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Donnerstag, 6. Juni 2013

Hansruedi







Hansruedi

Ein schlanker, kräftiger Mann steht an die ziegelrote Mauer von Grossmutters Haus gelehnt und zieht süchtig an einer filterlosen "Gitanes bleu"(*1); die er aussergewöhnlich zwischen Daumen und Zeigefinger hält, als müsste er auch jetzt noch die rötliche Glut vor dem Feind abdecken.
Sein dunkles Haar ist kurz geschnitten und er trägt eine blaue Jeans-Hose, was damals, insbesondere bei Männern in meiner bergigen Heimatgegend, eher ungewöhnlich war.
Die unerwartet dunkle Hautfarbe des gut Dreissigjährigen wird durch das blütenweisse, kurzärmelige Hemd, das er trägt, kraftvoll unterstrichen.
Mein Onkel - ein Neger!


Das ist meine früheste Erinnerung an Hansruedi, den legendenumwobenen Bruder meiner Mutter und, auch das erste Bild, das mir heute in den Sinn kommt, wenn ich an meinen illustren Onkel denke.
Er hat mich damals auf den ersten Blick fasziniert, denn er hatte etwas "Exotisches" an sich – das Abenteuerliche an ihm fiel mir erst später auf – und, für das Erkennen seines schwierigen Charakters brauchte ich viele Jahre.

Ich nehme an, dass seine Rückkehr aus dem Krieg der Hauptgrund für die damals – vor knapp fünfzig Jahren – vierstündige Reise vom Bündnerland an die Birs war.
Die Begrüssung war herzlich, nachdem mein Vater unseren weissen Ford „Anglia 105E“ – der mit dem roten Dach und dem schrägen Heckfenster – schwungvoll wie immer, auf den gekiesten Hofplatz meiner Grosseltern gelenkt hatte.
Hansruedi umfasste die schmale Hüfte seiner fünf Jahre älteren Schwester, hob sie auf Augenhöhe an und drehte sich mit ihr im Kreis – so, dass ihr knöchellanger Plissee-Faltenrock wie ein Teller abstand.
„Irmali“, so nannte er sie immer, „wie geht's dir? Du siehst gut aus“.
Ja, Komplimente machen konnte er, denn er war ein Charmeur erster Güte, sein Leben lang.

Und noch ein eindrückliches Bild von diesem Wochenende, das mir unauslöschlich in Erinnerung geblieben ist – das, wie Onkel Hansruedi  in einer unglaublichen Geschwindigkeit die scharfe Spitze seines Sackmessers zwischen die gespreizten Finger seiner linken Hand in Grosi's Schneidebrett gestochen hat – vom Zeigefinger zum Daumen und zurück und das mehrmals, immer präzise in die Zwischenräume.
Das war für mich damals die Fremdenlegion, dort wo man solche Kunststücke lernt und das war auch das Bestechende an Hansruedi, dass er immer wieder zu beeindrucken wusste – nicht nur weltfremde Zweitklässler aus einem Bergdorf.



Alle waren froh, dass er wieder da war. Heil und gesund.
Aber eigentlich hätten sie ihm schon damals alle böse sein müssen.
Denn Jahre zuvor war er eines Nachts klammheimlich von Zuhause abgehauen – über die nahe Grenze ins Elsass nach Strasbourg, wo er sich in einem Rekrutierungsbüro der französischen Fremdenlegion gemeldet hat.

