Liebe
„Ich habe mich verliebt!“
Unvermittelt, fast beiläufig, sprach es Caroline aus, während sie sich mit Stefan im Fernseher „Äschbacher“ ansah.
„Lebensträume“ lautete das Motto der beliebten wöchentlichen Gesprächssendung – vielleicht der Grund, dass sie diesen folgenschweren Satz gerade jetzt aussprach. Denn bereits vor Tagen hatte sie sich für ihn entschieden, nachdem sie wochenlang mit sich gerungen hatte. Doch nun war er endlich draussen und schwebte für einen Moment bedrohlich im Raum.
„In was?“, murmelte Stefan, der auf dem Kanapee bereits mit dem Schlaf kämpfte.
„Ich habe mich in Sabine verliebt.“
Caroline starrte weiterhin in den Fernseher, ohne davon etwas wahrzunehmen. Ihr Puls ging schneller, die Wangen waren gerötet und schon begann das lästige Schwitzen, während sich die Fingernägel in ihre Handflächen bohrten.
„Ja, ich mag deine Freundin Sabine auch sehr gut, sie ist wirklich ein Schatz.“ stimmte ihr Mann müde zu. Ein Gähnen konnte er gerade noch unterdrücken.
„Es ist mehr, Stefan“, sagte seine Frau daraufhin mit fester Stimme. Das liess ihn aufhorchen.
Etwas unwillig richtete er sich auf und nahm sein Rotweinglas zur Hand, ohne davon zu trinken.
“Ich werde mich von dir trennen und mit ihr zusammenziehen.“
Fast flüsternd drehte Caroline langsam den Kopf zu ihrem Mann.
„Machst du Witze oder was? Wie soll denn das gehen?“
Ungläubig schüttelte Stefan leicht den Kopf und nahm einen Schluck. Dabei schaute er durch den Glasrand zu Caroline.
Sie meinte es erst! Das wurde ihm nun sogleich klar, denn Caroline schaute ihm mit festem Blick direkt in die Augen.
Stefan war jetzt hellwach. Er trank auch den Rest des Glases aus und schenkte gleich wieder nach.
„Nein, Stefan, ich meine es ernst. Ich kann nicht anders.“
Tränen schossen in Carolines Augen und die hängenden Schultern erzeugten einen hilflosen Ausdruck.
„Was heisst, ich kann nicht andres“, fragte Stefan etwas heiser, während er das Glas mit beiden Händen umklammerte, als suchte er dort einen Halt.
„Ich habe bei Sabine etwas gefunden, das ich nicht mehr missen möchte. Die Liebe zu ihr scheint mir einzigartig – etwas Vollkommenes.“
„Mich liebst du also nicht mehr?“, fragte Stefan etwas grimmig.
„Ich habe dich noch immer sehr gerne, Stefan, aber die Liebe zu Sabine ist damit nicht zu vergleichen.“
„Und was meint Sabine dazu?“, wollte Stefan nun wissen, hoffend, dass sie nichts davon hielt.
„Sie empfindet gleich wie ich, aber sie drängt mich zu nichts. Sie weiss ja, dass ich Verantwortung habe – dir, aber vor allem auch Jennifer gegenüber.“
Stefan ergriff die kleine Chance, die sich soeben ergeben hatte:
„Ja, glaubst du, du kannst einer Siebenjährigen den Vater durch eine Frau ersetzten. Was meinst du, wie sie in der Schule gehänselt wird? Ihre Mutter – eine Lesbe!“
Stefan sucht in der Flasche nach einem Rest des Weines, aber sie ist leer. Etwas zu hart stellt er sie zurück auf den Tisch.
„Stefan, lass uns doch vernünftig darüber reden, solche Ausbrüche bringen uns auch nicht weiter.“
„Nun ist mir auch klar, warum Sable nie einen Kerl hatte“, raunte Stefan ärgerlich.
Er hatte plötzlich wieder Lust, eine zu rauchen, doch seit einem guten Jahr gab es keine Zigaretten mehr im Haus.
