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Dienstag, 17. Februar 2015

Unerhörtes geschah in Bürglen





Unerhörtes geschah in Bürglen

Unerhörtes geschah im letzten Herbst in der Dorfkirche von Bürglen. Ein Pfarrer segnete in einer Zeremonie zwei homosexuelle Frauen. Monate später erwähnt er es auch noch nebenbei in einem lokalen Zeitungsinterview. Daraufhin fordert nun sein Chef aus dem entfernten Bistum die Demission und Versetzung des beliebten Pfarrers, trotz grosser Proteste der Dorfbevölkerung. Völlig Zurecht, meiner Ansicht nach, wenn die katholische Kirche seine verbliebenen treuen Schäfchen weiter aus der Kirche vertreiben will. Was glauben den die aufmüpfigen „Bergler“ eigentlich? Die sollen gefälligst den Mund halten, niederknien, beten und zahlen!


Ich kenne Bürglen, ein bisschen wenigstens. Ein sonnenbeschienenes Urner Dorf am Eingang zum Schächental, auf dem Weg zum Klausenpass. Schon mehrmals habe ich die urchige Gemeinde mit seinen knapp viertausend Einwohnern besucht. Zuerst wohl, wie die meisten Schweizer, weil in Bürglen unser Wilhelm Tell, der schweizerische Volksheld aus dem 13. Jahrhundert, als Bauer und Jäger gelebt haben soll. Ich nehme an, man kennt die Geschichte des unerschrockenen Mannes mit seiner Armbrust, dem armen Walterli und dem durchlöcherten Apfel, als Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit inzwischen weitherum. Bei meinem späteren Besuchen in diesem geschichtsträchtigen „Tellendorf“, bin ich dann jeweils weniger von Tells Heldentaten ergriffen, sondern eher von der Pfarrkirche „St. Peter und Paul“. Für mich ist dieses Gotteshaus eines der Schönsten hierzulande. Hell, warm, offen und einladend – selten habe ich in der Schweiz eine freundlichere, katholische Kirche gesehen. Nichts Dunkles, nichts Bedrohendes und nichts das Schuldgefühle auslösen soll. Ich verweile jeweils gerne etwas dort, denn ich fühle mich in diesem katholischen Gotteshaus auch als einfacher Mensch, Protestant und „Sünder“ irgendwie respektvoll geachtet.

Die Kirche weisst noch eine interessante Besonderheit auf: Auf dem Kirchturm sitzt ein Gockel. Eher unüblich für katholische Kirchen. «Dieser Gockel soll uns mahnen, uns nicht nach dem Wind zu drehen. Wir im Dorf des Wilhelm Tell stellen uns den Herausforderungen der Zeit und orientieren uns dabei an der Botschaft Jesus Christus.», schreibt Pfarrer Wendelin Bucheli dazu auf der Kirchenwebseite.
Mahnt uns das nicht etwas an den freiheitlichen Geist unseres Nationalhelden, der den Hut der Obrigkeit nicht grüssen wollte?
Doch gerade dieser unerschrockene, vorwärtsgerichtete Pfarrer soll nun einfach das Feld räumen. Nur weil er und sein Tun der Obrigkeit im Bistum Chur nicht passt?

Ein katholischer Pfarrer darf Rindviecher, Hunde, Katzen, Feuerwehrautos, Motorräder, Häuser, Brücken und sogar Waffen segnen. Doch die Segnung eines homosexuellen Liebespaares ist ihm in Bürglen untersagt. Das finde ich unerhört.
Vorher hat das monatelang auch niemanden gestört und der Geistliche hatte vor der Segnung der beiden Frauen sowohl den Kirchenrat, den Pfarreirat wie auch die Pfarrei-Mitarbeitenden informiert. Alle sprachen sich im Grundsatz dafür aus.
Erst als Pfarrer Wendelin Bucheli im «Urner Wochenblatt» einige Monate später nebenbei ausgeführt, dass sich die Segnung von der Form her, nicht wesentlich von einer Trauung unterschieden hatte, soll der erzkonservativen Churer Bischof Vitus Huonder aufgeschreckt sein. Postwendend kam aus dem Bistum der Befehl, dass Pfarrer Bucheli seinen Posten zu räumen habe. Bischof Charles Morerod unterstützt ihn dabei und will den aus Freiburg stammenden Bucheli deshalb spätestens im Sommer zurück in sein Stammbistum zurückbeordern.
«Der Bischof muss seine Verantwortung wahrnehmen, er kann so ein Ärgernis nicht einfach hinnehmen, auch wegen all jener Seelsorgenden und Gläubigen, die zum katholischen Glauben stehen.» wird Vitus Huonders Sprecher Giuseppe Gracia in einem Artikel zitiert.

Nur, gerade wegen solchen unverständlichen Entscheidungen werden es davon immer weniger. Die Seelsorger werden immer weniger und die Gläubigen laufen den Landeskirchen in Scharen davon. Viele verstehen nicht, warum sich eine Kirche um die Geschehnisse vor über zweitausend Jahren kümmert, sich aber den heutigen Fragen ständig entzieht. Dazu gehören die Missbrauchsfälle früherer Jahre oder schwer verständliche Kirchengesetze. Sie verbieten armen Kirchenmänner den innigen Umgang mit Frauen und sie müssen es heimlich tun. Auch begreift man nicht warum sie nicht einfach heiraten dürfen oder warum Frauen für die Tätigkeiten der geweihten Kirchenmänner weniger geeignet sein sollen. So stellt sich für sehr viele Kirchenmitglieder immer öfter die Frage: Ja, misst denn der Herrgott mit zwei verschiedenen Ellen?

