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Sonntag, 17. März 2013
Gertrude Steiner
Gertrude Steiner
Gertrude Steiner rollt vorsichtig auf den Parkplatz Nr. 5, den sie beim Nachbarhaus gemietet hat. Sie setzt nochmals etwas zurück, korrigiert leicht die Räder und fährt dann genau in die Mitte des Parkfeldes. Nur selten gelingt ihr das richtige Einparken beim ersten Mal. Nun schaltet sie das Licht aus und dreht den Zündungsschlüssel.
Gertrude bleibt noch einen Moment mit beiden Händen am Steuerrad sitzen, atmet aus und lehnt den Kopf zurück, bis der Knoten ihrer streng nach hinten gebundenen Haare die Nackenstütze berühren. Sie ist froh, endlich Zuhause zu sein.
Es war wieder ein harter Tag. Am Morgen zuerst vier Lektionen mit ihrer sechsten Klasse und dann, nach einem Kaffee und einem hastig verschlungenen Sandwich, die fast einstündige Fahrt zu ihrer dementen Mutter.
Jetzt, da die Konzentration auf den hektischen Abendverkehr nachgelassen hat, spürt sie eine lähmende Müdigkeit. Denn diese nachmittäglichen Besuche im Pflegeheim kosten sie jedes mal noch mehr Kraft, als ein ganzes Arbeitspensum mit ihrer aufmüpfigen Klasse. Aber Gertrude würde sich nie verzeihen, wenn sie, wie in den letzten fünf Monaten immer, an einem Mittwochnachmittag oder am Wochenende, auch nur einmal, ohne triftigen Grund, ihre Mutter nicht besucht hätte. Schliesslich hat Mutter in den letzten 38 Jahren auch alles für sie getan, war immer nur für sie da gewesen und hatte weitgehend auf ein eigenständiges Leben verzichtet. Gertrudes Pflichtgefühl gegenüber der Mutter wuchs somit in den letzten Jahren und auch die Widrigkeiten durch ihre fortschreitende Alzheimererkrankung konnten ihr schlechtes Gewissen nicht entlasten.
Die letzte Zeit war für beide nicht einfach gewesen. Anfangs war Mutter nur schusselig und vergass immer öfter das Essen zu salzen oder fand ihre Brille nicht mehr. Auch hatte sie zunehmend Mühe die richtigen Wörter zu finden oder kannte die Namen der alltäglichsten Dinge nicht mehr. Da half die Tochter jeweils schnell nach und Mutter schaute sie dann verwundert, aber selig lächelnd an.
Die Anzeichen einer Verwirrtheit waren anfangs auch eher lustig als tragisch. So lachten beide, als sie Mutters Strumpfhose im Kühlschrank fanden oder nach langem Suchen ihre Dritten in der Schmuckschatulle statt im Zahnglas. Die Tochter sah auch grosszügig darüber hinweg, als Mutter anfing, ihr immer wieder ein- und dieselbe Begebenheit zu erzählen.
Doch als sie dann öfters den Heimweg nicht mehr fand, mehrmals vergass den Kochherd auszuschalten oder mitten im Sommer den Schwedenofen anfeuerte, da kam es immer öfter auch zum Streit.
Gertrude hat es im Nachhinein immer sehr leid getan, denn sie musste sich eingestehen, dass sie ihrer Mutter unrecht tat, die ja nichts dafür konnte.
Dass man sich auf seine Mitmenschen nicht immer verlassen kann, das hat Gertrude durch leidvolle Enttäuschungen im Leben schon öfters erfahren.
Doch wie schrecklich muss erst die Erkenntnis sein, dass man sich selber nicht einmal mehr trauen darf?
Welche Ängste hat man auszustehen, wenn man nicht mehr sicher ist, was man vor fünf Minuten getan hat oder nicht mehr weiss, wie man die alltäglichsten Dinge zu erledigen hat. Wie grauenhaft, wenn man von der Tochter noch bekleidet beim Duschen erwischt wird oder beim Anziehen die richtige Reihenfolge der Kleider nicht mehr kennt? Wie beängstigend muss der Moment sein, an dem man zum ersten Mal jemanden fragt, wer denn die Person eigentlich ist, die den eigenen Namen trägt.
Wie fürchterlich muss diese ständige panische Angst sein, dass man etwas Wichtiges vergessen haben könnte oder, dass man bei einer Ungehörigkeit erwischt wird.
Mit der Zeit wurde es richtig schwierig mit der Mutter. Die Angst, dass sie während ihrer Abwesenheit irgendwelchen Unfug anstellten könnte, sass ihr immer mehr im Nacken. Manchmal hatte sie dadurch Mühe, sich in der Schule zu konzentrieren oder die nötige Geduld dafür aufzubringen. Das blieb natürlich auch dem Lehrkörper nicht verborgen und so musste sie zunehmend Kritik von dieser Seite abwehren.
Aber auch im Mietshaus mit mehreren Parteien, fand man es mit der Zeit eine Zumutung, dass die alte Frau manchmal mehr als eine Stunde mit dem Lift fuhr oder im Keller herumirrte und wimmernd nach ihrer Tochter rief, weil sie den Ausgang nicht mehr fand. Immer öfter wurde Gertrude darum auch während des Unterrichtes angerufen, was die Schüler jedes mal ausnützten. Aber was hätte sie denn tun sollen? Mit der Zeit hatte sie dann die Mutter in der Wohnung eingeschlossen.
Doch als einmal, mitten am Nachmittag, das Wasser der Badewanne den Mietern der unteren Wohnung in den Flur tropfte und sie deswegen nach einem erbosten Anruf des Hausmeisters, während einer Prüfung über Bruchrechnen nach Hause fahren musste, da stiess sie auf wenig Verständnis, sowohl von Seiten der Schulleitung als auch der Hausverwaltung.
Es wurde nach einer Heimlösung gesucht und auch rasch eine gefunden, sechzig Kilometer entfernt.
Aber obschon das alltägliche Leben ohne Mutter nun einfacher geworden ist und sie weniger praktische Sorgen plagen, glaubt Gertrude, dass die seelische Belastung durch die vielen Besuche im Alterszentrum, im Vergleich zu vorher, stark zugenommen hat.
Der stetige Zerfall ihrer Mutter macht Gertrude schwer zu schaffen. Was ist aus der starken Frau geworden ? Sie ist verstummt, die letzten Worte sind ihr ausgegangen. Sie ist in sich zurück gekehrt und hat sich von dieser Welt bereits verabschiedet.
Doch nicht nur die Gesundheit und das Leiden der Mutter kosten Gertrude viel Kraft.
Früher hatte sie, nebst den Schulvorbereitungen, mit der von der Mutter zunehmend vernachlässigten Hausarbeit und ihrer aufwendigen Pflege soviel zu tun, dass ihr die Zeit fehlte, sich Gedanken über ihre Situation oder gar die eigene Zukunft zu machen.
Aber nun sitzt sie Woche für Woche dreimal stundenlang alleine am Bett ihrer Mutter, die mehrheitlich nur noch schläft oder völlig apathisch gegen die Decke starrt und ihre Besuche nicht einmal mehr wahrnimmt.
Während diesen einsamen Stunden kommt manches in Gertrude zum Vorschein, das sie bisher ständig verdrängt hatte oder gar nicht wusste, dass es da ist. Gedankengänge, die ihr manchmal den Hals zuschnüren möchten oder ihr das Blut in Wallungen bringen. Nur gut, dass niemand sieht, warum sie immer öfter nach einem Taschentuch greifen muss.
Darum ist sie froh, wenn wie heute, Schwester Rosa Dienst hat. Sie nimmt sich immer öfter Zeit, um sich ein bisschen zu ihr hinzusetzen. Gertrude glaubt, dass sie einen guten Draht zueinander haben und die Gespräche mit ihr tun ihr gut. Auch, wenn sie dabei etwas Neues zunehmend aufwühlt.
Gertrude Steiner erschrickt. Wie lange ist sie nun in Gedanken versunken im dunklen Auto gesessen? Hoffentlich hat sie niemand beobachtet. Vorsichtig schaut sie sich um. Keine Menschenseele ist zu sehen, ausser der jungen, etwas fülligen Frau, die erst vor kurzem in das ältere Mietshaus nebenan, zu dem auch ihr Parkplatz gehört, eingezogen ist. Sie kommt vermutlich gerade von der Arbeit, denkt sich Gertrude. Das Holzhaus in seinem erbärmlichen Zustand, das nun völlig im Dunklen liegt, kommt ihr einmal mehr fast etwas unheimlich vor.
Im weissverputzten Haus daneben, in dem sie wohnt, sind hingegen einige Fenster erhellt und im fünften Stockwerk steht, wie so oft jemand, der das Nachbarhaus ständig zu beobachten scheint.
Schnell öffnet sie die Autotüre und eilt hinter dem alten Holzhaus zum schmalen Durchgang, der das marode Nachbarhaus von ihrem moderneren Wohnblock trennt. Sie hat immer ein mulmiges Gefühl, wenn sie in der Dunkelheit diesen schmalen, dunklen Rasenstreifen zwischen der mannshohen Hecke auf der einen und dem alten Haus, mit der schon tagsüber etwas unheimlichen Kellertreppe auf der anderen Seite, überqueren muss. Die Angst, dass sich dort im Dunkeln jemand versteckt halten könnte löst sich jeweils erst, wenn sie im hellerleuchteten Hauseingang steht. Aber sie ist froh, dass sie wenigsten beim Nachbarhaus einen Parkplatz mieten konnte.
©® Copyright by Herr Oter
:)
Dienstag, 9. Oktober 2012
Mirjam - Arbeitskraft für allgemeine Küchenarbeiten
Mirjam -
Arbeitskraft für allgemeine Küchenarbeiten
Die Wohnungstür fällt hinter ihr ins Schloss. Mirjam dreht den Riegel zweimal nach rechts und lehnt sich dabei erschöpft an das grasgrün Holz der Türfüllung.
Endlich daheim.
Das war wieder ein scheusslicher Tag. Man hatte ihr heute wieder einmal tüchtig zugesetzt. Nichts konnte sie dem Küchenchef recht machen. Für jeden Fehler wurde sie beschuldigt, auch wenn sie gar nichts dafür konnte. Diese ständigen Unterstellungen und Bemängelungen verunsicherten sie immer mehr und jeder Vorwurf hatte sie zusätzlich aus der Fassung gebracht, bis sie wirklich Fehler machte und er somit die Grundlage hatte, sie richtig fertig zu machen.
Ständig wurde sie verhöhnt, ausgelacht und vorgeführt. Nicht nur Mängel bei der Arbeit, auch ihre Oberweite, ihr Umfang, ihr Gang, ihre Dummheit, ihren leicht hörbaren Sprachfehler oder die dicken Brillengläser, alles kam dran. Alle „Schwachpunkte“ wurde von ihm mit bissigen Sprüchen gnadenlos ins Lächerliche gezogen.
Und, gelacht haben sie alle, die ganze Küchenmannschaft, jedes mal. Nicht jeder weil er es lustig fand, aber jeder aus Angst, er könnte das nächste Opfer sein.
Mirjam löst sich mit einem tiefen Atemzug von der Türe.
Ihr schneller Atem ist inzwischen etwas abgeflacht, denn die Wendeltreppe zum fünften Stock raubt ihr jedes mal den Schnauf.
Sie schaltet das Licht ein und Wärme durchflutet sie – Daheim, Gott sei Dank!
Sie wird den warmen Mantel noch etwas anbehalten, denn draussen ging heute eine starke kalte Biese und die zieht auch durch die alten Wohnungsfenster. Aber, auch wenn die kleine Wohnung in der kalten Jahreszeit nie richtig warm wird, so ist Mirjam doch froh, dass sie nun ihre eigene Wohnung hat.
Bei ihrer Mutter Zuhause lief es in letzter Zeit nicht mehr gut, seit sich Vater verzogen hatte. Mama liegt den ganzen Tag auf dem Sofa vor dem Fernseher oder macht Spiele im Internet. Sie lässt sich gehen. Vielleicht vermisst sie ihn ja noch immer, diesen ....