Diese Rekrutierungsbüros waren damals während 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden geöffnet. In der Schweiz wusste man über die Legion wenig Genaues, es waren vor allem Legenden und Geschichten.
Im Vertrauen darauf, ja jederzeit wieder umkehren zu können, betraten die gewillten Jugendlichen unbesorgt eine dieser Rekrutierungsstellen. Dort versuchte man ihnen zuerst das Gefühl zu vermitteln, dass die Fremdenlegion (frz.: Légion Étrangère) sie nicht unbedingt haben wollte und man schon gar nicht auf sie gewartet hatte.  Man erzählte ihnen von einer Probezeit und, dass scheinbar keineswegs eine sofortige Verpflichtung verlangte wurde. Sie wurden jedoch danach so raffiniert psychologisch bearbeitet, dass schliesslich jeder Interessent davon überzeugt war, dass die Legion für ihn genau das Richtige war. Sie glaubten, ihre Neugier und Abenteuerlust ohne allzu grosses Risiko befriedigen zu können.
So wurde oft bedenkenlos zugestimmt. Die Burschen unterschrieben dabei zahllose Papiere, deren Text man ihnen nicht übersetzte. Sie erfuhren auch nicht, dass sie erst in Marseille endgültig verpflichtet wurden. Ausserdem  versprach man ihnen auch grosszügige Prämien, die allerdings nur sehr selten ausgezahlt wurden. Um vor Absprüngen auf dem Transport sicher zu sein, nahm man ihnen ihre Zivilkleidung, Pässe, Dokumente und alles weitere "Persönliche" ab und steckt sie in alte Uniformen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.
Sie "durften" ihr Hab und Gut der Fremden-Legion entweder "schenken" und erhielten dafür den späteren Anspruch auf Wiedereinkleidung bei der Rückkehr ins Zivilleben - oder sie konnten es der Legion" verkaufen". Für Kleider und vielleicht noch einen kleinen Koffer mit Habseligkeiten erhielt man einige Päckchen Zigaretten und die waren hochwillkommen, denn Zigaretten gehörten erst nach einigen Monaten Ausbildung zur Verpflegungs-Ration.

Hatte man einmal unterschrieben, so musste der französische Legionäre mindestens fünf Jahre lang durchhalten und bereit sein, überall auf der Welt zu kämpfen und zu sterben. Wurde es auch noch so hart oder unmenschlich, man musste bleiben. Ausser vielleicht, man versuchte eine risikoreiche und sehr gefährliche Desertion – aber das gelang bei weitem nicht jedem, der es versucht hat.
Nach der Unterschrift gab es also nur noch einen Weg, den Überlebenskampf im gefährlichen Kriegsgebiet, mit knallharten Regeln, viel Kameradschaft und ganz wenig Sold.
Der Legionär verzichtete damit auch auf den Genuss sämtlicher Rechte in der Heimat und begab sich voll und ganz in eine Leidensgemeinschaft, deren Wappeninschrift lautet:
«Legio patria nostra»  – «Die Legion ist unsere Heimat».
Dafür durfte er nach drei Dienstjahren französischer Staatsbürger werden und für immer in Frankreich bleiben.


Im Rekrutierungsbüro fand also auch für Hansruedi eine erste Musterung statt und dort gab er seine Unterschrift zu einer jahrelangen Verpflichtung in einem lebensgefährlichen, fremden Land auf einem anderen Kontinent.
Nach dieser ersten Unterschrift wurde der vermeintliche "Bewerber" über Paris nach Südfrankreich geschickt. In Aubagne, in der Nähe von Marseille, wurde dann im Bewerbungszentrum der Fremdenlegion die eigentliche "Musterung" vorgenommen. Bei einer vollständigen ärztlichen Untersuchung wurde die Gesundheit überprüft und bei einem Sporttest die Tüchtigkeit abgeklärt. Ob weitere Tests zu bestehen waren, ist mir nicht bekannt. Aber vermutlich kam man damals recht schnell zum Gespräch vor der Verpflichtungskommission, und danach mit einer zweiten Unterschrift zum gültigen Vertrag.
Hansruedi bekam seine Dienstnummer (mie 118 087) und einen neuen Namen:
Hans Reucher.

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Was hat Hansruedi zu diesem einschneidenden Schritt getrieben?
Warum hat er sein friedliches und gesichertes Leben für ein waghalsiges Vabanquespiel mit ungewissem Ausgang getauscht? Wieso hat er eine geachtete Anstellung mit gutem Gehalt als erfolgreicher Laborant in einer der beiden grossen "Chemischen" in Basel für einen schlecht bezahlten, hochgefährlichen Dienst aufgegeben?
War es das Abenteuer und der Nervenkitzel oder der Drang, sich zu bestätigen?
Waren es die Klischees von Dschungel und Wüstensand, von Kameradschaft bis in den Tod und von der bedingungslosen Befehlsausführung, die immer wieder heraufbeschworen und verherrlicht wurden?
Oder wollte er einfach eine unbekannte Vergangenheit hinter sich lassen, vielleicht vor irgendwelchen "krummen Sachen" davonlaufen und ein neues Leben beginnen…?

