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Dienstag, 5. April 2016

Der letzte Blumenstrauss




Der letzte Blumenstrauss

 
Nun ist er nicht mehr.
Das geht nicht ganz spurlos an mir vorbei, denn ich mochte ihn. 

Wir hatten uns gut verstanden - wir zwei 'Kleingewerbler’, wie er oft sagte. Obschon, klein war nur ich, er war grösser. Sein Produktionsbetrieb beschäftigte einige Mitarbeiter mehr.
Trotzdem fanden wir immer ein gemeinsames Thema: das 'Geschäften', die Strategien, die Werte, die schwierigen Umstände, das Loslassen und manchmal auch die Ehefrauen.


Seine verlor er früh an die Endlichkeit. Vielleicht schwärmte er darum so oft von ihr. 

“Sie war halt eine ganz besonders Gute”, sagte er immer wieder. „En Chrampfchaib, weisch.” Familie, Geschäft, Freunde – alles habe sie unter einen Hut gebracht. Leider habe er das nicht immer genug geschätzt. Zu viel sei er gehässig, gestresst – manchmal auch überfordert und unsicher gewesen. „Wahrscheinlich deswegen war ich auch oft hart und unerbittlich.”
Aber es brauche vermutlich gewisse Eigenschaften um grossen Erfolg zu haben, doch die würden dann nicht immer gleichzeitig zu einem toleranten, verständnisvollen Ehemann passen.
Ich habe ihn verstanden. Wie so oft waren nur wenige Worte zwischen uns nötig, um ein ganzes Lebensgefühl zu beschreiben.

Später heiratete er dann nochmals – eine jüngere, besonders attraktive Blonde. Aber von ihr schwärmte er nie.
Ein richtiges Mauerblümchen sei sie damals gewesen, haben mir andere erzählt, schüchtern, gehemmt und mit fast fünfzig immer noch ledig.

Im Heim, viele Jahre danach, als ich die beiden kennenlernte, war sie dann genau das Gegenteil. Denn dort hängte sie sich mit der Zeit den Männern an den Hals, liebäugelte mit jedem und später forderte sie sogar Fremde zum Küssen auf. Das war peinlich, doch Schuld war ihre Demenz!
Diese Krankheit veränderte die Frau mit siebzig komplett. Manchmal schämte ich mich für sie und er tat mir leid, denn das war nicht mehr die, die sie mal war.

Anfangs, so erzählte man mir, hätten sie deswegen oft gestritten, laut, hemmungslos, auch mitten im Speisesaal oder im Café. Manchmal sei er auch grob zu ihr gewesen – ich denke, er verstand sie einfach nicht mehr, besonders in gewissen Momenten. Denn beide hatten Mühe mit der Realität – was ist jetzt, was war mal. Manchmal vermischt sich alles und dann hat man vieles nicht mehr unter Kontrolle, auch sein eigenes Tun nicht einmal mehr.

Später haben ihn ihre Ausfälligkeiten scheinbar kalt gelassen, wenigstens liess er sich nichts mehr anmerken. Teilnahmslos schaute er ihr beim unermüdlichen Tanzen zu, ihre Schäkereien mit anderen ignorierte er einfach oder spülte sie mit einem Schluck Wein runter. Interessierte seine Frau ihn überhaupt noch? Denn langsam war er in sich versunken, ins Früher, ins Desinteresse und in die Teilnahmslosigkeit.

Irgendwann waren beide stiller geworden, sie kam in den Rollstuhl, ihn sah man immer weniger.

Dann, vor zehn Tagen, musste sie ins Spital. Nichts Ernstes. Er hatte es ruhig hingenommen. Nach einigen Tagen würde sie ja zurückgebracht.

Doch plötzlich blühte er dann auf und ging geschäftig umher.
Ein schöner Empfang für die Rückkehr seine Frau müsse es werden: Seine Kinder würden da sein, die wenigen Freunde von früher würden am Tisch sitzen und für alle habe er ihr Lieblingsessen bestellt.
Das Fest wurde dann genau so, eindrücklich und fröhlich. Er, gekleidet wie schon lange nicht mehr.
Irgendwann wurde vom Gärtner ein riesiger Blumenstrauss geliefert. Er nahm ihn am Eingang persönlich in Empfang und brachte ihn ihr an den Tisch. Sie küssten sich innig. „Du bist ein ganz Lieber”, flüsterte sie ihm zu und streichelte zärtlich über seine Wange. Beide strahlten sich an, als wäre es nie anderes gewesen.
Er war sichtlich stolz, der grosse „Gwerbler” hatte noch einmal alles gegeben – für seine geliebte Frau. Alles war gut!

Am Abend musste er dann notfallmässig ins Krankenhaus und kam nie mehr zurück.




:)



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