Auch der Alkohol macht ihr zu schaffen und manchmal kommt es Mirjam vor, als ob Mutter kaum noch am Leben teilnehme. Ähnlich wie Frau Steiner im Heim, von der es heisst, sie sei depressiv und fehle darum oft bei der Arbeit.
Wenn Mirjam nach der Arbeit nach Hause kam, musste sie noch haushalten und kochen, denn Mutter konnte sich um diese Zeit kaum mehr vom Sofa erheben.
Auch ihr neuer Freund sass dann bereits in der Unterwäsche vor der Glotze und hatte schon die zweite Flasche Bier in der Hand und verlangte bald nach der Dritten. Auch kam er immer wieder ohne zu klopfen in ihr Zimmer oder schaute sie ständig so an, als ob er sich gleicht bei ihr holen wollte, wozu Mutter nicht mehr fähig war.
Als er sie dann einmal, als Mutter bei einem Arztbesuch war, am Arm packte und zum Sofa drängte, da wusste sie, dass sie so schnell wie möglich ausziehen musste.
Mirjam ist froh, dass sie hier rasch eine günstige Wohnung gefunden hat, die sie mit ihrer Tätigkeit als „Arbeitskraft für allgemeine Küchenarbeiten“, wie es in der Stellenausschreibung des Altersheimes geheissen hatte, finanzieren kann.
So kann sie sich nun schon seit einigen Monaten alleine über Wasser halten, auch wenn man ihr das Gegenteil jahrelang eingeredet hatte, weil man auf den grössten Teil ihres Lohnes nicht verzichten wollte.
Und dieses unabhängige Leben hier lässt sie sich auch nicht mehr wegnehmen, das hat sie sich geschworen. Dafür nimmt Mirjam einiges in Kauf, verzichtet auf Manches und lebt möglichst bescheiden.
Das Bett, einen Tisch mit zwei Stühlen und den Kleiderkasten hat sie aus ihrem Zimmer von Zuhause mitgenommen. Ein Arbeitskollege half ihr dabei. Er ist eigentlich überhaupt ganz nett, aber heute hat er manchmal auch mitgelacht, das hat sie schon gesehen.
Das übrige hat sie sich im Brockenhaus geholt. Da geht sie jeden Samstag hin und schaut, ob es etwas Schönes gibt, dass sie brauchen könnte. Inzwischen kennt man sie dort gut und der eine, ältere Verkäufer, legt ihr oft ein besonders schönes Stück auf die Seite, wenn er denkt, dass es für sie nützlich sein könnte.
So hat sie sich ein gemütliches Zuhause nach ihrem Geschmack geschaffen, auf das sie sich bereits freut, wenn sie es am Morgen verlässt. Eigentlich ihre einzige Freude im Leben.
„Blöde Kuh!“ entfährt es Mirjam. Jetzt hat sie doch glatt vergessen, dass sie noch in den Tankstellenshop wollte, um etwas Kleines für das Nachtessen zu kaufen. Aber nun will sie nicht nochmals in den dunklen, nebelverhangenen Novemberabend hinaus. Sie ist froh Zuhause zu sein und niemanden mehr sehen zu müssen. Zudem ist sie ja sowieso dick genug und bringt ihren „fetten Arsch“ nicht um den Küchenherd herum, wie ihr Chef ihr heute wieder vorgeworfen hat.
Dass sie zu viele Pfunde auf die Waage bringt, das weiss sie selber, das muss man ihr nicht täglich unter die Nase binden. Aber schon als Kleinkind war sie immer etwas dicklich und in der Pubertät, als man sie in der Schule plagte – jeder Spott traf sie bis ins Mark. Als dann das mit Vater und Mutter begann – kaum jemand noch richtig kochte und sie sich in ihrem Kummer fast ausschliesslich von Süssigkeiten ernährte – da wurde es immer mehr. Aber auch dagegen wird sie anzukämpfen haben, das ist sie sich schon bewusst, aber dazu muss sie zuerst etwas Stabilität und Selbstvertrauen finden. Doch mit diesem Arbeitsplatz ist das nicht ganz einfach - und, das war ihr schon klar, aus einer hässlichen Ente wird niemals ein schöner Schwan.
Sofort fühlt sich Mirjam wieder mies und einsam. Niemand ist da, dem sie am Abend etwas erzählen könnte, der sie vielleicht ein wenig trösten würde und von dem sie etwas Wärme oder Geborgenheit zu spüren bekäme. Niemand scheint sich für sie zu interessieren, geschweige denn, sie zu mögen. Alle sind sie doch so selbstsicher, haben eine gute Ausbildung, tun so klug, sehen gut aus und haben ihre Freunde oder Familien. Da braucht man doch nicht noch so eine wie sie.
Dabei hätte sie gerne geredet, gefragt und diskutiert. Sie hätte gerne gewusst, wie andere über das denken, was sie beschäftigt. Aber so kann sie immer weniger ausloten, was richtig oder falsch ist, wo sie ihre Meinungen oder Ansichten zu ändern hatte, weil sie falsch waren und wo sie beharrlich weiter ihren Weg gehen konnte, weil er nicht völlig daneben liegt.
Mit einem heftigen Ruck zieht Mirjam die scheusslichen, dunkelroten Vorhänge zu. Sie sind vom Vorgänger noch in der Wohnung geblieben und Mirjam ist froh darüber, denn sie tun ja ihren Dienst. Irgendwann, davon ist Mirjam überzeugt, trifft sie auf Schöne im Brockenhaus. Am liebsten hätte sie ganz lange, die bis zum Boden reichen, mit viel gelb, wie die Strahlen des Sonnenscheins.
Eigentlich würde sich Mirjam, nach einer warmen Dusche, am liebsten sofort mit einer Wärmefasche ins Bett verkriechen. Denn zum Kochen hat sie heute sowieso keine Lust mehr und Brot ist ja keines da. Also schläft sie am besten ein, bevor sich der Hunger meldet. Vielleicht träumt sie ja etwas Schönes.
Doch, wenn sie bereits um sieben im Bett liegt, dann wacht sie wieder viel zu früh auf und diese schlaflosen Morgenstunden verstärkten nur ihre Angst auf den kommenden Arbeitstag.
„Ich könnte ja noch schnell einen Blick in den Blog werfen“, sagt Mirjam halblaut und schon drückt ihr Zeigefinger auf den grössten Knopf am PC-Gerät.
Nun hat sie genügend Zeit, sich noch eine grosse Tasse mit heisser Schokolade zu wärmen, denn das alte Internet-Ding ihres früheren Arbeitgebers, braucht gut zehn Minuten bis er gestartet und geladen ist. Sie hat den Computer von ihrer früheren Chefin zum Abschied geschenkt bekommen. Man hatte sich gerade einen Neuen gekauft.
In der Küche ist es etwas wärmer, weil sie den Rollladen immer geschlossen hält. Denn das Nachbarhaus ist sehr nahe gebaut und dort steht dauernd jemand am Fenster seines Badezimmers und sieht zu ihr herüber. Das ist ihr unangenehm. Zudem muss sie in dieser dunklen Jahreszeit sowieso immer das Licht einschalten.
„Ob ein neuer Kommentar eingetroffen ist?“, fragt sich Mirjam, während sie die Schränke nach etwas Süssem durchsucht. Sie hat sich in ihrer Wohnung das hörbare Denken angewöhnt, denn es unterbricht etwas die Stille. „Ich kann ja nur schnell nachsehen und nachher gleich ins Bett gehen, denn ich bin doch ziemlich müde.“
Aber meistens kann sie sich von ihrem Computer nicht mehr so schnell lösen, denn da tut sich für sie eine andere Welt auf. Ihre eigene Welt oder zumindest ihr kleines Dorf, das sie sich inzwischen erschaffen hat. Da wird getratscht, erzählt und geklönt, wie auf einem richtigen Dorfplatz. Manchmal kann sie lachen und manchmal macht es sie eher traurig. Hier taucht sie ein in die Geschichten und Schicksale und fühlt sich als vollwertiger Teil dieser Gemeinschaft. Man nimmt Anteil am Leben von anderen und erhält Zuspruch und Aufmunterung wenn das eigene Leben wieder einmal unerbittlich ist.
Hier wird sie nicht nach ihrem Äusseren beurteilt, noch will sie jemand ändern. Da darf sie sein, wie sie ist und auch, wenn sie halt manchmal etwas langsamer als andere denkt, hier merkt es niemand.
Es gibt einige die ihr folgen, ein paar die ab und zu etwas anmerken und eine knappe handvoll Bekannte, die sie zwar nicht persönlich kennt, die aber durch einen regelmässigen Austausch von Kommentaren inzwischen ein wenig vertraut sind.
Mit etwas süssem Gebäck und der dampfenden Tasse setzt sich Mirjam vor den Computer und öffnet ihren Internet Blog „Meine Traumwelten“.
Sie hat sich schon immer gerne in diese Welten zurückgezogen und darum hat sie ihrem Blog auch diesen Namen gegeben. Hier ist sie „die Traumfängerin“ und schlüpft in ihren Träumereinen als Traumfrau in die Personen, die sie gerne wäre und lebt in den Welten, die ihr in Wirklichkeit verwehrt bleiben. Das gefällt vielen, denn die grosse Sehnsucht nach einer anderen, traumhaften Welt bewegt viele.
Daneben beschreibt sie in einem unregelmässigen Tagebuch als „Klops“, das Leben das sie führt. Damit kann sie sich Luft verschaffen, kann erzählen was sie quält und loswerden was sie bedrückt. Natürlich verschleiert sie die Tatsachen so, dass bisher niemand auf die Idee kam, dass die bedrückenden Erlebnisse dieses dummen, dicken „Klopses“ Wirklichkeit sind und nicht bloss das Pendant zur herrlichen Welt der „Traumfängerin“.
Mirjam sieht wie immer zuerst im Tagebuch des „Klopps“ nach, ob ihr jemand zum letzten Eintrag etwas geschrieben hat. Doch hier gibt es nur selten Kommentare, denn die Leserinnen wollen sich nicht mit dieser tristen Welt befassen. Sie lassen sich lieber von ihren fantastischen Geschichten unterhalten.
Ein erstauntes „Oh!“ entwischt Mirjam. „Ein Kommentar wird angezeigt“ wundert sie sich vernehmlich.
Schnell öffnet sie das Kommentarfeld und liest halblaut:
„Liebe Unbekannte
Seit einigen Tagen lese ich immer wieder in deinem Blog. Er gefällt mir gut. Du kannst ganz schöne Geschichten schreiben.
Vor allem dein Tagebuch berührt mich, denn vieles das Du dort als „Klops“ schreibst, kommt mir bekannt vor. Weil manchmal erlebe ich Ähnliches, wie du es beschreibst. Ich bewundere, wie gut du dich in so eine Person versetzten kannst und es tut mir gut, dass du schreibst, was ich manchmal fühle, auch wenn du es nur erfindest. Leider kann ich nicht so schreiben wie du, entschuldige bitte.
Das wollte ich dir nur einmal mitteilen.
Liebe Grüsse“
Mirjam liest es zweimal, dreimal und ein feines Lächeln überzieht ihr Gesicht. Ihr wird warm und sie zieht den Mantel aus.
® Copyright by Herr Oter 2012
:(
Dienstag, 28. August 2012
Anna, eine Kinderseele trifft ihren Vater
Anna,
eine Kinderseele trifft ihren Vater
Sein Atem wird nun etwas ruhiger, nachdem sich seine Schritte verlangsamt haben.
Paul war solange bergan gerannt, bis seine Lungen nicht mehr mitmachten und in seinem verhärmten Zustand - er hatte in den letzten Monaten fast zehn Kilo an Gewicht verloren - japste er bereits nach wenigen Minuten wie ein Ertrinkender nach Luft. Nun ist er völlig ausgepumpt, seine Luftröhren brennen und sein kopfloses Voranstürmen hat sich in ein kraftloses Dahinschleichen gewandelt. Seine Füsse, die noch immer in den Hausschuhen stecken, wie er eben feststellt, schlurfen jetzt beinahe schlaff über den mit bunten Herbstblättern bedeckten Waldweg.