„Und, wie lange geht das schon mit euch beiden? Wart ihr zusammen auch im Bett?“
Der böse Blick von Stefan schmerzte Caroline mehr als sie erwartet hatte.
„Ja, inzwischen schon“, sagte sie leise und senkte dabei den Blick.
„Lange wollte ich es ja selber nicht wahrhaben, ich dachte, es sei bloss eine blöde Schwärmerei, Verirrungen der Gefühle oder ausschweifende Gedanken. Trotzdem, ich fühlte mich immer sehr wohl in ihrer Nähe und wollte Sabine einfach immer mehr um mich haben. Ich fühle mich von meiner besten Freundin verstanden und als Frau ernst genommen“.
„Aha, ich nehme dich also nicht ernst! Was erwartest du denn eigentlich?“
„Das kannst du nicht vergleichen. Du warst immer sehr lieb und aufmerksam zu mir, doch da kam etwas ins Spiel, das ich vorher nicht gekannt habe. Als ich merkte, dass ....,“
Caroline suchte nach den rechten Worten, damit sich Stefan nicht noch mehr aufregte, „dass es Sabi auch nicht unangenehm war, da liess mich dieser Drang nicht mehr los. Ständig musste ich daran denken. Seit etwa drei Monaten sind wir nun intim.“
„Und, bist du nun glücklicher im Bett, als mit mir? Bringt's dir eine Frau besser als ich? Das ist doch lächerlich!“
Hör zu Stefan, auf diesem Niveau möchte ich nicht mit dir sprechen! Mit dir war alles in Ordnung, auch im Bett.“
„Ich verstehe es einfach nicht“, sagte Stefan nach einer Pause. „Sind vielleicht unsere erotischen Fantasien während dem Sex mitschuldig?“
„Ach Stefan, dich hat es doch vor allem glücklich gemacht, wenn wir uns ausgemalt haben, dass du mit zwei Frauen.... Ich konnte mir das in Wirklichkeit weniger vorstellen, auch wenn mich unsere Fantasien angetörnt haben. Das da was dran sein könnte, hat mich dann völlig überrascht.“
„Nun hätten wir ja die Gelegenheit....“, sagte Stefan mit einem versöhnlichen Lächeln.
„Das sicher nicht, Stefan, das kannst du vergessen. In der Wirklichkeit haben solche Fantasien keinen Platz mehr.“
Es brauchte noch viele Gespräche, manche Gehässigkeiten und einige schwierige Momente waren zu überstehen, bis sich Stefan mit der Gegebenheit abfinden konnte. Was ihm anfangs immer wieder als vorübergehende Episode, als Abwechslung oder momentane Laune seiner Frau vorkam, wurde immer mehr zur unverrückbaren Gewissheit. Einzig die Tatsache, dass eine Frau, die er übrigens wirklich gerne mochte, ihm seine Ehefrau streitig machte, war für ihn ein kleiner Trost. Ein Nebenbuhler wäre schwerer zu ertragen gewesen, gegen eine Frauenliebe fühlte er sich einfach machtlos.
Man einigte sich, manchmal sogar im Gespräch zu dritt, dass Stefan in die gemütliche Dreizimmer-Einliegerwohnung im Untergeschoss zog und die beiden Frauen mit Jennifer in der geräumigen oberen Wohnung bleiben würden. So konnte man der Kleinen einen Umzug, einen Schulwechsel oder die Entfremdung vom Vater ersparen. Auch ein grösseres Gerede im Städtchen konnte man eher vermeiden, obschon natürlich viel gemunkelt wurde.
Nach dem Einzug von Sabine hatte man sich in recht kurzer Zeit an die neue Situation gewöhnt und man war erstaunt, wie einfach Jennifer damit umging.
Dann, zwei Jahre später der Befund. Caroline hatte Krebs. Metastasen im ganzen Körper – hoffnungslos, endgültig, so die Diagnose, die man nicht offen auszusprechen wagte, die aber doch jeder verstanden hatte.
