Was ist ein Fenster?
Wikipedia definiert es so:
«Ein Fenster ist eine Öffnung in der Wand eines Gebäudes und dient der Lichtzufuhr und der Aussicht.»
Ist ein Fenster also einfach «ein Loch in der Wand» wie es bei Wikipedia heisst oder sind es «die Augen der Häuser«, wie der französischer Schriftsteller Jules Amédée Barbey d’Aurevilly, die Fenster poetisch beschreibt?
Ich tendiere zu den Augen und gehe sogar noch einen Schritt weiter:
Ein Haus ohne Fenster ist ein Gebäude ohne Seele!
Denn erst die Fenster geben einem Wohnhaus Charakter, Charme und Liebreiz.
Die ältesten Behausungen waren noch fensterlos. Tageslicht fiel nur durch die kleine Tür und durch Firstöffnungen (Rauchabzug) ein. In jungsteinzeitlichen Häusern (8. - 6. Jahrtausend v Chr.) gab es bereits schlitzartige Lichtöffnungen. So fand man in der altpersischen Residenzstadt Persepolis in der Lehmmauer eines 6’000 Jahre alten Hauses bereits erste kleine Fenster. Bei den späteren Lichtdurchlässen, handelte es sich dann bereits um kleine, ovale oder rechteckige Öffnungen. Mit der Zeit wurden durch immer transparentere Füllungen, die Lichtverhältnisse und auch die Witterungseinflüsse im Hausinneren verbesserten. So wurden anfangs die Öffnungen mit Verschlüssen aus Stroh, dann geölten und gewachsten Leintüchern, gegerbte dünnen Tierhäuten (Darm und Blase), dünn geschabten Hornplatten, geöltem Papier und durchscheinenden gefirnisten Pergamenten, sowie Wachstüchern vermacht.
Erst im letzten Jahrhundert vor Christus beginnt die Epoche der Fenster aus Glas.
Glas kennt man zwar schon seit etwa 8'000 Jahren (Obsidian) und wurde bereits seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien und Ägypten geschmolzen und verarbeitet. Doch erst die Römer brachten dieses Kunsthandwerk zu seiner Blüte. Erste Funde von kleinen, gegossenen Glasfenstern (ca. 20 - 30 cm) wurden aus der Zeit um 30 v. Chr. in den reichen Häusern von Pompeji belegt.
Später wurde solcher Luxus auch im Kirchenbau verwendet und um das Jahr 290 wurden die ersten Kirchenfenster mit Glas versehen. Von Gregor von Tours wurden 591 erstmals bronzene Kirchenfenster mit einer farbigen Glasausfüllung erwähnt. Auch in römischen Kastellen sollen bereits damals schon, vereinzelt Glasfenster eingesetzt worden sein. Im späten 12. Jahrhundert (1180) sind erste Glasfenster als besonderer Luxus hin und wieder auch in englischen Privathäusern zu finden. 1330 entwickelte ein Glasmacher in Rouen (Frankreich) das Prinzip des Mondglases, das auch Bụtzenglas genannt wird. Fenster konnten nun in grösserem Rahmen hergestellt werden. Später wurden Fensterscheiben jahrhundertelang mit der Glasmacherpfeife geblasen, aufgeschnitten und flachgewalzt. Erst 1688 wurde in Frankreich das Gussglasverfahren entwickelt. Fensterglas wurde dann gegossen, geschliffen und poliert. In England wurde es nun bei Schlössern in grösserer Stückzahl verwendet, um Reichtum zu zeigen.
Das Fenster oder zumindest das Glas darin, war also schon von Beginn weg, neben dem Lichteinlass auch immer eine Demonstration von Macht und Reichtum.
Somit stellt sich die Frage nach dem heutigen Sinn von Fenstern?
Dienen sie dazu, dass man ins Freie hinausschauen kann oder damit der Blick ins luxuriöse Innere freigeben wird?
Bis ins frühe Mittelalter waren Fensteröffnungen nur dazu bestimmt, Licht in die Räume zu lassen. Bis dahin begann die Fenstersohle erst in Kopfhöhe. Mit dem Aufkommen von transparenten Fensterverschlüssen wurden dann jedoch die Fensterbrüstung so tief gelegt, dass man auch hinausblicken konnte. Was vor dem Haus vorging wurde zum eigentlichen Zeitvertreib. Dazu sparte man bereits im 12. Jahrhundert Fensternischen aus, in denen Seitenbänke angebracht wurden. Diese Fensternischen wurden im 13. Jahrhundert allgemein üblich und blieben es bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. In dieser Zeit gipfelte der Müssiggang und die Neugierde hinter Fenstern in den wohnlicheren Erkern und prunkvollen Ausluchten, den Vorgängern der heutigen, vollverglasten Wintergärten. Jetzt ist die Grenze zwischen Privatheit und öffentlichem Raum beinahe ganz aufgehoben.
Das unverhüllte Fenster als Einblick, als Öffnung nach innen, in den privaten Bereich. Ein „Schau-Spiel", das die zufällig vorbeikommenden Passanten und Passantinnen auf der Strasse zu Zuschauern, zu Voyeuren macht.
Diese grossflächige Transparenz führt mich nun von der neugierigen Aussicht zur indiskreten Einsicht:
Ein Mensch mit Anstand schaut nicht in fremde Fenster, heisst es.