Aber, endlich kann er wieder einige folgerichtige Gedanken aneinander reihen, nachdem sich das Karussell im Kopf in den letzten Stunden sinnlos immer schneller gedreht hatte, bis er schier wahnsinnig wurde. Auch die fast unerträgliche Spannung in seinem Innern, ist nun einer zaghaften Unsicherheit gewichen. Nur der ständige Druck im Magen, der zentnerschwere Klotz, der ihn wie ein riesiges Geschwür auszufüllen scheint und ihm den Appetit raubt, hat noch nicht nachgelassen.
Lange vor dem ersten Grauen des Tages, schreckte Paul, wie so oft im letzten halben Jahr, ruckartig aus dem mit beklemmenden Träumen gestörten Schlaf auf, weil er vermeintlich Annas Stimme nach ihm rufen gehört hatte. Nach solchen Alpträumen war sein Nachtanzug jedes mal schweissgebadet. An ein nochmaliges Einschlafen war nicht mehr zu denken. Doch heute, am Geburtstag von Anna, war seine Verfassung besonders schlimm und seine Gedanken drehten sich vor Kummer und Schmerz immer schneller. So, dass er befürchtete, die bröckelnde Fassung, die ihn normalerweise zusammenhielt, heute vollends zu verlieren.
Nachdem er sich über eine Stunde lang im feuchtwarmen Bett gewälzt, gekrümmt und ins Kopfkissen verbissen hatte, war er entnervt aufgestanden und hatte über den Schlafanzug einfach einen alten Trainer angezogen.
Noch immer so bekleidet, ist er jetzt im Wald unterwegs und langsam beginnt er zu frösteln, weil sein Pyjama bei der Rennerei nicht trockener geworden ist und der dicke Herbstnebel von aussen durch die dünne Kleidung dringt.
Nachdem er im Dunkeln, mit der leergetrunkenen Kaffeetasse in der Hand, Runde um Runde um den Küchentisch gedreht hatte und dabei wieder einmal immer tiefer in den Sumpf der Trauer gezogen wurde, war er um nicht ganz durchzudrehen, im anbrechenden Morgengrauen völlig kopflos aus dem Haus und über die Landstrasse gestürmt und gerannt bis er nicht mehr konnte. Erst als sich seine Lungenflügel nach aussen kehren wollten, brachte das Davonrennen etwas Linderung und klärte seinen Verstand.
Er merkt, dass er unbeabsichtigt auf den steilen Weg zur Ruine gelangt ist.
Abrupt bleib er reflexartig stehen, denn dieser Waldpfad führt ihn auch zum Feenwald. Und dorthin kann er nicht mehr! Unmöglich! Nicht an den Lieblingsplatz seiner Tochter. Das geht nicht – nie mehr! Nein!
Alles schreit in ihm und sein Magen zieht sich wieder schmerzhaft zusammen.
Am liebsten hätte er sich jetzt auf dem Waldweg gelegt, sich zusammengerollt wie ein Wurm und sich in seinem Schmerz gesuhlt.
Soll er umkehren oder doch weiter laufen? Alles hat sich bisher immer vehement dagegen gesträubt.
Doch trotz der Zweifel, weiss Paul, dass er es heute, zum ersten Mal nach Annas Tod vielleicht schaffen könnte.
Es wäre möglicherweise eine Linderung seiner Sehnsucht, überlegt er und je tiefer er nun in den Wald kommt, umso mehr zieht es ihn zum Platz, den er meinte, nie mehr betreten zu können.
Der Weg wird schmaler und schon bald kommt die enge Kurve, nach der sich, verdeckt durch das Dickicht, ein fadendünner Trampelweg seitlich vom Wanderweg der zur Ruine führt, trennt.
Seine Tochter wollte vor etwa drei Jahren trotz Pauls Bedenken unbedingt diesen schmalen Weg durchs Dickicht gehen. Vielleicht in der Hoffnung eine Abkürzung zur Ruine zu finden oder einfach um wiedereinmal einen neuen, interessanteren Weg zu entdecken.
Doch der unwegsame Pfad führte sie bald zu einer undurchdringlichen Hecke aus wilden Brombeerstauden und für Paul war somit der Abstecher beendet. Doch Anna fand, als Paul bereits auf dem Weg zurück war, eine kleine Öffnung und schlüpfte behände durch.
„Papi, Papi, schau, da ist ein Tunnel“ rief Anna aufgeregt und schon war sie verschwunden.
„Anna, komm zurück!“, doch Pauls Rufen brachte Anna nicht zur Umkehr und so zwängte er sich ziemlich widerwillig und mühsam, tief gebeugt ebenfalls durch die Stauden. Überall zerkratzten ihn die stacheligen Zweige und das ärgerte ihn. Warum konnte seine Tochter manchmal einfach nicht folgsam sein?
Dahinter, wie durch den grünen Schutzwall behütet, sah Paul einen sorgsam verborgenen Pfad, der nach einem kurzen Anstieg und ein paar Biegungen zu einer sonnigen Waldlichtung führte. Als er dort ankam, sass Anna bereits mit verträumten Augen auf einem moosbewachsenen Baumstamm, der wie eine gepolsterte Sitzbank am Stamm eines mächtigen Eichelbaumes lag.
Anna hatte den Kopf auf den Knien abgestützt und liess den Blick staunend über die Waldlichtung streifen. Paul, der eben noch mit Anna schimpfen wollte, setzte sich, ebenfalls tief beeindruckt von dieser traumhaften Welt, sprachlos neben seine Tochter auf den Baustamm und liess diesen geheimnisvollen Ort still auf sich wirken. So etwas Zauberhaftes hatte er noch nie gesehen.
Es schien, als ob dieser märchenhafte Platz noch nie von einem Menschen betreten worden wäre. Mitten durch die zum Teil mit feinem Moos bewachsenen Steine floss ein silbrig glänzendes Bächlein und überall blühte es in den herrlichsten Farben. Ein paar Schmetterlinge und dicke Hummeln flogen von Blüte zu Blüte und oft sah man unterschiedlich schimmernde Käfer über das mit Moos überzogene Geäst am Boden krabbeln. Grosse Waldameisen waren eifrig am Werk und ab und zu flatterte ein Vogel von Baum zu Baum. Zwischen den Ästen glitzerten im Sonnenschein grosse Spinnennetze und überall summte und zwitscherte es wie in einem mondänen Konzertsaal. Der friedliche Einklang aller Lebewesen und Elemente schien hier in Vollkommenheit zu existieren.
Nichts schien dieses behutsame Idyll zu stören und Paul war, als sei hier die Zeit ewig stehen geblieben. Diese Harmonie schien das Universum und die Ewigkeit zu verbinden. Eine bisher unbekannte Seligkeit überkam ihn. So stellte er sich zukünftig das Paradies vor.
Nach einer geraumen Zeit des Sehens und Staunens fragte Anna mit ehrfürchtig gedämpfter Stimme:
„Gibt es hier Feen, Papa?“
Paul, ganz verzaubert von diesem mystischen Ort, flüsterte zu Anna:
„Wenn es Feen gibt, dann hier!“
Seitdem hatte Anna die abgelegene Waldlichtung den Feenwald genannt.
Paul musste mit Anna fortan bald täglich mit ihr dorthin. Sie wurde vom Paradies regelrecht angezogen. Sogar wenn es regnete, stiefelten die Beiden in ihren farbigen Pelerinen hinauf zu Anna's Lieblingsplatz und immer wieder musste ihr der Vater neue Geschichten über Feen, Elfen, Wassernymphen, Zwerge und andere Fabelwesen erzählen. Anna bekam nie genug davon und so hatte er für die gwundrige Kleine ständig neue Geschichten zu erfinden, denen sie völlig fasziniert zuhörte, während sie mit den Augen unablässig die Waldoase nach ihnen absuchte. Leider immer vergebens.
Es gelang ihr nie, auch nur eines dieser fabelhaften Lichtgestalten wirklich zu sehen. Sie konnte noch so leise und vorsichtig diesen mystischen Platz betreten, immer waren die Geister bereits unsichtbar verschwunden, nur spüren konnte man sie noch allenthalben. Anna suchte sie hinter den herumliegenden kleinen Felsbrocken, unter grossen Blättern und in morschem Holz. Manchmal meinte sie, dass sich eine dieser blickscheuen Gestalt in einem grossen Wassertropfen spiegeln würde – aber auch wenn sie sich dann schnell umdrehte, der Naturgeist war bereits verschwunden. Oft sass sie minutenlang mit geschlossenen Augen im Moos und hoffte, dass wenn sie nur schnell genug die Lider öffnete oder den Kopf aus den verschränkten Armen hob, so könnte sie einen Blick auf ein geheimes Fabelwesen oder eine rätselhafte Lichtgestalt erhaschen, bevor es Zeit hatte zu verschwinden. Doch nie gelang es ihr und Paul musste sie oft damit trösten, dass es halt nur mit langer Übung und festem Glauben daran, möglich war.
So war sie manchmal etwas traurig, wenn sie den Feenwald wieder verliessen und noch einige Male drehte sie sich ganz rasch um – bis sich die geheimnisvolle Welt vor ihr wieder verschloss, bis zum nächsten Besuch.
Paul war inzwischen bei der Brombeerhecke angekommen. Jedes Mal musste er sich ziemlich ducken, damit er durch die kleine Öffnung im Gestrüpp hindurchschlüpfen konnte. Es war, als dürfte in das dahinter Verborgene nur eintreten, wer klein war oder sich ganz klein machen konnte.
Doch heute kroch Paul gar auf allen Vieren rasch durch die Stauden, als hätte er Angst zu spät zu kommen. Dabei hatte er sich in den letzten Monaten, nachdem Anna so plötzlich an einer unerklärlichen Infektionskrankheit gestorben war, überhaupt nicht vorstellen können, dass er auch nur noch einmal durch dieses Schlupfloch kriechen würde. Nur schon der Gedanke daran, dass er jemals wieder den Lieblingsort seiner Tochter betreten würde, liess bisher seinen Atem stocken und Schweissperlen auf die Stirne treten.
Nachdem er das natürliche Hindernis überwunden hat und er sich auf dem gewundenen Pfad der nebelverhangenen Lichtung nähert, beschleicht ihn eine grosse Traurigkeit. Noch nie hat er ohne Anna diesen himmlischen Ort betreten.
Ach, wie er sein Mädchen vermisste. Sein Sonnenschein, sein grösstes Glück das ihm noch geblieben war. Grosse Tränen rinnen über Pauls Backen und er fühlt sich wieder richtig mies. Unsicher stolpert er zur Waldlichtung.
Ob er es ohne sein Liebstes überhaupt schaffen würde, ihren Feenwald zu betreten?
Dicke Nebelschwaden hängen zwischen den mächtigen Tannen und Laubbäumen. Alles scheint unwirklich, verschlossen und geheimnisvoll.
Etwas zaghaft und bange betritt Paul die Waldlichtung, atmet tief ein und füllt seine Lungenflügel mit der würzigen Waldluft. Wie früher ist Paul augenblicklich vom geheimnisvollen Anblick dieser kleinen, mystischen Welt verzaubert.
Langsam setzt er sich auf den Baumstamm unter dem Eichelbaum, der noch etwas feucht ist. Just in diesem Moment lichtet sich der Nebel über den Baumwipfeln und die ersten goldenen Sonnenstrahlen breiten sich auf Paul's Gesicht aus. Er zieht die Trainer-Jacke aus und schiebt sie sich zusammengerollt ins Kreuz. Schutzbedürftig lehnt er sich an die rauhe Rinde des kräftigen Baumstammes, der ihm Schutz und Kraft spendet.
Paul schliesst geblendet vom Sonnenlicht die müden Augen, spürt die wohlige Wärme auf seinem Gesicht und sein Atem wird ruhiger. Ein matte Trägheit breitet sich in seinem Körper aus. In Gedanken ist er nun ganz nahe bei seiner Tochter Anneli. Er meint, sie förmlich neben sich wahrzunehmen. Als sei es wie früher, als sie noch gemeinsam hier sassen und träumten.