Denn die Fremdenlegion bot jedem diese einmalige Chance.
Als in den französischen Kolonien noch Tausende von Legionären benötigt wurden, war man bei der Rekrutierung oft ziemlich unzimperlich mit der Vergangenheit der Männer umgegangen. Es wurden keine Ausweispapiere verlangt, noch viele Fragen gestellt.
Egal welcher Herkunft, Religion, Schulausbildung oder berufliche Situation, die Fremdenlegion bot damals jedem eine neue Chance für ein neues Leben. Selbst Vorstrafen oder eine polizeiliche Fahndung waren kein Hinderungsgrund, denn jeder wurde ohne Nachfrage aufgenommen, auch der, der etwas „ausgefressen“ hatte und allen wurde eine neue Identität verschafft
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Ich glaube nicht, dass Hansruedi "Schweres" auf dem Kerbholz hatte.
Auch aufgrund seines späteren Lebens, vermute ich eher irgendwelche "Frauengeschichten" und/oder Abenteuerlust.
Möglicherweise wollte sich der etwa 25-jährige mit dem Eintritt in die Legion vor einer Verantwortung drücken, die er im September 1952 durch die Verlobung mit Hedy Hammel eingegangen war. Oder ging es um Elsa Michel oder Frau Schiffmann, die Hansruedi beide in einem seiner spärlichen Briefe erwähnt hat? Man sprach auch immer wieder von einer angeblichen Tochter, die es geben soll und für die er "zahlen musste". Das wäre immerhin meine Cousine; doch Genaues wusste niemand und die, die es vielleicht gewusst haben, schwiegen – für immer.

In einem seiner wenigen Briefen schrieb er ein paar Jahre später an seine Schwester:
«Ich habe mir vorgenommen, soviel wie möglich von der Welt anzugucken und ich bin sichert, dass ich auch noch weit rumkommen werde……., man kann auf zwei Arten glücklich sein, die eine ist, wie du dir* das Leben gestaltet hast.
Und das ist bestimmt keine schlechte Art. Die andere Art dürfte die sein, das Leben als ein Spiel zu betrachten, hie und da "ma va banque" zu spielen und den Gewinn oder Verlust mit einem Lächeln einzustecken.»

So war er, der Hansruedi, mein Onkel.
(* Anmerkung: wie meine Mutter – Mann, Kinder, Haus und Geschäft)


Alle Neu-Eintretenden wurden sogleich in die eigentliche Metropole der Legion, nach Sidi bel Abbés, ungefähr 300 km südlich von Oran (Algerien), verbracht; wo ihnen in einer "wenige Wochen" dauernden Rekrutenschule die nötige Kampfausbildung beigebracht wurde. Diese "Ausbildung" muss unglaublich hart gewesen sein. 

Ich las dazu: «Man hat auch Faustschläge ins Gesicht abbekommen, zur Strafe, oder einen Schlag mit dem Gewehrkolben auf den Kopf. Man ist zum Arzt gegangen, um die Platzwunden nähen zu lassen. Den andern hat man dann etwas von einem Sturz erzählt. C'est normal.»
Die Übergabe des traditionellen  weissen Hutes (képi blank) und das Aufsagen des während der entbehrungsreichen Grundausbildung erlernten "Ehrenkodexes" der Fremdenlegion, bildet im Anschluss an den "marche képi blank" (Képi blank Marsch), einem traditionellen, etwa 50 bis 70 Kilometer langen Orientierungsmarsch, den Abschluss der Ausbildung.
Danach kamen die Legionäre unverzüglich in eines der 11. Regimenter und somit direkt an die Front.
Zum Aufnahmeritual der Legion gehörte es auch, dass einem der Kontakt nach außen für 4 Monate komplett versperrt wurde: kein Telefon, keine Briefe, nichts.
Der einmal aufgenommene Legionär galt laut der Musterungsbroschüre «unabhängig von seiner realen Familiensituation als ledig und ungebunden.» Deshalb gab es auch keinen Anlass jemanden zu benachrichtigen.




