Von unten her gesehen
„Das runde Gartentischchen mit den
beiden antiken Stühlen ist hier einfach völlig deplatziert“,
denkt er.
Denn diese schmucke, alte Sitzgruppe
gehört nicht an diesen idyllischen Platz, auch wenn sie sehr gut vor
das - auf dieser Seite komplett mit Efeu überwachsene - Gartenhaus
aus Ziegelsteinen passt. Trotzdem findet er, dass gerade hier diese
Gartenmöbel einfach am falschen Ort sind und jedes Mal, wenn er an
ihnen vorübergeht, erzeugt ihr Anblick in ihm einen kurzen Stich.
Diese Gartenmöbel hier, sehen zwar
etwas anders aus. Nicht die Stühle, aber der kleine Metalltisch hat
keine rote Tischplatte und dieses Silber passte gar nicht richtig
zu den danebenstehenden antiken Stühlen mit den rostrot gestrichenen
Holzlatten.
Aber das sieht man nur von oben, denn
wenn man von unten den Weg entlang kommt, ist die Tischplatte nur als
dünner Strich sichtbar. Er kommt meistens von unten her und zurück
sieht er, wenn er daran vorbei ist, nie - doch das hätte ihm
vielleicht die Illusion genommen, es wären die Seinen.
Darum dieser Stich in der
Herz-Magen-Gegend.
Die Beine dieser alten Gartenmöbel
passen jedoch schon einigermassen zusammen, geschwungenes Metall silbrig
gestrichen. Sie sind bestimmt original, nur die Tischplatte hatte man
vermutlich ersetzen müssen - vom Rost durchlöchert, zerfressen vom
Zahn der Zeit. Man hätte sie eben pflegen sollen, sich etwas Mühe
geben und etwas dagegen tun müssen, - vielleicht auch professionelle
Hilfe beanspruchen, als man gemerkt hat, dass sie Schaden nimmt. Man
hätte grössere Defekte sicher noch abwenden können, hätte man es
frühzeitig bemerkt, aber dann war es plötzlich zu spät gewesen -
zu viele Löcher, zu viele schadhafte Stellen.
Ein schwaches Gefühl von Trauer kommt
bei ihm auf, er lässt es zu, denn die Sonne schien ja, es kann also
nichts passieren.
Wirklich fröhlich sehen diese drei
Teile hier auch nicht aus, sie sind matt, ausgebleicht von der Sonne
und das Ziegelrot hat seinen Glanz verloren. Etwas Auffrischung würde
nicht schaden - mit einem Öl-Lappen mal darüber fahren, vielleicht,
damit das Wasser nicht ins Holz dringt und die Spalten nicht immer
grösser werden.
Zudem scheint diese kleine Gruppe etwas
einsam, hier, auf dem kleinen Rasenstück.
Noch nie hatte er gesehen, dass jemand
am Tischchen sass - vielleicht zwei formschöne Gläser darauf, eine
Flasche rubinroten Wein, Häppchen, ein kleiner Bissen oder ein
farbenfroher Salat. Ein Pärchen auf den alten Stühlen, glücklich
sich zuprostend, ein Lächeln, gespitzte Lippen, tiefe Blicke und
leuchtende Augen.
Früher waren es vier gewesen, denkt
er, zwei Grössere und zwei Kleinere. An den Kleineren standen zwei
Stühle, an den Grösseren vier. Alles im typischen Rot ausser die
Beine, die waren, wie gesagt, silbern, geschwungen und verziert. Sein
Vater hatte alles aufgemöbelt, repariert und restauriert. Sie waren
vorher in einem erbärmlichen Zustand.
Die vier Runden standen dann in der
Mitte der Gartenterrasse. Umgeben von vielen Eckigen, zu denen immer
vier Stühle gehörten. Die eckigen Tische waren nicht antik, sondern
rote Kunststofftischplatten mit gelochten Hartplastik-Schalensitzen
auf weissgestrichenen Stahlrohrbeinen - wie man sie in vielen
Gartenwirtschaften landauf und landab sehen konnte. Sie waren vor
einigen Jahren modern gewesen, robust, fast unverwüstlich, brauchten
kaum Pflege und sie passten formgleich zueinander. Sie wurden
zusammengeschoben wenn eine grosse Gruppe kam, für einen Verein in
eine lange Reihe gestellt, oder als Block nebeneinander platziert,
wenn ein Buffet abgehalten wurde. Mit Tischtüchern abgedeckt machten
sie einen etwas edleren Eindruck und ohne standen sie im Regen, weil
man ihnen das zumuten konnte. Wetterfest - ja das waren sie. Sie
stehen sicher immer noch dort, unverwüstlich eben.
Und, sie waren stapelbar, wenigstens
die Stühle, aber auch die Tische konnten seitlich „gestapelt“
werden, wenn die Tischplatten gekippt wurden. So brauchten sie
weniger Platz, wenn sie unter das Dach gestellt wurden - aber das
wurde nur vor dem Winter gemacht.
Doch die vier Runden wurden immer unter
das Dach geschoben, vor dem Regen geschützt. Denn sie waren
besonders, nicht wie die anderen - meinte man. Darum musste man sie
behüteten, hegen und pflegen - beschützen vor möglichem Schaden.
Sie waren eben wertvoll, da war er sich sicher gewesen.
Sie waren eine Gruppe, gehörten
zusammen, und doch war jeder der Vier individuell. Jeder Tisch
einzeln gemacht, jeder Stuhl ein Unikat. Keine Massenproduktion, das
sah man. Mit ihrer runden Form konnten sie auch nicht einfach
zusammengeschoben und in eine Reihe gestellt werden und doch passten
sie als Gruppe perfekt zusammen, glaubte man.
Auch wenn man die alten Tische nicht
aufklappen konnte und die antiken Stühle nicht stapelbar waren,
damit man etwas Platz hätte sparen können, sie waren trotzdem seine
Liebsten und er war stolz auf sie.
„Jeder fordert halt den Platz ein,
den er braucht“, davon war er überzeugt.
Sie waren beliebt,die Runden, ja oft
sogar begehrt, nie fühlten sie sich einsam oder verlassen. An ihnen
sassen eher die Verliebten, die Romantiker, die Nostalgiker und die
Individualisten - und das Wirtepaar mit seinen beiden Kindern, wenn
das Lokal geschlossen war. An ihnen wurde gegessen und getrunken,
gelacht, geredet, gestritten, getuschelt und gekuschelt und an
Wirte-Ruhetagen auch Schulaufgaben gemacht.
Bei ihnen war das ganz Leben zu Gast!
Nie würde man diese Vierergruppe
aufteilen können, davon war er überzeugt.
Und trotzdem steht das kleine, runde
Gartentischchen mit den beiden antiken Stühlen nun hier, weit ab der
anderen. Manchmal halt etwas deplatziert vielleicht - aber nur
selten. Und manchmal meint er, es gehöre noch immer zu ihm - aber
nur von unten her gesehen.
©® Copyright by Herr Oter
"|"
2 Kommentare :
erstaunlich, wie viel gelebtes und erinnertes Leben in einem Tischchen und zwei Stühlen stecken kann ...
Abendgrüße
Das geht vermutlich manchem so, Erinnerungen kommen, Geschehenes wird bearbeitet und manchmal vergeht dabei sogar die allfällige Wehmut.
Bei vielen geschieht das still und leise, im Geheimen sozusagen.
Nur - bei mir muss es raus, zu Wort gebracht und in Sätze geformt werden – immer und immer wieder.
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