Paul spürt die grenzenlose Harmonie dieser kleinen, stillen Welt, als wäre er mit ihr verwoben. Er hört das leise Rauschen der Baumkronen, bemerkt das ruhige Atmen der Pflanzen und spürt die feinen Schwingungen der Baumseelen, die ihm mit ihrer starken Verwurzelung Erdkraft spenden. Der wundervolle, mit kleinen farbigen Blumen bestickte Moosteppich zu seinen Füssen wird mit dem goldenen Licht der Sonne übergossen und dazwischen fliesst munter das kristallklare Wasser des silbern glänzenden Bächleins über die moosbedeckten Steine. In dessen Strom, bestehend aus lauter feinen, weichen Perlen tummeln sich purzelnd lustige Zwerge und liebliche Waldschraten, der kaum spürbare Wind trägt ihr Lachen und Jauchzen zu Paul. Auch hört er das friedliche summen der Bienen, das sanfte Schlagen der bunten Schmetterlingsflügel und das ständige Wispern und Säuseln der übrigen Insekten. Auf dem flauschigen Moosteppich sitzen schwatzende Elfen, mit sich selbst beschäftigt und in Spinnennetzen liegen zierliche Feen und erholen sich, sachte hin und her schaukelnd, von ihrer wundertätigen Arbeit. Sie werden von putzige Wichteln mit herrlichem Nektar und anderen Köstlichkeiten aus dem Wald verwöhnt.
Anna, schiesst es Paul durch den Kopf. Ach, könnte sie das alles nur sehen! Endlich könnte sie es sehen! Wie wäre sie doch glücklich!
Plötzlich legen sich zwei dünne Ärmchen um seinen Hals und Paul hört Annas vertraute Stimme an seinem Ohr.
„Papa, mein lieber Papa, endlich bist du gekommen. Ich warte hier schon so lange auf dich.“
Anna drückt ihren Vater und setzt sich wieder federleicht neben ihn auf den Baumstamm.
„Siehst du, du hattest recht. Es ist genau so, wie du es mir immer erzählt hast und endlich kann ich es auch sehen.“
Die Kleine sieht zu Paul hinauf und ihre sanftblauen Augen leuchten, wie er es noch nie bei jemandem gesehen hat.
„Papa, ich bin hier so glücklich! Hier ist es so wunderschön und mir geht es wirklich gut, mit allen meinen neuen Freunden. Ich wurde erwartet und liebevoll aufgenommen und nun ich bin ein Teil von ihnen.
Schau dort drüben, noch jemand den du kennst!“
Paul dreht den Kopf und sieht eine etwas grössere Lichtgestalt näher kommen. Sie stand schon eine geraume Weile an den mächtigen Stamm einer sehr alten knorrigen Tanne gelehnt.
Freundlich lächelnd sagt sie: „Hallo Paul, wie schön, dass du gekommen bist.“
Paul wird unwillkürlich an seine Mutter erinnert. „Mutter?“ fragt er, die Gestalt lächelt, streckt die Hand aus und ein zarter Hauch streichelt sein Haupt.
„Auch meine Mutter hat hier auf mich gewartet und mich in Empfang genommen“, sprudelt es weiter aus Annas Mund. Sie ist auch jetzt ganz in unserer Nähe, aber sie möchte sich heute nicht zeigen, damit es für dich nicht zu viel wird. Aber ich soll dich von ihr ganz lieb grüssen.“
„Komm Anna“, unterbricht nun das grössere Wesen mit sanfter Stimme. „Nun ist es Zeit, Paul gehen zu lassen. Er wird noch gebraucht und hat noch wichtige Dinge zu erledigen. Aber irgendwann wird er wieder bei uns sein.“
„Ja, ich komme“, sagt Anna mit einem Lächeln zu ihrer Oma. „Ich glaube, dass nun alles gut sein wird und ich jetzt mit dir weiter gehen kann.“
Anna wendet sich wieder zu Paul um sich von ihm zu verabschieden.
„Sei nicht mehr traurig, mein lieber Papa. Ich bin hier wohl und du brauchst Dir um mich wirklich keine Sorgen zu machen.“
„Schau, ich habe hier ein kleines Geschenk für dich, das Dir immer Trost und Zuversicht schenken soll.“
Anna öffnet ihre kleine Hand und legt ein kurzes Ästchen mit vier Eicheln auf die Bank neben ihren Vater. Noch einmal drücken ihre schlanken Arme seinen Hals.
Die beiden nehmen sich an der Hand und gehen, ohne kaum den Boden zu berühren. Noch einmal drehen sie sich um, winken lächelnd und dann werden sie immer kleiner, mischen sich unter die anderen und sind bald von ihnen nicht mehr zu unterscheiden.
Paul öffnet mit einem seligen Lächeln im Gesicht die Augen. Die Nebel haben sich ganz aufgelöst und die Sonne steht etwas höher am blauen Himmel.
Paul ist es ganz leicht ums Herz, so wie schon seit Monaten nicht mehr. Ein tiefes Glücksgefühl und eine mächtige Kraft durchströmt seinen Körper.
Hat er geschlafen und geträumt?
Paul greift nach seiner Jacke und sieht, dass neben ihm eine dünnes, kräftiges Ästchen mit vier Eicheln liegt.
;)
Mittwoch, 25. Juli 2012
Teil 4: Der Seitensprung – neues von Sybille und Thomas
Der Seitensprung
„Was denkst du über einen Seitensprung, Thomas?“ fragt Sybille plötzlich und unterbricht damit abrupt eine „Schweigeminute“ in der jeder ergriffen von malerischer Schönheit und tiefer Beschaulichkeit in seinen Gedanken versunken war.
Die beiden sitzen an diesem herrlich warmen Sommermorgen einträchtig nebeneinander auf zwei Baumstrünken am Rande ihrer „Waldoase“, wie sie diesen Platz hier inzwischen nennen.
Ganz zufällig sind sie vor wenigen Wochen auf dieses lauschige Plätzchen gestossen, nachdem Thomas wieder einmal einen neuen, unscheinbaren Trampelpfad zwischen dicken Baumstämmen und dichtem Unterholz ausgemacht hatte. Sybille sind solch abenteuerliche Entdeckungsstreifzüge inzwischen nicht mehr fremd und oft sind sie ja auch ziemlich spannend. Dafür nimm sie auch zerkratzte Beine und Arme in Kauf, nicht zuletzt, weil Thomas dabei immer von einem eigentlichen „Jagdfieber“ gepackt wird, als gälte es einen grossen Schatz zu finden. Das macht ihn um Jahre jünger, voller Elan und Übermut und dazu kann er grinsen, wie ein Junge der gerade einige rotbackige Äpfel unerkannt aus Nachbars Garten stibitzt hat.
Dann, anfangs Juli, fanden sie prompt dieses Kleinod hier. Es wurde schnell zu ihrem Heiligtum.
Umsäumt von mächtigen Tannen macht sich eine kleine, verwunschene Wiesenfläche breit, an deren Rand zwei Baumstümpfe nebeneinander im Vormittagsschatten stehen. Manchmal, wenn sie Glück haben, treffen sie auf ein Reh beim äsen oder einmal sahen sie einen jungen Fuchs, der sich aus dem üppigen Unterholz auf die Grasfläche hinaus gewagt hatte.
Hier, an diesem Ort der Erbauung, sind sie inzwischen wöchentlich ein-, zweimal und lassen sich von der friedlichen Stimmung und ihrer raren Zweisamkeit verzaubern. Meistens sitzen sie für längere Zeit einfach andächtig da und sind sich ihres grossen Glücks bewusst, wie gleich eben.
Darum ist Thomas ob der plötzlichen Frage auch sichtlich erstaunt, ja, fast etwas verdattert. Er dreht sich ruckartig zu Sybille um und fragt ziemlich verunsichert: „Wie ehm, wie kommst du nun darauf?“
Beim Anblick seines belämmerten Gesichtsausdruckes muss Sybille schallend lachen und damit ist auch schon mal klar, dass sie heute auf keine Wildtiere mehr zu hoffen brauchten.
Thomas erholt sich aber rasch von ihrer unerwarteten Frage und wird sogleich von Sybille's glucksendem Gelächter angesteckt. Man sieht es ihm an, dass er sich durch ihre Reaktion gleich wieder wohler fühlt.
„Nicht, was du wieder denkst oder befürchtest, Thomas“, prustet Sybille heraus und legt dabei ihre Hand beruhigend auf seine Achsel. Thomas ärgert sich ein wenig, dass sie seine Gedanken inzwischen jederzeit lesen oder zumindest erraten kann.
„Ich rede nicht von mir, sondern von .... ähm, einer Kollegin, die ich zufälligerweise in der Stadt dabei erwischt habe, wie sie einen Mann, der nicht der ihre ist, in einer etwas verborgenen Ecke geküsst hat“ erklärt Sybille ihre Frage etwas genauer.
„Oh, pikant!“ entfährt es Thomas ungewollt.
„Nun“, fährt Sybille fort, „ich kenne ihren Mann, ein lieber Kerl, der manchmal zwar etwas zu gutmütig ist, aber er ist bestimmt ein ganz lieber Ehemann.“ Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht und Thomas wundert sich etwas.
„Nun gut“, erzählt Sybille weiter, „die Beiden sind inzwischen ebenfalls viele Jahre zusammen und vielleicht ist ihr Alltag halt manchmal auch etwas öde geworden. Die stürmische Zeit hat sich vermutlich leise davon geschlichen, das Herzklopfen und Kribbeln fehlt inzwischen und wenn man diese Lücke nicht mit einem anderen Gefühl zum Partner füllen kann, dann entsteht natürlich schon mal eine Lehre, die einem lästig werden kann. Ihre Kinder sind bereits etwas grösser und wenn man da den richtigen Zeitpunkt nicht findet, an dem man sich wieder vermehrt auf die Partnerschaft und auf gemeinsame Unternehmungen zu zweit konzentriert, dann kann ich mir schon vorstellen, dass Frust und Unzufriedenheit entstehen können, meinst du nicht auch?“
„Sicher, Sybille, das kommt vermutlich in jeder Beziehung vor. Es fragt sich einfach, was man gemeinsam dagegen unternimmt“, sagt Thomas und sein Blick gleitet gedankenverloren über die kleine Matte zum gegenüberliegenden Waldrand, als müsste dort eine Antwort zu finden sein.
„Deine wohlwollende und ausführliche Erklärung, liebe Sybille, zeigt mir doch ein gewisses Verständnis für die Situation deiner Kollegin, habe ich recht?“
„Weisst du, Thomas, seit ich dich kenne, sehe ich die Sache schon etwas anders als früher. Ich mag ihr die Gefühle, die sie mit diesem Mann sicher empfindet, von Herzen gönnen. Ich weiss, wie schön dieses Prickeln ist und wie positiv sich eine Liebschaft auf das Lebensgefühl auswirkt. Einfach ein paar Stunden des Glücks und – doch für eine ganze Ewigkeit genug.“ Sybille hat den Schluss des Satzes nur noch leise vor sich hin geflüstert, trotzdem sind sie Thomas nicht entgangen.
„Ja, von aussen betrachtet, hast du sicher recht, Sybille,“ bringt Thomas sie wieder in die Wirklichkeit zurück. „Es fragt sich einfach, wie es in ihr drinnen, in ihrem Herzen und in ihren Gedanken aussieht. Wie sind ihre wirklichen Gefühlen dem anderen gegenüber. Was kommt nach dem Kuss, wie geht es weiter mit den Beiden. Kennst du auch ihn?“
„Nein“, antwortet Sybille, „ich habe ihn dort das erste Mal gesehen und ich weiss natürlich auch nicht, ob sie ihren Mann schon länger betrügt. Auch kann ich nicht einschätzen, ob sie weiter gehen wird, als nur dieser etwas längere Kuss, wenn die Situation günstig ist. Vielleicht haben sie ja bereits miteinander geschlafen. Aber gehen wir nun mal davon aus, dass es noch nicht so weit gekommen ist. Findest du es schlimm, was sie macht?“
Thomas lächelt. „Dass deiner Kollegin das aufregende Beisammensein mit diesem Mann Spass macht, das können wir beide natürlich gut verstehen“, antwortet er und sieht dabei verstohlen mit seinem spitzbübischen Lächeln, das ihr so gut gefällt, zu Sybille hin.