Hansruedi, alias Cpl. Hans Reucher, wurde etwa 1955 zuerst dem Regiment III/2e R. E. I. (cie portée)  und dann später  dem 4e  Régiment d'infanterie in Algerien zugeteilt.
Weil Hansruedi, wie so viele andere auch, niemanden über seine Pläne informiert hatte, galt er daheim monatelang lang als unauffindbar. Man hatte zwar bei der Polizei eine Vermisstmeldung aufgegeben, aber seine Spur blieb verwischt und man hatte keine Ahnung, was passiert war, ob er noch lebte oder wo man nach ihm noch suchen konnte.
Schrecklich für alle; und ich weiss von meiner Mutter, welche grossen Ängste und Sorgen bei allen damals ausgelöst wurden.
Doch auch nach dem ersten Lebenszeichen aus Algerien, das nach langen Monaten endlich eintraf, blieb die Angst bestehen.

Das war nicht unbegründet, wusste man doch aus dem Indochinakrieg (1945-1954, er umfasste die Gebiete der heutigen Länder Laos, Kambodscha und Vietnam), dass dort offiziell mehr als 11.000 Legionäre ihr Leben für die "Grand Nation" verloren hatten, nicht zuletzt, weil Legionäre damals auch als sogenanntes "Kanonenfutter" galten.


Der "grausame Heckenkrieg der Banditen", wie der Algerienkrieg auch oft genannte wurde, den die Fremdenlegion anschliessend an der Seite der Franzosen auszufechten hatte, war nicht weniger schrecklich.
Es war ein ungleicher Krieg um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich, in den Jahren 1954 bis 1962, der hauptsächlich zwischen dem französischen Militär und der algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN geführt wurde. Gleichzeitig tobte ein Bürgerkrieg zwischen algerischen Loyalsten und der FLN.
Die 35 000 Soldaten zählende Fremdenlegion kämpfte nach dem Ende des Indochinakrieges ab dem Sommer 1954 bis 1962 auf der Seite der französischen Besatzungsmacht. Zunächst nur zu Sicherheitszwecken vor Ort; aber bald beteiligten sich die Söldner aktiv am Kriegsgeschehen: Die Legion sandte Interventionstruppen aus, nahm an Grossoperationen teil und kümmerte sich um die Grenzverteidigung.
Oft sahen sie sich dabei keinem offenen Frontenkrieg, sondern hinterlistigen Meuchelmordattacken der Partisanen, ausgesetzt.
Doch die französische Armee und die Legionäre gingen auch nicht gerade zimperlich mit ihren Gegnern um. Die Gräueltaten
bei der "Schlacht um Algier", sowie die bei der sogenannten "Französischen Doktrin" eingesetzten Methoden – unter anderem Folter und ungesetzliche Hinrichtungen von algerischen Verdächtigen – zogen massive innen- und aussenpolitische Proteste nach sich.
Hunderttausende von Algeriern sind dabei umgekommen. Davon nur ein kleiner Teil bei militärischen Operationen - der größte Teil bei Vergeltungsaktionen der Franzosen, denen fast ausschließlich Zivilisten zum Opfer fielen.
Das alles machte aus den Legionären vielfach Menschen, denen das skrupellose Morden zur Gewohnheit wurde.
Nach einem vom französischen Militär personell und materiell weit überlegenen und mit großer Härte geführten Kampf war die Unabhängigkeitsbewegung praktisch geschlagen.
Die Zahl der Verluste an französischen Soldaten betrug laut Angaben des französischen Militärs ca. 18.000. Laut französischer Aussage betrug die Todesopferzahl der Algerier 350.000, algerische Quellen gehen von über einer Million Toten aus.
Die Entlassung Algeriens in die Unabhängigkeit aus politischen Gründen im Jahre 1962, beendete den Einsatz der Fremdenlegion in Nordafrika, welches 130 Jahre lang ihre Heimat war.
 

Während seines jahrelangen Kriegseinsatzes waren Briefe von Hansruedi spärlich, oft nur kurz und meistens ziemlich allgemein gehalten. So hat er nie konkret darüber geschrieben, was er dabei erlebt hat. Einmal erfuhr man, dass er 1959 ziemlich verletzt wurde, wie schwer und wie lange, darüber wurde nicht geschrieben. Denn das vereinbarte sich nicht mit der "Legions-Ehre". Familie, Freunde und Bekannte durften, meist auch aus Sicherheitsgründen, sowieso nicht darüber informiert werden, wo der jeweilige Legionär sich genau aufhielt, wo er stationiert war und was er bei den Kampfhandlungen erlebte.

