gelernt ... und da wir selbst schon mal "Hochwasser" hatten, weiß ich, der Schlamassel kommt oftmals erst hinterher ...
Schön, dass Du wieder "da bist", lieber Herr Oter, und ich stimme Dir 100%ig zu!
Barbara

Herr Oter hat gesagt…

@Jutta:
Ja, solche Aktionen gefallen mir auch. Aus der Not mit etwas Kreativität und Engagement einfach das Beste machen. Es ist auch ganz erstaunlich, wer alles davon "profitieren" könnte.

Die Wiederverwendung unseres sogenannten "Abfalls" beschäftigt mich seit einigen Tagen auch wieder vermehrt. Ich habe kürzlich einen sehr bemerkenswerten Film zu diesem Thema gesehen.
Darüber werde ich hier in nächster Zeit auch etwas schreiben, aber das Zusammentragen von Fakten und Zahlen braucht halt immer recht viel Zeit.

@dekoratz:
Ja schön wäre es, liebe Barbara, aber ich glaube, das können wir vergessen.
Man – das heisst die Verantwortlichen – haben noch nicht begriffen, was vor hunderten von Jahren üblich war; dass man dem Wasser, statt es ständig weiterzuleiten, einfach mehr "Auslauf" gewähren sollte. Stichworte: Auwälder, Retentionsräume, Flussverbauungen, Flächenversiegelung.
Jeder schiebt das Hochwasser einfach dem Nächsten in die Schuhe, resp. in die Häuser.
Das fängt im Kleinen an, also bei uns, wo die Flüsse entstehen und setzt sich bei den grossen Strömen fort.
Das wäre doch eine interessante, gesamteuropäische Aufgabe, an der sich einmal mehr beweisen könnte, was eine EU wirklich taugt.
Ups, nun werde ich politisch ....

@beide:
Ganz herzlichen Dank für Euren Kommentar. Ich wünsche Euch einen tollen, trockenen Tag und sende liebe Grüsse
Resunad

Anonym hat gesagt…

Es gibt eine Alternative zum Sandsack. Eine Aargauer Gemeinde hat mit Hilfe eines aufblasbaren und danach mit Wasser gefüllten 1Meter dickem Schlauch, den Rhein auf einer Länge von 800m abgehalten Häuser und Garagen zu fluten. Mit Erfolg! Und Wiederverwendbar!
Ps. Und ach ja bin wieder zurück :-) an der Loire konnte ich erleben wie es abläuft wenn man dem Fluss Raum und viel Platz lässt....
T.O.&O.

Herr Oter hat gesagt…

Es gibt also Alternativen. Aber der gute Sandsack wird sich sicher noch lange halten.

Ich wünsche Dir einen sonnigen Tag
Gruss Re