Ebenso, in der Frage der Partnerschaft. Ist eine gleichgeschlechtliche Verbindung vor Gottesaugen wirklich weniger wert oder ist die Liebe zu einem Menschen vor dem Schöpfer vom Geschlecht abhängig?
«Die Ehe ist eine dauerhafte, sich verpflichtende Partnerschaft zwischen Mann und Frau», soll in der Bibel stehen, argumentieren die Kirchenoberen ihren Entscheid. Aber haben diese alten Kirchenbilder nicht längst ausgedient? Was denken wir Christen denn über fundamentalistische Islamisten, die den Koran wortwörtlich auslegen und die eine Scharia mit ihren drakonischen Strafen auf dessen Grundlage heute noch anwenden wollen: Ganzkörperverschleierungen, Handamputationen bei Diebstahl, Steinigung von Ehebrecherinnen oder Frauen nach einer Vergewaltigung usw.? Was Erzkonservative und „Hardliner“ auslösen können, sehen wir tagtäglich von anderen Religionen in den Nachrichten. Das kann doch nicht der Weg der einer zeitgemässen Kirche sein.

Ich meine, es wäre zumindest für unsere Kirche höchste Zeit eine neuzeitliche Haltung anzunehmen. Eine nützliche Kirche sollte sich mit den Fragen der heutigen Zeit auseinander setzten, statt stur auf mehr als zweitausend Jahre alten Werten und Vorstellungen sitzen zu bleiben.
Ein Papst Franziskus lebt ein relativ fortschrittlicheres Christentum vor – und ein aufgeschlossener Pfarrer wie Wendelin Bucheli, wendet es seit zehn Jahren und trotz gesundheitlicher Probleme nach einem Hirnschlag im letzten Oktober, tagtäglich in seiner ansehnlichen Gemeinde (über 90% der Bewohner sind katholisch) zur vollen Zufriedenheit (fast) aller an.
«Er geht unvoreingenommen auf alle Leute zu, ob jung oder alt. Deswegen mögen die Leute Pfarrer Bucheli auch. Er lebt die Nächstenliebe, das spürt man», wird Gemeindepräsident Frösch zitiert.

Zudem sind Segnung gleichgeschlechtlicher Paare vielerorts in der Schweizer Kirche üblich, selbst im Bistum Chur. So sollen in der zum Bistum gehörenden Stadtzürcher Pfarrei St. Josef innerhalb von sechs Jahren rund 70 homosexuelle Paare gesegnet worden sein. Diese Ungleichheit fördert nicht gerade das Vertrauen der Gläubigen und  die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche.
Der Churer Bischof wolle nun offenbar ein Exempel statuieren, sagt Buchelis engster Mitarbeiter René Deiss.
Aber so einfach ist das vermutlich nicht. Nach der letzten Sonntagsmesse räumte der Bürgler Pfarrer zwar den Fehler ein, dass er die Segnung „nicht diskret genug“  vorgenommen habe, lehnte aber gleichzeitig eine Versetzung wiederholt ab. Darauf gab es in der Kirche eine Standing Ovation.
Der Kirchenrat Bürglen – nur er kann Bucheli entlassen – steht gemäss Vize-Kirchenrat Peter Vorwerk: «[…] vorbehaltlos hinter ihm.»

Auch in der Bevölkerung ist der Auflehnung mächtig. In einer Petition gegen die erzkonservative Linie von Bischof Vitus Huonder vom Bistum Chur sollen allein in Bürglen und Umgebung bereits über 4000 Unterschriften zusammengekommen sein. «Er geniesst in der Gemeinde einen enormen Rückhalt», sagt das Kirchenratsmitglied.
Auch auf einer Online-Bürgerpetition haben aktuell bereits 32’478 Personen unterschrieben.

Aber all das wird den rückwärtsgewandten Bischof nicht von seiner Idee abbringen, auch die letzten, treuen Schäflein mitsamt seinem guten Hirten aus seiner einladenden Kirche im wehrhaften Tellendorf zu vertreiben.
Das finde ich unerhört!



Bürglen 
By Badener (Eigenes Werk) [CC BY 3.0 ], via Wikimedia Commons




;)





4 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Dem habe ich nichts hinzuzufügen!
Solche Pfarrer braucht die Kirche im 21. Jahrhundert! Amen.
T.O.&O.

Herr Oter hat gesagt…

Finde ich auch!
Danke und liebe Grüsse
Re

Dekoratz hat gesagt…

Lieber Herr Oter - alles was zu sagen ist, steht schon in Deinem Post. Gut geschrieben!
Liebe Grüße - Barbara

Herr Oter hat gesagt…

Hallo Barbara

Schön von Dir zu hören.
Ganz herzlichen Dank!

Liebe Grüsse und ein vorfrühlingshaftes Wochenende.
Re