Aber manchmal gab es Ausnahmen:
So schreibt er am 4. April 1961:
«Im Moment sind wir ca 15 km von Ain-Sefra entfernt…. auf 2000 Metern Höhe und bei so 40° Hitze! Sand, soviel du willst, Wasser so gut, dass man meint, es hätten sich schon x Leute damit gewaschen. Aber keine Sorge, getrunken wird es trotzdem….»

oder um die Weihnachtszeit 1962:
«Wir liegen wieder einmal mehr direkt an der Schusslinie in einem grossen Forsthaus, das zum Glück bald in eine Betonfestung umgebaut ist und nur knappe 100 Meter von der marokkanischen Grenze und ca. 5 km von der Grenzstadt Marnia entfernt ist auf der Lauer.  Natürlich bereit, jeden durch den Radar gemeldeten illegalen Grenzübertritt auf das Schnellste zu vereiteln….. So weit das Auge reicht, elektrisch geladener Stacheldraht, Leuchtminen- und andere Minenfelder…..
Die Rebellen kommen so 2-3-mal pro Woche bis an den mit 5000 Volt geladenen Stacheldraht und schicken uns Grüsse von Marokko mit herrlich schnellen und verdammt ins Auge gehenden Minenwerfern.»



Ich habe für diese Geschichte viele Artikel und Berichte zum Algerienkrieg der Fremdenlegion gelesen und festgestellt, wie hart und oft grausam die Legion für jeden der Beteiligten damals war; aber auch, wie gefährlich es sein konnte.
Das illustriert auch ein weiterer Briefausschnitt vom 5. März 1962:
«Letzte Woche hatte ich sehr viel Glück. Wollte doch so ein "Salzneger" von algerischem Rebell mich doch tatsächlich mit seinem Gewehr zu einer Freifahrt ins Jenseits einladen. Welch wonniges Gefühl, wenn so 5 cm unter meinem angezogenen Bein 12 Schüsse sich in die Erde bohren. Aber jetzt bin ich froh, dass ich bei Willi dem Tellen in die Schule gegangen bin."»
(Ich schliesse daraus, dass er genauer getroffen hat)



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1963 war dann auch für Kpl. Hans Reucher die Zeit gekommen, wieder den bürgerlichen Namen Hans-Rudolf K. anzunehmen, vom Berufs-Legionär zum Schweizer Miliz-Militaristen zu werden und von der Kriegsfront zurück ins friedliche Basel zu wechseln.

Natürlich kam er nicht ohne Strafe davon. So musste er sich für den unerlaubten Einsatz in fremden Kriegsdiensten vor dem Militärgericht verantworten und wurde zu einer Gefängnis- und/oder Geldstrafe verurteilt.
Aber er fand bald wieder eine Arbeit, als Laborant in der pharmazeutischen Industrie. Auch zog er wieder bei Vater und Mutter ein.

Mehr Schwierigkeiten als das berufliche oder gesellschaftliche Leben machten ihm die psychischen Probleme. Denn wer die "Légion étrangère" überlebt hat, kam oft verändert nach Hause und manche konnten sich im "Zivilleben" nie mehr ganz richtig einordnen. Das war auch bei Hansruedi so.

Dabei spielte bei Hansruedi auch immer wieder der Alkohol eine grosse Rolle. An den Stammtischen der Kleinbasler Beizen war er oft und gerne gesehen, denn zu erzählen hatte er ja vieles. Wenn er betrunken nach Hause kam, randalierte er manchmal, beschimpfte dabei seine Mutter oder auch seine mit nach Hause gebrachten Frauen, auf das Übelste.
Seine vielen weiblichen Beziehungen blieben undurchsichtig und manchmal wechselten die Frauen häufig. Sie entsprachen zunehmend dem Typ der "abgetakelten Blondine mit rauchiger Stimme". Trotzdem gab es ein paar, die jahrelang zu ihm hielten.
Denn Hansruedi sah gut aus – er hatte etwas vom Aussehen des "Mäni" Weber, dem ersten grossen Schweizer Fernsehstar und grossen Frauenschwarm. Manchmal wurde er sogar mit dem begehrtesten Junggesellen der damaligen Zeit in einer „Basler Beiz“ verwechselt und auch mal um ein Autogramm gebeten.
Das wurde dann zu einer seiner vielen Anekdoten, die er unterhaltend zu erzählen wusste und seine Geselligkeit begründete.
Hansruedi vermochte viele Leute zu faszinieren; er war stets gut gekleidet, hatte angenehme Umgangsformen – besonders wenn es Frauen zu beeindrucken galt – und, er konnte mit seiner spendablen Art immer wieder "überzeugen".
Auch fuhr er zeitweise interessante Autos. Ich erinnere mich dabei an einen unscheinbaren VW Typ 3 mit eingebautem Porschemotor. Eine kraftvolle Rakete; und er liebte es, wenn er mit der unauffälligen Familienkutsche, die anderen reihenweise hinter sich liess, besonders wenn es bergauf ging.
Hansruedi war aber auch ein ausgezeichneter Koch und ich denke, dass er nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass ich gerade diesen herrlichen Beruf gewählt habe.
Man kann generell sagen, dass er allen "Genüssen" des Lebens sehr zugetan war.

