Wenn es zweimal klingelt…
Wenn es kurz vor dem Mittag zweimal klingelt, dann ist das immer der Postbote.
Aber das kommt selten vor, denn er klingelt nur, wenn er neben der 'normalen' Post – die er sonst einfach in den Briefkasten wirft – auch noch ein 'Einschreiben' dabei hat. Denn diesen Erhalt muss man mit der Unterschrift bestätigen.
'Eingeschrieben' geliefert wurde bisher vor allem Wertvolles oder ganz Wichtiges – vielleicht bedeutende Dokumente oder ganz vertrauliche Papiere. Wichtige Verträge zum Beispiel, Anwalts- oder Gerichtsschreiben, aber auch Kündigungen oder letzte Mahnungen von Inkassofirmen. So bekamen oft die eher Liederlichen und Unredlichen einen 'Chargé' und vielleicht hat sich dann der eine oder andere, je nach Absender, doch beim Empfang manchmal ein bisschen geschämt. Denn rechtschaffene Privatleute hatten eher selten mit dieser Art von Postsendung zu rechnen.
Das hat sich inzwischen scheinbar stark verändert.
Denn in letzter Zeit, so sagt mir mein Postbote, muss er immer öfter zweimal an Schweizer Haustüren klingeln. Nicht, dass es heute den meisten Eidgenossen gegenüber von früher bedeutend mehr an Gesetzestreue und Rechtschaffenheit mangeln würde. Nein, bestimmt nicht! Darum ist es ja heutzutage auch nicht mehr ein wichtiges Briefkuvert oder ein wertvolles 'Päckli', das der 'Pöstler' zum Unterschreiben bringt. Nein, es sind meistens eingeschriebene, schwarze Versandtaschen, die direkt aus China kommen. Sie enthalten billige Mode-Artikel, die zum Beispiel über die Webseite «Wish» bestellt wurden. Die Wish-App, die mobile Shopping-Plattform aus San Francisco, ist aktuell die Nummer eins im Versandhandel in Amerika und Europa und soll alle anderen mobilen Online-Shopping-Plattformen in den Schatten stellen. Nach Amazons Slogan 'Einfach so einkaufen’ und dem ’Schrei vor Freude' von Zalando, nun das 'Eingeschriebene' von «Wish». Besonders die neue Wish-App «Geek» soll es den kaufwütigen Schweizern angetan haben und sie in einen wahren Kaufrausch versetzen. Über die Suche findet man (fast) alles, Kleider, Schmuck, Technik, Wohnungseinrichtungen, Geschenke, Kinderartikel und schnell ist bestellt und mit Kreditkarte bezahlt. Die Lieferung dauert dann etwas länger, dafür muss man schon 10 bis 30 Tage lang (manchmal auch etwas mehr) Geduld aufbringen.
So bestellt man online zum Beispiel ein paar schwarze Damen-Freizeitschuhe für 3 Fr./€. Dazu kommen dann noch 2 Fr./€ Porto. Wohlverstanden, transportiert von China in die Schweiz und das EINGESCHRIEBEN!
Ich habe den Postboten gefragt, was bei uns ein eingeschriebener Brief ins Nachbardorf kosten würde – seine Antwort: mindestens 6 Fr./€.
Über den Wert der Schuhe, deren Herstellungsbedingungen in China oder den ökologischen Unsinn des Transportes um die halbe Welt, mag ich heute hier gar nicht schreiben. Aber wie ist es möglich, dass die Schweizer Post für denselben Vorgang – nämlich die Verteilung und Abgabe einer eingeschriebenen Postsendung – mindestens dreimal weniger verlangt, wenn das Paket aus China kommt?
Auch der 'Pöstler' hat mir bestätigt, dass seine Arbeit immer den gleichen Umfang hat, egal ob die Sendung in der Schweiz oder in China aufgegeben wurde. Aber seine Arbeitsbelastung hat sich dennoch stark vergrössert, weil heute auch 'rechtschaffene Privatleute' viel öfters eingeschriebene Post aus China bekommen. Es sei ein richtiger Boom entstanden. Und: „Es braucht natürlich viel mehr Zeit, bis jeder an der Haustür ist und dann, oft nach einem kurzen Gespräch, endlich für den Erhalt unterschrieben hat. Aber man will dem Kunden gegenüber ja auch nicht unhöflich sein.”
Zum Glück sind die meisten Benutzer dieser Apps tagsüber nicht zu Hause und darum muss er 'nur' einen Abholschein ausfüllen und in den Briefkasten werfen, damit sie ihre ’wertvolle’ oder 'ganz wichtige' eingeschriebene Post aus dem fernen China am Postschalter später abholen können.
Ob sich dabei der eine oder andere wie früher, ob dem Absender auch ein bisschen schämt – das habe ich den 'Pöstler' natürlich nicht gefragt.
:(
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