Alle kümmerten sich um sie. Stefan und Sabine wechselten sich in der Pflege ab. Das neue Team harmonierte gut, Sachlichkeit war beider Stärke und nur das Wohl von Caroline stand jetzt im Mittelpunkt. Stefan reduzierte seine Arbeit, damit er sich mehr um Jennifer kümmern konnte, währenddessen er den beiden Frauen, die ungestörte, gemeinsame Zeit ehrlich gönnte.
Die Beerdigung war eine Belastungsprobe für alle.
Der Ehemann und die Geliebte am Grab der Verstorben, das hatte etwas Pikantes. Viele kamen, etliche aus reiner Neugier.
Aber die gemeinsam durchgestanden letzten Monate stärkten die Beiden. Sie hatten das gute Gefühl, das Richtige gemacht und das Unnötige beiseite gelassen zu haben. Dann war da ja noch ein junges Mädchen, Jennifer, um die man sich kümmern musste. Dazu musste man stark sein und funktionieren.
Caroline hatte beiden das Versprechen abgenommen, dass sie sich gemeinsam um Jennifer kümmern würden und, dass Sabine im Haus bleiben konnte. Dieses abgegebene Versprechen wurde nun zum Lebensinhalt der beiden.
Mit der Zeit wurde die untere Wohnung wieder fremd vermietet und nach knapp drei Jahren bekam Stefan von seinem Arzt die gleiche Krebs-Diagnose mitgeteilt, wie sie damals bei seiner Frau gestellt worden war.
Schicksal oder purer Zufall? Die Bestürzung im Umfeld war gross und man hatte weit herum Mitleid mit den Dreien.
Stefan kämpfte verzweifelt um seine Gesundheit, liess nichts unversucht und Sabine übernahm zum zweiten Mal innert vier Jahren die aufopfernde Pflege eines Krebskranken.
Als man sich eingestehen musste, dass der grosse Heilungserfolg ausblieb, entschloss sich Stefan, Sabine zu heiraten. Somit konnte das Sorgerecht für Jennifer einer vertrauten und geliebten Person übertragen werden und die beiden hatten für die Zukunft ein gesichertes Zuhause.
Nach Stefans Tod kümmerte sich Sabine in aller Stille und mit grossem Einsatz als alleinerziehende Mutter um die inzwischen bildhübsche und intelligente Jennifer. Im Städtchen wurde Sabine dafür zunehmend geachtet, man bot ihr Hilfe an, die sie aber nur im Notfall annahm.
Einige Jahre sind inzwischen vergangen. Jennifer studiert an der Uni erfolgreich Psychologie und Philosophie und kommt gerne am Wochenende heim ins Elternhaus um die Mutter etwas zu entlasten, die inzwischen wieder voll berufstätig ist, damit sie Jennifer finanziell unterstützen kann. Sabine ist in die untere, kleiner Wohnung umgezogen, damit sie die Grössere vermieten kann. Sie lebt allein, eher bescheiden und etwas zurückgezogen. Man trifft sie gelegentlich in der Kulturmühle bei einem Anlass, oder ich sehe sie ab und zu im Wald, wenn sie gedankenversunken, mit schnellen langen Schritten, ihre einsamen Spaziergänge macht.
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:-/
4 Kommentare :
da war wohl ein Engel am Werk, der anders tickte und in weiser Vorausschau das Leben gegen den Strom eingerichtet hat.
Ich grüße
Mir scheint sogar, dass ich den Engel ab und zu im Wald sehe, wenn er gedankenversunken, mit schnellen langen Schritten, seine einsamen Spaziergänge macht.
Danke für den Eintrag und liebe Grüsse
Sprachlos,..... Wunderbar geschrieben... und jedes Wort geht tief ins Herz...
Engel fliegen leise...
Ihr Bienschen
Ganz herzlichen Dank, liebes Bienschen, das freut mich sehr, dass Sie etwas in meinem Archiv gestöbert haben und dass Ihnen die Geschichte gefällt.
Ich hoffe, dass Sie unter dem Label "Für Eilige: Meine Besten" noch den einen oder anderen interessanten Eintrag finden.
Mit lieben Grüssen
Resunad
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