Doch es gab halt auch die schwierigeren Seiten des Hansruedi.
So verwandelte er mit der Zeit die Wohnung der Grossmutter in ein Exotarium mit grossen Terrarien und Käfigen, in denen er Schlangen und andere "Exoten" hielt. Damals brauchte es dafür weder ein Diplom noch eine Bewilligung und Lärm machten die Reptilien ja auch nicht. Trotzdem hielt es Grosi mit der Zeit dort nicht mehr aus und sie zog zu uns.
Von Zeit zu Zeit "hängte" es Hansruedi dann auch ganz tüchtig aus und er blieb wochenlang verschwunden.
Während dieser Zeit kämpfte er sich sozusagen "guerillamässig" durch die schweizerische "Wildnis". Ohne Zelt und Schlafsack  übernachtete er im Freien, ernährte sich von dem, was die Natur hergab, erlegte Tiere und wähnte sich vermutlich im Dschungelkrieg.
Aber es passierte nichts Gravierendes dabei und ausser den besorgten Telefonanrufen "seiner Weiber", wie sie Mutter jeweils nannte, bekamen wir wenig davon mit.
Interessanterweise behielt er trotz dieser gelegentlichen Eskapaden immer seine Arbeitsstelle – etwas, das ihn als tüchtigen Mitarbeiter auszeichnete.



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Hansruedi, der immer gerne in Gesellschaft war, starb wenige Jahre nach der Pensionierung alleine und wurde erst nach einigen Tagen von einer "seiner Frauen" in der Wohnung gefunden. Nach der Wohnungsräumung blieb nichts Brauchbares übrig, ausser einem alten Koffer mit ein paar Fotos und einigen Andenken und – einer beinahe unverwüstlichen, schwarzen RADO-Uhr, die ich als Andenken an Onkel Hansruedi bekam und zwischendurch auch immer wieder mal trage.


(*1) Anmerkung: Was ich damals noch nicht wusste, der Name "Gitanes" heisst aus dem französischen übersetzt "Zigeunerinnen". Das passte doch sehr gut zum Onkel Hansruedi.
 



Fremdenlegion:

Die Fremdenlegion (Légion étrangère) wurde 1831 von König Louis Philippe gegründet und diente zunächst zur Eroberung und Absicherung der afrikanischen Kolonien Frankreichs.
Ihr erster Kommandant war ein gewisser Christoph Anton Stoffel aus dem thurgauischen Argon (Schweiz) und jahrzehntelang waren die Eidgenossen überdurchschnittlich in der Legion vertreten. So zogen im Ersten Weltkrieg über 10'000 Schweizer für Frankreich in den Krieg und stellten somit ein Viertel der Legion. Jeder Rückkehrer musste damit rechnen inhaftiert zu werden, weil die hiesigen Gesetze das "Söldnertum" verbieten.

Von ihrer Gründung an bis zum Ende der 1980er Jahre haben in der Légion Étrangère laut einer Ansprache von Colonel Morellon mehr als 600.000 Mann aus aller Welt gedient.
Seit der Gründung der Fremdenlegion im Jahre 1831 sind mehr als 36.000 Legionäre auf dem Schlachtfeld für Frankreich gefallen.
Einer der bekanntesten Schweizer Fremdenlegionäre war der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser, (geboren 1896 in Wien, gestorben 1938 in Nervi bei Genua).