„Also dürfen wir sie ganz bestimmt nicht verurteilen. Aber ich bin sowieso der Meinung, dass man das durchaus auch mal geniessen darf, denn es macht einem ja auch richtig gute und schöne Gefühle, nicht wahr meine Liebe? Man muss einfach aufpassen, dass es niemand merkt.“
Beide sehen sich für einen kurzen Moment mit einem etwas verschleierten Blick in die Augen und man wüsste gerne, was jeder dabei gedacht hat.
„Um bei deiner Kollegin zu bleiben,“ nimmt Thomas den Faden rasch wieder auf, „seine Aufmerksamkeiten und Komplimente werden ihre Wirkung bei ihr sicher nicht verfehlen. Endlich wird sie wieder einmal als attraktive Frau wahrgenommen. Ihre Weiblichkeit wird geschätzt und das wird sich sicher positiv auf ihr Selbstwertgefühl auswirken. Denn, wer bekommt nicht gerne Komplimente und Anerkennung. So eine Liebschaft kann doch ganz schön unter die Haut gehen. Man fühlt sich wieder jung und begehrt, glaubt vielleicht ein noch nie da gewesenes Glück gefunden zu haben. Die Probleme und Schwierigkeiten des Zusammenlebens sind ja in so einem Verhältnis weitgehend ausgeschaltet. Man träumt davon, dass mit einer neuen Liebe alles im Leben vielleicht besser wird. Diese Hoffnung und die neue Lebensfreude lässt einem doch Flügel wachsen, nicht wahr?“
„Nur ob dem denn so ist, das sei mal dahingestellt“ sagt Thomas nach kurzer Pause eher zu sich selbst. „Oft ist das doch eine Illusion.“
„Aber eigentlich sind das doch alles ganz positive Eigenschaften“, fordert ihn Sybille etwas heraus. „Warum ist dagegen etwas einzuwenden?“
„Da hast du natürlich recht, meine Liebe. Wenn da nur nicht der Partner Zuhause wäre, der einem zu einem Versteckspiel zwingt und das dazu notwendige Lügen meistens einem auch noch schlechte Gefühle bescheren würde.
Aber vielleicht ist es ja auch gerade das, was einen Teil des Reizes ausmacht. Etwas Abenteuer im tristen Leben. Das Verbotene, das Verborgene, das Neue und das Geheimnisvolle. Diese Gefühle kann der ewige Trott Zuhause natürlich nach so vielen Ehejahren nicht mehr bieten, das ist klar. Ich glaube, manchmal steigert gerade das die Attraktivität einer neuen Verliebtheit ungemein.
„Ja, das ist schon möglich“, bejaht Sybille.
„Doch könnte sich diese reizvolle Abwechslung nicht auch positiv auf ihre Ehe auswirken? Ich weiss von jemandem, bei denen durch einen Seitensprung wieder mächtig Schwung in die Liebe und ins Ehebett kam. Könnte es nicht sein, dass durch ihre grössere Lebensfreude und das gesteigerte Selbstbewusstsein, sich sogar ihr Partner wieder mehr von ihr angezogen fühlt? Dazu kommt oft noch das schlechte Gewissen, das wieder mehr Aufmerksamkeit dem Partner gegenüber geradezu herausfordert. Man gibt sich vielleicht wieder etwas mehr Mühe, damit er ja nichts merkt oder damit er sich wieder schneller beruhigt, wenn er es bereits weiss“.
„Ja“, unterstützt sie Thomas, „ich glaube schon auch, dass so eine Romanze einer festgefahrenen Beziehung durchaus auch gut tun kann, wenn man daraus die richtigen Lehren zieht und einem schlussendlich die Ehe doch wichtiger ist.
Zumindest ihr wird es auf jeden Fall etwas Abwechslung und Optimismus in den schnöden Alltag bringen. Dabei spielt doch auch mal ein Küsschen oder etwas mehr keine grosse Rolle. Man nimmt ja dem Anderen ja nichts weg.
Aber eben, es ist halt immer etwas gefährlich. Wie oft wirft jemand für diese tollen, kribbeligen Gefühle alles über Bord um später festzustellen, dass nach ein paar Jahren der selbe Punkt wieder erreicht ist, wenn man an sich und der Partnerschaft nicht ständig gearbeitet hat. Jeder will zwar immer frisch verliebt sein und ständig mit tausenden Schmetterlingen im Bauch auf einer rosaroten Wolke schweben, aber etwas dazu beitragen, das macht dann schon zu viel Mühe.
Aber ich finde, eine langjährige Beziehung hat doch auch ihr grossen Vorteile. Vor allem im Alter. Aber das ist wieder ein anderes Thema.“
„Hmm, ich weiss nicht Thomas, ich glaube, dass du das vielleicht doch etwas zu optimistisch siehst“, meint Sybille mit einem Lächeln. „Meinst du nicht, dass sie vielleicht Zuhause nur noch unzufriedener wird?“
„Ich bin überhaupt etwas erstaunt, Thomas, dass du so denkst. Ich habe immer gedacht, dass gerade du nie ...... Ich meine, dass gerade du für eiserne Treue in der Partnerschaft bist.“
„Ach, weisst du, Sybille, ich glaube, dass es heute nicht einfach ist, eine Beziehung über eine lange Zeit aufrecht zu erhalten. Da hat sich doch vieles geändert in den letzten Jahrzehnten. Man ist toleranter und unabhängiger geworden und manchmal kann ich auch verstehen, dass es heutzutage ein bisschen Abwechslung braucht oder halt jemand kommt, bei dem man gewisse Bedürfnisse besser abdecken kann, als mit dem Partner. Das siehst du ja bei uns.
Aber wie weit man dabei gehen darf, das muss sich halt jeder selber überlegen und mit seinem Gewissen vereinbaren. Ich kann gut verstehen, wenn andere diese Grenze früher gezogen haben wollen.
Ich versuche bei mir auch, solch verfängliche Situationen zu vermeiden, da hast du schon recht, Sybille. Nicht, weil mich eine amouröse Beziehung, niemals reizen könnte. Davor bin auch ich nicht gefeit. Aber erstens habe ich Angst vor den Folgen eines Seitensprunges, denn ich glaube, dass eine intime Freundschaft bedeutend komplizierter würde und zweitens möchte ich das auch meiner Partnerin nicht antun. Ich käme mir etwas schäbig vor. Denn ich glaube, sie würde es als Betrug empfinden – und, weil ich das annehme, würden vermutlich mein Gewissen und meine Selbstachtung darunter leiden.“
„Aber“, hackt Sybille nach, „wie würdest du denn reagieren, wenn du deine Partnerin, in derselben verfänglichen Situation gesehen hättest wie ich, ähm.. , ich meine, so wie ich meine Kollegin? Oder angenommen, du würdest von anderen davon erfahren?“ hackt Sybille nach.
„Wäre ich selber betroffen, würde ich mich bestimmt grosszügig ihr gegenüber verhalten.
Denn als liebender Partner müsste man doch seiner Liebsten diesen Flirt und diesen Kuss eigentlich von Herzen gönnen können, weil es eben ein so tolles Gefühl ist, begehrt und bewundert zu sein“, antwortet Thomas und lacht dabei.
„Nein, im Ernst, natürlich würde es mich im ersten Moment heftig treffen und ich würde darüber zuerst gerne genau Bescheid wissen wollen. Ich würde intensiv das Gespräch zu ihr suchen, um herauszufinden was, warum und wie lange die ganze Sache schon dauert. Ich denke auch, dass meine Partnerin gut daran täte, mir offen und ehrlich Auskunft zu geben, denn das schafft doch nebst Klarheit auch schon wieder etwas Vertrauen.
Aber schlussendlich würde ich, zugunsten einer langen und im Prinzip guten Partnerschaft, vermutlich sogar auch mal einen Seitensprung meiner Partnerin in Kauf nehmen, wenn die Umstände halt dementsprechend waren. Oft spielt ja Alkohol, ausgelassene Stimmung, Ferien oder eben ein kurzer Flirt dabei eine nicht unerhebliche Rolle.
Natürlich meine ich nur einen Ausrutscher, eine einmalige Sexgeschichte und nicht mehrere oder wochenlange intime Liebesbeziehungen.“
„Ja, ich glaube wirklich, man sollte eine gute Partnerschaft nicht unbesonnen oder aus einer Kränkung heraus beenden.
Mit einer „grosszügigen“ Geste könnte ich zudem meiner Partnerin auch wirklich beweisen, dass ich sie, gemäss einer oft zitierten Floskel, „über alles“ liebe. Dieser „grossherzige Liebesbeweis“ könnte vielleicht sogar nachhaltige Auswirkungen auf meine Partnerin haben und ihre Liebe zu mir umso mehr festigen. Versuchen sollte man es meiner Meinung nach auf jeden Fall.
Thomas macht eine Pause und Sybille nickt. Aber sie scheint ganz in ihre Gedanken vertieft zu sein, bis er wieder fort fährt:
„Dieser , sagen wir mal, „Abstecher“, müsste mir aber eigentlich auch als Fingerzeig dienen und mir die Augen öffnen, dass meine Liebste vielleicht etwas vermisst oder, dass man in der Beziehung dringend etwas verändern sollte, wenn man sie langfristig erhalten will. Diesen Ausrutscher könnte man also gut zum Anlass nehmen, sich wieder einmal vertieft und ausführliche über die Beziehung, die Vorstellungen, Wünsche und Nöte, die sicherlich beide haben, zu unterhalten. Meistens hat sich da ja sowieso schon manch Unausgesprochenes aufgestaut.“
„Ja, du hast recht, Thomas, daran hapert es doch bei den meisten Paaren, findest du nicht auch? Die meisten reden erst, wenn es zu spät und der Mist bereits verschüttet ist.“
Thomas muss über diese Bezeichnung lächeln, denn war es früher die Milch, so ist es nun der Mist. Aber in diesem Zusammenhang findet er diesen abgeänderten Ausdruck ziemlich treffend.
„Nur, meine Liebe, so offen und ehrlich wie wir miteinander reden, reden wir in unserer Beziehung doch auch nicht immer, oder?“
„Das stimmt, Thomas, aber in meiner Partnerschaft ist es auch nicht so einfach wie mit dir. Dort geht es auch nicht um Theoretisches, Annahmen oder Kolleginnen, sondern meistens um den Partner und da fühlt er sich dann schnell betroffen, ungerecht behandelt und dann ist er beleidigt – vorbei mit der Diskussion. Aber ich gebe zu, auch bei mir ist es manchmal nicht anders. Es ist eben schon nicht so einfach, wenn es ans „Eingemachte“ geht.“
Thomas grinst und fragt Sybille:
„Was würdest denn du von deinem Mann akzeptieren, wüsstest du von einem Seitensprung?“
„Das ist für mich eben gar nicht so einfach“, antwortet Sybille nachdenklich.
„Ich bin da hin und her gerissen. Mal denke ich, was ist denn da schon gross dabei, der Partner verliert ja nichts und wer weiss, was der andere so alles treibt. So ein Kuss, eine Umarmung – das ist doch bloss eine „Schwärmerei“, nichts Ernstes, nichts Gefährliches. Man würde es vermutlich ja auch nie erfahren.
Doch, wenn es einem dann selber trifft.... – so eine Entdeckung verunsichert einem schon sehr.
Ich frage mich, wie ehrlich sind seine Erklärungen, wie offen ist er wirklich zu mir und was geht wirklich in ihm vor. Waren es bloss die Umstände oder hat es einen tieferen Grund. Liebt er mich überhaupt noch.