Doch seien wir mal ehrlich, wer von uns wirft nicht gerne einen verstohlenen Blick in ein erhelltes und unverhülltes Fenster, wenn es in einer nächtlichen Strasse uns dazu einlädt? Es ist der Drang, „fremden Leuten ins Fenster gucken“ zu wollen, dem neugierigen, möglicherweise auch voyeuristischen Blick in die private Sphäre der Hausbewohner freien Lauf zu lassen, ohne dabei selbst entdeckt zu werden. Die simple Lust in fremde Fenster zu schauen und heimlich Menschen zu beobachten, die sich unbeobachtet fühlen. Nicht wenige Menschen haben doch eine gewisse voyeuristische Veranlagung. Der Begriff steht heute längst nicht mehr nur in Verbindung mit einer sexuellen Vorliebe. Der abgeschwächte Begriff könnte man als blosse Neugierde bezeichnen, Neugierde am Leben anderer Individuen.
War es früher der diskrete Blick in einen verschwiegenen Garten, ist es inzwischen bereits der intime Blick in die hellerleuchteten Wintergärten und Wohnzimmer.
Man sieht den unbekannten Bewohnern bei der Hausarbeit, beim Essen, beim Lesen, beim Telefonieren oder beim Dösen vor dem Fernseher zu. Kinder spielen am Boden, Frauen kochen am Herd und Männer hocken am Tisch vor dem Laptop. Szenerien, die jedem von uns bekannt vorkommen spielen sich in einem fremden, anscheinend privaten Raum öffentlich ab. Manchmal wird dazu gestikuliert und lautlos gesprochen und man ist versucht, auch noch ihre Worte anhand der sich bewegenden Lippen und Gesten zu erraten; ja das Gesehene gar in eine Szene einer vermeintlichen Handlung einzubinden.
Unser voyeuristischer Blick durch eine erleuchtete Scheibe, ist ja vom Fernsehen bereits geschult. Er verlangt nur nach kurzen Fragmenten und sensationellen Einblicken in kurzen Schnitten, um sich nach der schnellen Sättigung wieder zurückzuziehen und sich eigene Gedanken zu machen. Der abendliche Spaziergänger fragt sich angesichts der vielen, live stattfindenden häuslichen Szenen in Wohnzimmerfenstern vielleicht nur noch, in welchem Film er das schon mal gesehen habe.
Denn was wir in Fenstern sehen, wird uns doch wie im Fernsehen oder wie auf einer hellerleuchteten Bühne präsentiert, wird zum Fernsehfilm oder Theaterstück dessen Regisseur wir selber sind. Ich frage mich oft, ob sich die Akteure ihrer Rollen bewusst sind. Denn wie auf der Bühne im Scheinwerferlicht, sind die Zuschauer vor dem Fenster bei Dunkelheit ja nicht sichtbar und den Bewohnern darum vermutlich auch nicht jederzeit bewusst.
Doch selbst ein menschenleeres, vielleicht kurz verlassenes Zimmer, vermag uns zu bannen. Man ist geneigt die Einrichtung wildfremder Menschen zu werten, sich über ihren Geschmack Gedanken zu machen und das alles, zusammen mit ihrem Ordnungssinn auf ihre vermeintlichen Charaktere umzumünzen.
Was wir erleben, ist die Kehrseite des Begriffs «Fenster», als „ein Loch in der Wand zum Herausschauen“. Denn genau so einfach und unverblümt, lässt sich heute auch hineinschauen - offen und ungehindert.
Im Gegensatz zu einer Türe, die auch ein Loch in der Wand ist, uns aber durch viel Holz und wenig Glas den ungehinderten und ungefragten Eintritt verwehrt. Doch die unverhüllten Fensterfronten lassen den ungefragten Einblick einfach gewähren, während früher feiner, seidener Tüll tagsüber und schwere Vorhänge in der Nacht, die Geschehnisse im Hausinnern noch schamhaft verhüllten, fehlt den heutigen, dreifach verglasten Fenster dieser Sichtschutz völlig oder zumindest teilweise. Der „alte“ Vorhang jedoch teilte, die Welt noch in Drinnen und Draussen, er war ein Instrument zur fein dosierbaren Privatheit.
Die moderne Architektur kennt zum Teil sogar überhaupt keine Fenster mehr, sondern nur noch Glaswände.
Diese gläsernen Fassaden neuzeitlicher Mehrfamilienhäuser lassen so die beleuchteten Wohnungen wie ein überdimensioniertes Puppenhaus aussehen.
Diese Transparenz bietet zwar ein Optimum an Lichteinlass, aber zugleich sind die überdimensionierten „Fenster“ zu „Augen in die Seele eines Wohnhauses” geworden. Nur verfehlen, wie mir scheint, diese modernen, gläsernen Wohntürme sowohl den Begriff des „Wohnhauses”, da ich sie nicht als wohnlich empfinde, wie auch den Begriff des „Fensters”; denn es fehlt hier die Prämisse seiner Definition – «ein Loch in der Wand des Hauses zu sein, um aus ihm herauszusehen.«
©/® Copyright by Herr Oter
Man meint, ein Haus ohne Fenster sei kein wohnliches Haus…. oder doch?
Seht selbst: Wohnen im Haus ohne Fenster
Bild von ncartraining7 / Lizenz: CC0 / by: pixabay
;)
2 Kommentare :
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