Heute werden Legionäre nicht mehr wie früher ausschliesslich in Kriegen, sondern überwiegend zur Kriegsverhinderung im Rahmen von UN- oder NATO-Missionen (z. B. in Bosnien, Kosovo, Afghanistan), zur Friedensschaffung und Friedenserhaltung, zur Rettung gefährdeter Menschen, zu humanitärer Hilfe, zur Wiederherstellung von Infrastruktur (z. B. im Libanon 2006) und zur Katastrophenhilfe (z. B. nach dem Tsunami 2004 in Südostasien) eingesetzt.
Text: aus Wikkipedia

5 Kommentare :

Njala hat gesagt…

Abgefahren! Der Mann hat was erlebt.
Vielen Dank, dass du diesen interessanten Teil deiner Familiengeschichte mit uns geteilt hast!

Liebe Grüße,
N

rotzloeffel hat gesagt…

Ja krass, aber auch von mir ein Dankeschön für die Geschichte.
Jeder hat so ein "Onkel/Menschen" in der Verwandtschaft, der ein als Kind so "anzieht". Mein Onkel war so eine Persönlichkeit, die mich als Kind leicht eingeschüchtert hat, mit seiner Anwesenheit schon, aber wiederum auch fasziniert. Allerdings hat er mich jetzt nach Jahren und nach dem ich mehr und mehr erfahren hab von seinem Leben, enttäuscht. Ein Vorbild ist er für mich nicht mehr, aber so Anekdoten oder Verhaltensweisen fallen einem auch immer wieder mal ein. Da mein Onkel noch lebt, bekommt er die heutzutage auch mal aus Jux "auf Brot geschmiert". *gg*

Ich mag ja keine Biografien lesen, vielleicht auch an Mangel an interessanten. Mich interessieren aber die schon, die man nebenbei mal so erzählt bekommt, auch nur Anekdoten. So wie die hier, von so ganz unbekannten, ganz normalen Leuten, die auch später nicht irgendwie berühmt worden sind. Wo ich manchmal nur den Gedanken hab, das sie die herraus gebracht haben, weil´s von ihnen eben erwartet wird. *augenroll*

Liebe Grüße und noch mal Sonne schick,
Rotzlöffel

Herr Oter hat gesagt…

@Njala:
Ja, er war ein "Lebemann" und er hat auch viel vom Leben genossen.
Nur schade, dass er eben auch einige "Opfer" hinterlassen hat, in der Legion, aber auch im Zivilleben.

@rotzlöffel:
Jedes Leben erzählt Geschichten. Ich finde jede Lebensgeschichte, jede Biographie interessant, sofern sie wirklich gelebt wurde. Im Gegensatz zum Roman muss sie einfach wahr sein.

@beide:
Herzlichen Dank, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, eine etwas längere Blog-Geschichte zu lesen und danach erst noch einen Kommentar zu schreiben.
Ich wünsche Euch ein schönes, warmes und erholsames Wochenende.

Liebe Grüsse
Resunad

planet112 hat gesagt…

Lieber Herr Oter

Danke für die sehr starke Geschichte! War sehr spannend zu lesen … Die Geschichten aus dem wahren Leben sind einfach die wildesten!

Habe selber einen wilden Onkel, der zur See fuhr, dann abhaute und polizeilich gesucht wurde. Und in der RAF-Zeit, nach einem Abstecher nach D-land, daheim berichtete, es würde bald losgehen mit Bomben und Co, was ihm zuerst niemand glaubte. Probleme mit Drogen hatte er auch. Das mit dem Fuss fassen im normalen Leben war nie ganz seine Sache. Jetzt ist er ruhiger geworden und etwas mitgenommen vom Leben.

Leider konnte ich die kleine Schrift fast nicht lesen, bitte Schriften etwas grösser wenns geht! Auch beim aktuellsten Beitrag kann ichs kaum lesen.

LG Anne von Planet112

Herr Oter hat gesagt…

Ganz herzlichen Dank für Dein Kompliment, liebe Anna.

Ich war auch sehr froh über Deinen Hinweis, dass die Schrift zu klein ist. Ich wollte Geschichte und Infos etwas trennen, habe aber nicht an die kleineren Bildschirme bei Tabletts und Smartphones gedacht. Inzwischen ist es Dank Deinem Hinweis geändert.

Nochmal herzlichen Dank, einen schönen Sonntag und liebe Grüsse
Resunad