Ich wäre vermutlich nicht so tolerant wie du.“
„Ich würde eigentlich auch gerne meinem Partner danach wieder voll vertrauen können, doch was weiss man schon über die innersten Gedanken und Gefühle seines Liebsten.
Aber vielleicht würde ich es auch einfach akzeptieren, weil ich ihn ja liebe. Doch ich hätte vermutlich schon ziemlich lange, bis ich es ganz verdaut hätte.
Ein anderes Mal denke ich dann wieder, es kann ja wirklich jedem mal passieren, dass er sich halt plötzlich in einen anderen verliebt und einfach nicht mehr zurück kann, oder?“
„Ja, klar, das kann jedem passieren, das glaube ich auch. Aber ich meine eben, das geschieht nicht plötzlich oder einfach so und unbewusst.
Liebe auf den ersten Blick, das kommt doch eher selten vor. Meistens merkt man doch, wenn es „heikel“ wird. Ich bezeichne das dann gerne als den „Wendepunkt“. Irgendwann merkt man doch, dass es sehr ernst wird, dass es einem den Ärmel reinzieht und dann muss man sich eben entscheiden! Entweder man muss zu dieser "Liebelei" Abstand halten, sie vielleicht sogar meiden, oder man geht bewusst das Risiko ein, dass man seine Beziehung zum Partner gefährdet. Genau das ist doch der Punkt, an dem man sich fragen muss, was einem die bestehende Partnerschaft noch wert ist.
Ich bin überzeugt, dass es bei einem „Flirt" immer diesen Punkt gibt, an dem man sich entscheiden muss, aber auch darf, ob man seine Beziehung gefährden will oder nicht.
Überschreitet man diesen „Wendepunkt“, dann erreicht man ziemlich schnell den „Point of No Return“ und hat dann das Folgende eben meistens nicht mehr im Griff. Doch das hat sich dann jeder selber zuzuschreiben und kann weder dem Schicksal noch dem Partner oder etwas anderem in die „Schuhe geschoben“ werden. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch, der denken kann, diesen „Wendepunkt“ bewusst überschreitet. Denn jeder weiss, wenn man mit dem Feuer spielt, kann man sich auch leicht die Finger dabei verbrennen“.
„Würdest du denn so eine Affäre deiner Partnerin, auch wenn sie beendet ist, im Nachhinein noch gestehen?“
„Nein, freiwillig würde ich ihr so etwas auf keinen Fall erzählen,“ entgegnet Thomas etwas heftig.
„Warum sollte ich meiner Partnerin das antun? Was sie nicht weiss, macht sie nicht heiss, sagt man doch. Schlimm genug, wenn sie es von anderen erfahren würde.
„Ja, das glaube ich auch, da hast du sicher recht Thomas“, sagt Sybille nachdenklich.
Schweigend machen sie sich bald darauf auf den Heimweg.
„Du, Thomas....“ sagt Sybille, die vor ihm geht, nach einer Weile.
Doch die Hundeleine hat sich im Unterholz verhängt und Thomas kriecht auf allen Vieren, um sie zu lösen. Als er sie befreit hat, fragt er: „Was wolltest du vorhin sagen, Sybille?“
„Ach, es war nichts Wichtiges.“
Später, Thomas hat sich inzwischen von Sybille verabschiedet, macht er sich noch einige Gedanken über das heutige, doch ziemlich ernsthafte Gespräch in der Waldoase. Was hat Sybille wohl dazu bewogen, ihm diese Fragen zu stellen?
Je mehr er darüber nachdenkt, glaubt er, dass das nicht ganz zufällig war. Irgendetwas scheint sie zu beschäftigen. Aber was geht in ihrem Kopf vor. Hat es etwas mir ihr, mit ihrem Mann oder gar mit mir zu tun, fragt sich Thomas immer wieder?
Ach, immer diese Frauen, denkt Thomas und lächelt vor sich hin.
Doch ein plötzlicher Gedanke lässt sein Lächeln erstarren.
Hoffentlich hatte er den Mund, mit seiner Grosszügigkeit seiner Partnerin gegenüber, nicht zu voll genommen.......
(°!°)
Montag, 4. Juni 2012
Teil 3 von: Kann Mann und Frau „nur“ befreundet sein?
Die Entscheidung
Teil 3: Kann Mann und Frau „nur“ befreundet sein?
Sybille wird vom freudigen Jaulen eines Hundes hinter ihrem Rücken aus den Gedanken gerissen.
Sie sitzt bereits eine gute halbe Stunde auf der obersten Holzbank der nördlichen Hangseite in der angenehmen Morgensonne. Dabei wird sie von drei einzelnen hohen Tannen bewacht, die ziemlich schutzlos als Einzige, nach dem heftigen Lothar-Sturm, vom dichten Wald übrig geblieben sind. Die drei arg zerzausten Bäume stehen jedoch trotzig auf der Hügelkuppe, scheinbar sinnlos wie die letzten tabakgebräunten Überbleibsel eines sonst zahnlosen, greisen Mundes. Aber Sybille spürt immer wieder deutlich, welch grosse Widerstandskraft von ihnen ausgeht. Darum sitzt sie gerne da und lässt ihren Blick gedankenverloren über das zu ihren Füssen liegende Städtchen und die mächtige, noch schneebedeckte Bergkette schweifen.
Weitblick und Bodenhaftung, zwei Eigenschaften die Sybille erstrebenswert erscheinen.
Sie dreht sich hastig um und erkennt sofort den kleinen Hund, der seinem Besitzer um eine Leinenlänge voraus rennt. Dabei wedelt er so heftig mit dem Schwanz, dass dadurch das ganze Tier fast ins Trudeln gerät.
Durch das Jaulen und heftige Ziehen seines Begleiters aufmerksam gemacht, hebt nun auch Thomas den Kopf und, als ob er zuerst aus einer weit entfernten Welt zurückkehren müsste, dauert es einen Moment, bis er Sybille wirklich wahrnimmt. Ein Lachen auf seinem Gesicht bestätigt ihr seine Freude und seine Schritte verlängern sich unweigerlich.
Schnell erreicht er ebenfalls die Sitzbank, und nachdem sie den närrisch gewordenen Hund etwas beruhigt und die ausziehbare Hundeleine entwirrt haben, fragt Thomas, ob er sich zu ihr setzten darf.
"Ja gerne, wenn du möchtest?“
Mit einem strahlenden Nicken rückt Sybille etwas zur Seite.
Ich freue mich, dich zu sehen, Thomas, auch wenn ich dich vor einer guten Woche so gemein versetzt habe", sagt sie dabei und senkt beschämt den Blick.
"Hast du?", fragt Thomas milde lächelnd.
"Ja, leider", gesteht Sybille leise. "Ich habe es inzwischen mehrmals bereut. Aber ich habe mich irgendwie nicht getraut, mich bei dir zu entschuldigen. Darum bin ich seither am Morgen immer auf dieser Hangseite laufen gegangen – um dir auszuweichen. Doch dadurch wurde es täglich noch schwieriger, dir zu begegnen. Nun bin ich froh, dass wir uns getroffen haben.“
Thomas lächelt, schweigt aber.
„Nur einmal“, sagt darauf Sybille ergänzend, „bin ich abends, als mich die Unruhe nach draussen getrieben hat, auf der anderen Seite gewesen. Dabei habe ich die Rehgeis mit ihren zwei Kitzen gesehen. Die sind so klein und so härzig.– hast du sie auch schon gesehen, Thomas?"
"Nein, sie haben sich vermutlich wegen des Hundes vor mir versteckt", meint er bedauernd.
Nach einer kurzen Pause fährt er fort: "Ich habe noch zwei-, dreimal am Morgen bei der Hütte auf dich gewartet. Ich dachte zuerst, dass dir vielleicht etwas dazwischengekommen sein könnte. Aber dann habe ich schon angenommen, dass du nicht mehr zusammen mit mir laufen willst."
"Nein, nein Thomas!", entgegnet nun Sybille heftig und ihre Mundwinkel ziehen etwas nach unten.
"Das ist überhaupt nicht der Grund, bitte glaub mir! Ich hatte einfach Angst, dass ich mich... "
Sybille stockt. "Ich meine, dass zwischen uns etwas entstehen könnte, das ich nicht mehr im Griff habe“.
Sybille machte eine kurze Pause. „Ach weisst du, es ist einfach so, dass ich nicht wusste, wie ich mich verhalten soll, was richtig, was falsch ist und ..."
Sybille sucht nach Worten, schaut in die Weite und schiebt dabei ihre aneinander gepresst Hände zwischen die geschlossenen Oberschenkel.
"Ich meine, ich schätze dich sehr Thomas, auch deine Meinungen und, ja, ich bin auch gerne mit dir zusammen. Die Stunde, die wir miteinander laufen, gibt mir viel und ich habe dich..., ähm, also..., das gemeinsame Laufen in den letzten Tagen wirklich sehr vermisst. Ständig bist du mir durch den Kopf gegangen und oft habe ich befürchtet, dass ich dich nun verloren habe.“
Sybille fährt kurz darauf mit gedämpfter Stimme fort: Ich möchte wirklich nicht auf dich verzichten. Ich möchte dich als Freund und Gesprächspartner behalten, denn so jemanden hat mir schon immer gefehlt.“
Sybille wendet sich wieder zu Thomas und meint etwas heftig: „Ist es denn nicht möglich, dass wir einfach nur befreundet sind? Ich möchte einfach nicht, dass jemand dadurch verletzt wird oder, dass daraus eine ..., eine Affäre wird."
Erleichtert, also ob sie Schweres abgeladen hätte, lehnt sich Sybille an die Rücklehne und atmet hörbar aus.
Thomas, der noch immer etwas verkrampft, aufrecht sitzt, wendet seinen Kopf langsam zu ihr hin und sagt: "Ja, von mir aus, gerne. Ich habe mir in den letzten Tagen auch oft Gedanken über Dich und unsere noch junge Freundschaft gemacht. Mir ist der Kontakt mit dir ebenfalls ans Herz gewachsen – ich glaube gar, in dir eine Seelenverwandte gefunden zu haben, so sehr ähneln wir uns. Darum konnte ich einfach nicht verstehen, warum du die Begegnungen abgebrochen hast. Hundert Mal habe ich in der vergangenen Woche überlegt, ob ich beim letzten Mal vielleicht etwas Falsches zu dir gesagt habe. Nun bin ich wirklich erleichtert, dass es nicht daran gelegen hat."
"Nein, Thomas, das hat es wirklich nicht!", bekräftigt Sybille ernsthaft. "Du hast dich absolut korrekt verhalten.
Es sind meine Gefühle, die mich verunsichert haben und aus Angst, dass ich mich ernsthaft in dich verlieben könnte, wollte ich dir aus dem Weg gehen.“ Sybille seufzt. „Aber, dass das hier nicht möglich sein kann, ist mir schon klar. Wir mussten uns ja zwangsläufig irgendwann wieder über den Weg laufen, sowieso, wenn wir wirklich Seelenverwandte sein sollten.“
Bereits lacht Sybille bei den letzten Worten wieder und für sie scheint die Sache damit geklärt zu sein.
Doch Thomas will die Gunst der Stunde nun gleich nutzen und bei Sybille Klarheit schaffen.
"Ich freue mich natürlich auch, wenn wir wieder gemeinsam statt einsam laufen“, sagt er bestätigend. „Ich finde auch, dass wir uns auf Anhieb doch sehr gut verstanden haben. Wir haben trotz des grossen Altersunterschiedes die gleiche Wellenlänge und sicher einen besonderen Draht zueinander. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mir dir befreundet zu sein.“
„Doch deine Bedenken sind schon nicht ganz unberechtigt. Die Gefahr des Verliebtseins besteht natürlich, nicht nur bei dir. Dass ich dich etwas verunsichert habe, war nicht zuletzt auch meine Schuld und ich muss zugeben, dass ich es auch genossen habe. Ich habe es herausgefordert, mit dir geflirtet und ehrlich gesagt auch ziemlich mit deinen Gefühlen gespielt. Das ist nicht in Ordnung und soll auch nicht wieder vorkommen. Versprochen!
