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Dienstag, 18. Oktober 2011

Von unten her gesehen




Von unten her gesehen




„Das runde Gartentischchen mit den beiden antiken Stühlen ist hier einfach völlig deplatziert“, denkt er.
Denn diese schmucke, alte Sitzgruppe gehört nicht an diesen idyllischen Platz, auch wenn sie sehr gut vor das - auf dieser Seite komplett mit Efeu überwachsene - Gartenhaus aus Ziegelsteinen passt. Trotzdem findet er, dass gerade hier diese Gartenmöbel einfach am falschen Ort sind und jedes Mal, wenn er an ihnen vorübergeht, erzeugt ihr Anblick in ihm einen kurzen Stich.
Diese Gartenmöbel hier, sehen zwar etwas anders aus. Nicht die Stühle, aber der kleine Metalltisch hat keine rote Tischplatte und dieses Silber passte gar nicht richtig zu den danebenstehenden antiken Stühlen mit den rostrot gestrichenen Holzlatten.
Aber das sieht man nur von oben, denn wenn man von unten den Weg entlang kommt, ist die Tischplatte nur als dünner Strich sichtbar. Er kommt meistens von unten her und zurück sieht er, wenn er daran vorbei ist, nie - doch das hätte ihm vielleicht die Illusion genommen, es wären die Seinen.
Darum dieser Stich in der Herz-Magen-Gegend.

Die Beine dieser alten Gartenmöbel passen jedoch schon einigermassen zusammen, geschwungenes Metall silbrig gestrichen. Sie sind bestimmt original, nur die Tischplatte hatte man vermutlich ersetzen müssen - vom Rost durchlöchert, zerfressen vom Zahn der Zeit. Man hätte sie eben pflegen sollen, sich etwas Mühe geben und etwas dagegen tun müssen, - vielleicht auch professionelle Hilfe beanspruchen, als man gemerkt hat, dass sie Schaden nimmt. Man hätte grössere Defekte sicher noch abwenden können, hätte man es frühzeitig bemerkt, aber dann war es plötzlich zu spät gewesen - zu viele Löcher, zu viele schadhafte Stellen.
Ein schwaches Gefühl von Trauer kommt bei ihm auf, er lässt es zu, denn die Sonne schien ja, es kann also nichts passieren.

Wirklich fröhlich sehen diese drei Teile hier auch nicht aus, sie sind matt, ausgebleicht von der Sonne und das Ziegelrot hat seinen Glanz verloren. Etwas Auffrischung würde nicht schaden - mit einem Öl-Lappen mal darüber fahren, vielleicht, damit das Wasser nicht ins Holz dringt und die Spalten nicht immer grösser werden.

Zudem scheint diese kleine Gruppe etwas einsam, hier, auf dem kleinen Rasenstück.
Noch nie hatte er gesehen, dass jemand am Tischchen sass - vielleicht zwei formschöne Gläser darauf, eine Flasche rubinroten Wein, Häppchen, ein kleiner Bissen oder ein farbenfroher Salat. Ein Pärchen auf den alten Stühlen, glücklich sich zuprostend, ein Lächeln, gespitzte Lippen, tiefe Blicke und leuchtende Augen.

Früher waren es vier gewesen, denkt er, zwei Grössere und zwei Kleinere. An den Kleineren standen zwei Stühle, an den Grösseren vier. Alles im typischen Rot ausser die Beine, die waren, wie gesagt, silbern, geschwungen und verziert. Sein Vater hatte alles aufgemöbelt, repariert und restauriert. Sie waren vorher in einem erbärmlichen Zustand.

Die vier Runden standen dann in der Mitte der Gartenterrasse. Umgeben von vielen Eckigen, zu denen immer vier Stühle gehörten. Die eckigen Tische waren nicht antik, sondern rote Kunststofftischplatten mit gelochten Hartplastik-Schalensitzen auf weissgestrichenen Stahlrohrbeinen - wie man sie in vielen Gartenwirtschaften landauf und landab sehen konnte. Sie waren vor einigen Jahren modern gewesen, robust, fast unverwüstlich, brauchten kaum Pflege und sie passten formgleich zueinander. Sie wurden zusammengeschoben wenn eine grosse Gruppe kam, für einen Verein in eine lange Reihe gestellt, oder als Block nebeneinander platziert, wenn ein Buffet abgehalten wurde. Mit Tischtüchern abgedeckt machten sie einen etwas edleren Eindruck und ohne standen sie im Regen, weil man ihnen das zumuten konnte. Wetterfest - ja das waren sie. Sie stehen sicher immer noch dort, unverwüstlich eben.
Und, sie waren stapelbar, wenigstens die Stühle, aber auch die Tische konnten seitlich „gestapelt“ werden, wenn die Tischplatten gekippt wurden. So brauchten sie weniger Platz, wenn sie unter das Dach gestellt wurden - aber das wurde nur vor dem Winter gemacht.

Doch die vier Runden wurden immer unter das Dach geschoben, vor dem Regen geschützt. Denn sie waren besonders, nicht wie die anderen - meinte man. Darum musste man sie behüteten, hegen und pflegen - beschützen vor möglichem Schaden. Sie waren eben wertvoll, da war er sich sicher gewesen.

Sie waren eine Gruppe, gehörten zusammen, und doch war jeder der Vier individuell. Jeder Tisch einzeln gemacht, jeder Stuhl ein Unikat. Keine Massenproduktion, das sah man. Mit ihrer runden Form konnten sie auch nicht einfach zusammengeschoben und in eine Reihe gestellt werden und doch passten sie als Gruppe perfekt zusammen, glaubte man.
Auch wenn man die alten Tische nicht aufklappen konnte und die antiken Stühle nicht stapelbar waren, damit man etwas Platz hätte sparen können, sie waren trotzdem seine Liebsten und er war stolz auf sie.
„Jeder fordert halt den Platz ein, den er braucht“, davon war er überzeugt.

Sie waren beliebt,die Runden, ja oft sogar begehrt, nie fühlten sie sich einsam oder verlassen. An ihnen sassen eher die Verliebten, die Romantiker, die Nostalgiker und die Individualisten - und das Wirtepaar mit seinen beiden Kindern, wenn das Lokal geschlossen war. An ihnen wurde gegessen und getrunken, gelacht, geredet, gestritten, getuschelt und gekuschelt und an Wirte-Ruhetagen auch Schulaufgaben gemacht.
Bei ihnen war das ganz Leben zu Gast!
Nie würde man diese Vierergruppe aufteilen können, davon war er überzeugt.

Und trotzdem steht das kleine, runde Gartentischchen mit den beiden antiken Stühlen nun hier, weit ab der anderen. Manchmal halt etwas deplatziert vielleicht - aber nur selten. Und manchmal meint er, es gehöre noch immer zu ihm - aber nur von unten her gesehen.

©® Copyright by Herr Oter




"|"




2 Kommentare :

herbst.zeitlosen hat gesagt…

erstaunlich, wie viel gelebtes und erinnertes Leben in einem Tischchen und zwei Stühlen stecken kann ...
Abendgrüße

Herr Oter hat gesagt…

Das geht vermutlich manchem so, Erinnerungen kommen, Geschehenes wird bearbeitet und manchmal vergeht dabei sogar die allfällige Wehmut.
Bei vielen geschieht das still und leise, im Geheimen sozusagen.
Nur - bei mir muss es raus, zu Wort gebracht und in Sätze geformt werden – immer und immer wieder.