Aber ich würde wirklich gerne ein väterlicher Freund zu dir sein und dabei soll es auch bleiben. Eine weitergehende Beziehung kann es für mich auf keinen Fall geben.“
Sybille nickt, ohne Thomas anzusehen.
„Siehst du das auch so?“, fragt Thomas darum nach. „Abgemacht?“
„Ja klar, abgemacht, Thomas. Und sollte ich es wieder vergessen, erinnerst du mich bitte daran“, sagt Sybille lachend.
„Was ist mit deinem Mann?“, fragt Thomas, „meinst du, das geht auch mit ihm so in Ordnung?“
„Ja, ich habe ihm bereits gesagt, dass ich dich kennengelernt habe und, dass wir oft zusammen vormittags laufen. Auch wenn er erst mürrisch reagiert hat, glaube ich schon, dass er nichts dagegen hat. Er meinte jedenfalls, dass er nun an den Wochenenden ebenfalls ab und zu mit mir in den Wald kommen würde und er dich dann ja vielleicht mal kennenlernen würde.“
„Ja, klar“, meint Thomas darauf. „Das ist sicher gar nicht schlecht. Es ist auch gut, dass er es von dir direkt erfahren hat, bevor es jemand anderes ihm gesteckt hätte. Offenheit schafft Vertrauen.“
Der Hund ist inzwischen aufgestanden und schnuppert am Boden herum, während die beiden schweigend nebeneinandersitzen und über die letzten Minuten nach denken.
„So, ich muss zurück, es ist schon spät“. Sybille steht auf und fragt Thomas: „Kommst du auch gleich mit hinunter, oder willst du noch hier bleiben?“
„Nein, ich komme mit – und morgen treffen wir uns wieder bei der Hütte?“
„Ja, gerne und dann zeige ich dir die jungen Rehe..........“
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;)
Dienstag, 29. Mai 2012
Teil 2 von: Kann Mann und Frau „nur“ befreundet sein?
Wann beginnt eigentlich ein Seitensprung?
Teil 2 von: Kann Mann und Frau „nur“ befreundet sein?
Vielleicht kommt sie ja auch heute wieder etwas früher, denkt Thomas und streckt ungeduldig den Hals, damit er etwas weiter, als nur bis zur Wegbiegung sehen kann. Aber von Sybille, seiner Laufpartnerin, ist noch weit und breit nichts auszumachen.
Thomas ist extra etwas früher zum vereinbarten Treffpunkt beim offenen Waldarbeiterunterstand gekommen, weil Sybille in den letzten Tagen immer bereits schon hier war und auf ihn gewartet hatte. Ihm ist es ja durchaus angenehm, wenn sie etwas mehr Zeit zum gemeinsamen Wandern haben. Denn Zeit hat er ja genug und schon oft sind sie vor lauter Trödeln und Tratschen, diversen Umwegen oder nicht enden wollenden Gesprächen, etwas spät vom Rundgang zurückgekommen.
Doch vom Schönen bekommt man halt nie genug, denkt Thomas und ein leises Lächeln huscht über sein sauber rasiertes Gesicht.
Thomas hat seit Tagen eine ausgesprochen gute Gefühlslage und das hat eindeutig nur mit Sybille zu tun. Seit Wochen ist sie ihm ab und zu begegnet und nicht ganz ohne sein Zutun und seinem Zeitmanagement wurde immer etwas mehr Absicht aus dem Zufälligen.
Doch damit hat Thomas zu Beginn gar nicht rechnen dürfen. Er wagte anfangs nicht einmal, sich irgendwelche Hoffnungen darüber zu machen, dass ihn diese nette Frau — die in schlichten Kleidern und mit schnellen Schritten, fast etwas scheu durch den Wald marschierte — auch nur beachten würde. Die Aussichten waren mehr als hoffnungslos und trotzdem wurde er von Anfang an, wie mit einem Magnet von ihr angezogen und mit der Zeit ging er nur noch auf der Südseite mit seinem Hund spazieren — in der Hoffnung, vielleicht doch wieder auf sie zu stossen.
Auch schien es ihm noch vor kurzem undenkbar, dass so eine junge Frau — die ja seine Tochter hätte sein können — mit ihm reden, geschweige denn laufen würde, auch wenn sie ihn jedes mal freundlich grüsste und dabei anlächelte. Und was für ein Lächeln, das ging ihm durch Mark und Bein, ganz hinunter und gerade nochmals hinauf. Ja, sie machte ihn beinahe etwas „wuschig“.
Alleine die Vorstellung, mit ihr gemeinsam durch die Wälder zu streifen, versetzte ihn dann den ganzen Tag über in ein Hochgefühl.
Aber es ist nicht eine körperliche Anziehungskraft die seine Fantasie beflügelt - denn das ist ihm im Gegensatz zu früher, in den letzten Jahren zu einem immer weniger wichtigen Bedürfnis geworden. Zudem ist er in puncto Erotik, Zuhause bei seiner Partnerin bestens aufgehoben.
Nein, es ist der immer grösser werdende Wunsch nach Begleitung, Abwechslung und guten Gesprächen. Er spürt zunehmend eine innere Einsamkeit, die sich manchmal wie eine kalte Faust um sein Herz schliesst. Immer öfter befällt ihn eine tiefe Sehnsucht nach einer richtig guten Freundschaft.
Oder, macht er sich bei ihr vielleicht ganz unbewusst die Hoffnung, dass sie seine, bei der Geburt verstorbene Tochter, würde wenigstens etwas ersetzen können? Die wären ja etwa gleich alt und so ganz hat er diese Tragödie, obschon er noch zwei tolle Söhne hat, nie verkraften können. Manchmal war er überzeugt, dass eine Tochter noch heute für ihn da wäre, als Bindeglied zur Familie sozusagen. Die Töchter bleiben immer dem Vater, die Söhne eher der Mutter, sagt man doch, oder?
Jedenfalls ist es ihm gar nicht unangenehm, dass es nun eine Frau ist, die diesem aufkeimenden Wunsch nach einer soliden Freundschaft gerecht wird.
Denn, er kann mit Frauen einfach besser umgehen und schon immer hat er auch lieber mit Frauen zusammengearbeitet. Das geklappt einfach besser als mit den Männern, deren Macho-Gehabe er nicht ausstehen kann.
Auch kommt er mit Frauen komischerweise viel eher ins Gespräch und kennt sich darum in deren bevorzugten Themen besser aus, als bei den üblichen Männer-Diskussionen über Autos, Fussball, Militär und damals flachgelegten Frauen. Ein „Frauenversteher“ sei er halt, hat man ihm auch schon gesagt, aber dieses Wort mag er gar nicht.
Aus seiner Sicht sind Frauen in ihren Haltungen einfach oft viel diplomatischer und kompromissbereiter — wenigstens die meisten – oder die Reiferen oder einfach die, die nicht um jeden Preis "ihren Mann stellen" wollen.
Auch hat er oft die Erfahrung gemacht, dass gemischtgeschlechtlicher Gedankenaustausch meistens spannender und lehrreicher ist, weil die Diskussionspunkte aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln eingebracht werden. Auch beim Philosophieren im monatlichen Café Philo schätzt er es, dass immer einige Frauen mit dabei sind. Und wenn es beim Debattieren dann noch etwas knistert, findet Thomas, gibt das dem Ganzen doch erst das richtige Feuer und gleichzeitig verhindert die grössere weibliche Diplomatie, dass sich die Fronten verhärten.
Aber natürlich birgt eine innige Freundschaft mit dem andere Geschlecht auch gewisse Gefahren in sich. Das mehr daraus entstehen kann, dessen ist er sich voll bewusst. Es gibt sogar nicht wenige die behaupten, dass Hetero-Freundschaften gar nicht möglich sind, ohne, dass der eine mehr vom anderen will.
Aber diese Gefahr scheint ihm bei Sybille berechenbar. Denn einer möglichen Verliebtheit seinerseits, steht für ihn ganz klar ihre Jugendlichkeit im Weg.
Er ist sich bewusst, das es sich bei einer körperlichen Annäherung höchstens um eine zeitlich begrenzte Affäre würde handeln können und dafür ist ihm seine langjährige Beziehung zu seiner zwar fast gleichalterigen, aber dennoch sehr attraktiven Lebens-Partnerin zu schade. Auch würde er, davon ist er überzeugt, bei einem Liebesverhältnis bloss eine Partnerschaft gegen eine andere austauschen und damit vermutlich, die vielleicht neu gewonnene und lange ersehnte Freundschaft mit Sybille gleich wieder kaputt machen. „Liebe zerstört Freundschaft“, sagt doch der Volksmund. Das aber, konnte für ihn doch langfristig kein Zugewinn sein. Sondern vermutlich eher ein schlechter Tausch, denn als "Liebhaber" kann er mit seinen bald fünfundsechzig Jahren langfristig doch sowieso nicht mit ihrem dreissig Jahre jüngeren Mann konkurrieren.
Aber als väterlicher Freund kann er ihr vielleicht durch seine Lebenserfahrung, seine Gelassenheit und seine etwas anderen Ansichten doch etwas Attraktives bieten. Denn das ist ihm schon noch wichtig, dass in einer ausgeglichenen Freundschaft jeder vom anderen profitieren kann. Er von ihrer spritzigen Jugendlichkeit, sie von seiner Altersweisheit.
Aber eben, würde es auch für Sybille bei einer zwar innigen, aber dennoch begrenzten Freundschaft bleiben?
Dass sie sich in letzter Zeit etwas verändert hat, mit ihrem Äusseren und bestimmten Bemerkungen ihre gewachsene Sympathie zu ihm durchblicken lässt, das ist ihm schon auch aufgefallen. Aber er wollte sie bisher noch nicht stoppen — zu schön ist dieses mystische Spiel des Flirtens, zu sehr streicheln ihre warmen Blicke seine Seele und zu gross ist die Angst, dass sie einen Rückzieher machen könnte. Aber, dass er das Thema ansprechen muss, das ist ihm ganz klar und eigentlich hat er es sich bereits für heute vorgenommen. Noch bevor es auch ihm den Ärmel ganz hineinnimmt und er die Distanz oder die Kraft für einen Stopp nicht mehr hat. Er ist der Ältere, er muss der Vernünftigere sein und er hat ganz klare Grenzen zu ziehen und Abmachungen einzufordern.
Ein Blick auf die Uhr zeigt ihm, dass die vereinbarte Stunde bereits klar überschritten ist.
Vielleicht ist ja etwas dazwischen gekommen und nun bedauert er bereits, dass er ihr nicht seine Mobiltelefon-Nummer gegeben hat. Aber gerade das ist ihm bisher zu persönlich gewesen, wenigstens vorläufig.
Zudem, wie soll er diese neue Bekanntschaft seiner Partnerin erklären, wenn Sybille ihn in ihrem Beisein anrufen würde oder er ein schellendes Telefon einfach nicht beantwortet?
Seine Liebste ist manchmal sonst schon ziemlich empfindlich wenn er seine Mail-Kontakte zu offensichtlich pflegt oder zu häufig in ihrem Beisein twittert. So ein heikles Gespräch würde sowieso nicht einfach, denn bei schwierigen Themen wie ihre Beziehung, den jeweiligen Kindern oder anderen delikaten Diskussionen ist sie doch ziemlich introvertiert.
Aber manchmal ist er ja selber ziemlich unsicher darüber, ob er seine Partnerin bereits betrügt, wenn er mit Sybille ohne ihr Wissen täglich eine Stunde harmlos gemeinsam durch den Wald spaziert oder wenn dabei halt auch ziemlich Persönliches aus ihrer Beziehung zur Sprache kommt.
Er hat sich schon oft besorgt gefragt, ob man seinen Partner in Gedanken betrügen kann?
Wann beginnt ein Seitensprung eigentlich? Ab wann betrügt man? Bereits beim Denken, beim Flirten, mit Briefen, bei heimlichen Treffen mit tabulosen Gesprächen oder erst beim offensichtlichen Begehren und wenn es körperlich Intim wird?
Bei seinem ehemaligen Freund hatte er sich darüber gar nie Gedanken gemacht. Vermutlich einfach, weil der ein Mann war und ein Seitensprung gar nicht in Betracht gezogen wurde, von niemandem. Gegenseitig hat man gedankenlos über seine Ehefrauen geredet, mal geschwärmt, öfter geklagt. Dass die dabei ausgeplauderten Eheprobleme bereits eine Verletzung des gegenseitigen ehelichen Vertrauens darstellen würde, oder, dass daraus Konsequenzen entstehen könnten, darauf ist Thomas damals gar nicht gekommen.
Doch auch daraus hat er gelehrt. Denn solche ausgeplauderten Intimitäten können einem später zünftig schmerzen, wenn sie wie ein Bumerang, einem selber wieder treffen. Auch den besten Freunden ist nicht immer zu trauen, musste er sich damals eingestehen.
Etwas sorgenvoll blickt Thomas auf seinen Hund, der nach einer Maus gräbt und heftig schnaubend fast zur Hälfte kopfvoran im Erdloch verschwunden ist.
Warum erinnert er sich jetzt plötzlich an den betörenden Körpergeruch von Sybille, den er gestern, zusammen mit einer Spur eines lieblichen Parfüms in einer sinnlichen Mischung wahr genommen hat, als sie sich zufällig beide gleichzeitig zum Hund bückten, als dieser jaulend aufschrie, weil ihn sein rheumatisches Hüftgelenk schmerzte.
Ein Schatten legt sich plötzlich auf die Seele von Thomas. Eisige Kälte und der bekannte innere Schmerz breiten sich aus. Sind es die, wieder einmal aufgetauchten Erinnerungen von früher, die Thomas gerade hinunterziehen wollen? Oder ist es die plötzliche Erkenntnis, dass Sybille vermutlich nicht mehr kommt?
Doch Thomas will jetzt nicht, wie sein Hund zu grübeln beginnen und dabei riskieren, dass dabei auch er den Kopf in den Sand steckt, wie er das gerne tut, wenn etwas Unangenehmes auf ihn zu kommt
Bewusst dreht er sich der immer höher am Himmel stehenden Sonne entgegen und beobachtet zur Ablenkung interessiert, wie zwei Pferde von oben her auf dem Fahrweg auf ihn zureiten. Synchron und rhythmisch schieben dabei die beiden aufrecht sitzenden Reiterinnen ihre Becken auf den Pferderücken vor und zurück. Einer Welle gleich setzt sich diese Bewegung durch den Oberkörper fort und endet in einem ständigen Nicken mit dem Kopf. Thomas fragt sich dabei, ob man bei diesem steilen Gelände nicht besser absteigen sollte.
"Komm Hund", sagt Thomas mit einem unterdrückten Seufzen, "das war wohl wieder einmal nichts. Schade, wirklich schade. Aber deswegen lassen wir uns den Spaziergang nicht entgehen – stimmt's mein alter Freund?"
Etwas widerwillig, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, setzen sich die Beiden in Bewegung und wandern den sonnenbeschienen, ansteigenden Fahrweg hinauf. Der entschwindende penetrante Pferdeduft und der Pferdemisthaufen auf der linken Strassenseite erinnern an die beiden Reiterinnen von vorhin, vielleicht sind sie ja "Beste Freundinnen".
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Liebe Leserin, lieber Leser:
Wann beginnt eigentlich ein Seitensprung? Beim Denken, beim Flirten, mit Briefen, bei heimlichen Treffen oder erst beim Begehren und wenn's körperlich Intim wird?
Eure Meinung interessiert mich und könnte für den dritten Teil der Geschichte einen entscheidenden Einfluss haben.
Dienstag, 22. Mai 2012
Teil 1: Kann Mann und Frau „nur“ befreundet sein?
Kann Mann und Frau „nur“ befreundet sein?
Schwacher Pferdegeruch hängt zwischen den taufeuchten Tannenästen und auf dem nassen Waldweg sind die Abdrücke von Pferdehufen auszumachen. Ausser einer Maus – oder ist es doch ein junges Eichhörnchen gewesen, das vorhin verschreckt einen Baumstamm hinauf gerannt ist – sind Sybille jedoch keine weiteren Tiere begegnet. Auch die drei Rehe, die sie sonst fast täglich, während ihres Waldspazierganges irgendwo in einem Hang oder im Geäst ausmacht, hat sie bisher noch nicht erspäht. Doch, wie der Jagdaufseher letzthin meinte, könnte das Muttertier in den letzten Tagen auch bereits etwas abseits im dichten Unterholz ihre neuen Kitze gesetzt haben. Dann hätten sich auch ihre beiden Ricken aus dem Wurf vom letzten Jahr aus dem elterlichen Heimgebiet entfernt, um erst im Spätherbst wieder zur Mutter zurückzukehren, damit sie gemeinsam den Winter verbringen können.
Sybille erkennt, dass es zwei Reiter gewesen sein müssen, die vor kurzem, ihr voraus auf diesem schmalen Pfad entlang geritten sind.
Sie jedoch ist wie früher, wieder alleine unterwegs auf ihrem täglichen Spaziergang durch den Mischwald auf der südlichen Seite des idyllischen Städtchens. Sie hat heute Morgen auch – obschon sie absichtlich eine gute halbe Stunde früher aus dem Haus gegangen ist – nach der kleinen Brücke am Waldrand, den direkten, steileren Weg gewählt, damit sie ihm nicht doch noch begegnet, falls er verfrüht schon bei der Waldhütte auf sie wartet.
Denn ihre Entscheidung steht fest und wenn es sie auch etwas schmerzt, so ist es sicher vernünftiger, wenn sie in Zukunft wieder ohne ihn Laufen geht.
Jahrelang ist es ja auch ohne Begleitung gegangen und sie kann es auch geniessen, nur mit sich zu laufen. Aber immer öfter hat sie sich zwischendurch auch mal eine Begleitung gewünscht. Auch spürt sie manchmal eine kleine Eifersucht, wenn sie andere zu zweit oder zu dritt, schwatzend und lachend ihr entgegenkommen sieht. Aber irgendwie hat sie den Anschluss an eine dieser Frauengruppen einfach nicht geschafft. Vielleicht hat es mit ihrem Alter zu tun oder weil sie nicht von hier ist.
Sybille geht rasch und versucht nicht an ihn zu denken, aber es gelingt ihr nicht. Ihre Gedanken kreisen ständig um ihn und um ihre Begegnungen während den letzten drei, vier Wochen. Wie kurzweilig und abwechslungsreich sind ihre Waldspaziergänge doch plötzlich geworden, als sie zusammen gelaufen sind. Sie haben sich so gut verstanden und hatten sich immer soviel zu erzählen, dass sie kaum gemerkt hat, wie schnell so ein Vormittag verflogen ist und oft muss sie etwas verspätet nach Hause eilen, damit die Morgenarbeit erledigt und das Mittagessen rechtzeitig auf den Tisch kommt.
Erst traf man sich nur ab und zu und rein zufällig. Aus einem kurzen „Hallo“ wurde jedoch mit der Zeit ein „ich wünsche Ihnen einen schönen Tag“ und dann schon bald ein verbindlicheres „Hallo, wie geht's ?“. Dabei konnte man etwas stehen bleiben und ein paar Worte über das Wetter, den Hund oder die Wildbeobachtungen austauschen. Mit der Zeit achtete sie dann darauf, dass sie immer zur selben Stunde und auch häufiger auf der südlichen Hangseite laufen ging.
„Ihm sei es genau gleich ergangen“, hat er später einmal mal lachend gestanden und so traf man sich mit der Zeit unweigerlich fast täglich scheinbar zufällig und doch gewollt. Bis man begann, sich für den nächsten Tag beim Unterstand der Waldarbeiter zu verabreden. Denn man könne doch gleich... und von Anfang an... wenn man sich doch sowieso immer... und zudem mache es doch mehr Spass zusammen.
Das war doch nichts als logisch, oder?
So wurden ihre gemeinsamen Spaziergänge zu einem täglichen Ritual, ausser am Samstag und am Sonntag, denn dann waren seine Kinder und beider Partner Zuhause und da ging es natürlich nicht.
Sybille ist inzwischen oben angelangt und nimmt nun in einem grossen Bogen den linken Waldweg, um auf der anderen Seite des Baches wieder ins Städtchen zu gelangen. Dabei kreuzt sie den Fitnessparcours beim Übungsplatz 7, der mit dem Reck. Gewohnheitsmässig hängt sie sich für einen Moment an eine der beiden Metall-Stangen, aber kraftlos lässt sie sich schnell wieder fallen. Auch für die Dehnübungen, die sie hier normalerweise macht und die sie in letzter Zeit ebenfalls vernachlässigt hat, findet sie heute nicht die nötige innere Ruhe. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass die Zeiger unweigerlich auf die mit ihm abgemachte Stunde zugehen.
Sybille setzt sich einige Meter weiter vorne, für einen Moment auf den Baumstrunk, der wie ein Thron in einer sonnenbeschienen Baumlichtung steht. Das ist ihr Lieblingsplatz und schon oft hat sie hier gesessen um Probleme zu zerlegen oder den Gedanken einfach freien Lauf zulassen.
Die Treffen mit ihm wurden ihr immer wichtiger, stellt Sybille fest. Denn sie kann sich perfekt mit ihm austauschen. Er nimmt sie ernst, wo sich ihr Partner verweigerte, er kann gut zuhören, aber auch sinnvoll reden. Er ist belesen, klug und hat natürlich mehr Lebenserfahrung als sie, denn vom Alter her, könnte er auch ihr Vater sein. Bei ihm fühlt sie sich gut aufgehoben. Eigentlich eine perfekte Freundschaft.
Aber, er ist ein Mann!
Schon bald hat sie bemerkt, dass sie nun auch zum Laufen vermehrt auf ihr Aussehen und ihre Kleidung achtet, während sie früher die ältesten Klamotten in den Wald anzog und sich erst nach dem Waldspaziergang duschte und aufhübschte. Zudem drängte sich dieser Mann zunehmend auch während des Tages zwischen ihre Gedanken. Das macht ihr Angst. Was könnte daraus entstehen?
Bleibt es bei einer Laufbekanntschaft? Sich traut sie das zu, aber was ist mit ihm?
Ist es möglich, dass ein Mann und eine Frau "nur" befreundet sein können, fragt sie sich?
Gibt es die reine Freundschaft zwischen Mann und Frau überhaupt, so wie sie unter Frauen oder Männern möglich ist oder wird daraus nicht immer – zumindest mit der Zeit und vielleicht auch nur von einer Seite – Liebe? Ist zwischen den Geschlechtern nicht immer auch Begehren mit im Spiel?
Sybille will das nicht. Sie hat einen Partner, den sie liebt und sie will nicht, dass aus dieser Lauf-Gemeinschaft mehr entsteht. Sie will ihre Partnerschaft nicht aufs Spiel setzen, sondern möchte einfach ab und zu mit jemandem laufen und sich dabei gut unterhalten! Nichts weiteres soll daraus entstehen.
Aber ist das möglich mit einem Mann? Traut sie ihm das zu? Traut sie sich selber das überhaupt zu?
Sybille ist hin und her gerissen. Sie weiss einfach nicht, wie sie sich verhalten soll. Am Morgen war sie sich noch so sicher und nun zweifelt sie bereits wieder an Ihrer Entscheidung.
Sie steht mit einem Ruck auf und nimmt den Rest des Weges unter die Füsse.
Kurze Zeit später sieht sie hinüber zur Waldhütte – ihrem Treffpunkt.
Daneben steht ein älterer Mann mit seinem kleinen Hündchen und wartet noch immer auf sie.
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Liebe Leser:
Ist eine reine Freundschaft zwischen Mann und Frau, so wie sie Sybille vorschwebt, überhaupt möglich – oder ist immer mehr im Spiel?
Eure Meinung interessiert mich und je nach dem, könnte es eine Fortsetzung der Geschichte geben.
.)
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