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Mittwoch, 25. Februar 2015

Zwei Wölfe






Zwei Wölfe

Schweigend sass ein alter Indianer mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Die Bäume standen wie dunkle Schatten, das Feuer knackte und die Flammen züngelten in den Himmel.

Nach einer langen Weile sagte der Alte: “Manchmal fühle ich mich, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere aber ist liebevoll, sanft und mitfühlend.”

“Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?” fragte der Junge.

“Der, den ich füttere”, antwortete der Alte.

Autor unbekannt


Bildnachweis: Autor: Hans
Lizenz: CC0 Public Domain (Gemeinfrei) / via pixabay




;)


Sonntag, 22. Februar 2015

Erkenntnis kontra Gier







"Ich glaube an die
Vernunft des Menschen
und hoffe, dass die Erkenntnis
die hemmungslose Gier
doch noch besiegt"
denkt Herr Oter



:)


Dienstag, 17. Februar 2015

Unerhörtes geschah in Bürglen





Unerhörtes geschah in Bürglen

Unerhörtes geschah im letzten Herbst in der Dorfkirche von Bürglen. Ein Pfarrer segnete in einer Zeremonie zwei homosexuelle Frauen. Monate später erwähnt er es auch noch nebenbei in einem lokalen Zeitungsinterview. Daraufhin fordert nun sein Chef aus dem entfernten Bistum die Demission und Versetzung des beliebten Pfarrers, trotz grosser Proteste der Dorfbevölkerung. Völlig Zurecht, meiner Ansicht nach, wenn die katholische Kirche seine verbliebenen treuen Schäfchen weiter aus der Kirche vertreiben will. Was glauben den die aufmüpfigen „Bergler“ eigentlich? Die sollen gefälligst den Mund halten, niederknien, beten und zahlen!


Ich kenne Bürglen, ein bisschen wenigstens. Ein sonnenbeschienenes Urner Dorf am Eingang zum Schächental, auf dem Weg zum Klausenpass. Schon mehrmals habe ich die urchige Gemeinde mit seinen knapp viertausend Einwohnern besucht. Zuerst wohl, wie die meisten Schweizer, weil in Bürglen unser Wilhelm Tell, der schweizerische Volksheld aus dem 13. Jahrhundert, als Bauer und Jäger gelebt haben soll. Ich nehme an, man kennt die Geschichte des unerschrockenen Mannes mit seiner Armbrust, dem armen Walterli und dem durchlöcherten Apfel, als Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit inzwischen weitherum. Bei meinem späteren Besuchen in diesem geschichtsträchtigen „Tellendorf“, bin ich dann jeweils weniger von Tells Heldentaten ergriffen, sondern eher von der Pfarrkirche „St. Peter und Paul“. Für mich ist dieses Gotteshaus eines der Schönsten hierzulande. Hell, warm, offen und einladend – selten habe ich in der Schweiz eine freundlichere, katholische Kirche gesehen. Nichts Dunkles, nichts Bedrohendes und nichts das Schuldgefühle auslösen soll. Ich verweile jeweils gerne etwas dort, denn ich fühle mich in diesem katholischen Gotteshaus auch als einfacher Mensch, Protestant und „Sünder“ irgendwie respektvoll geachtet.

Die Kirche weisst noch eine interessante Besonderheit auf: Auf dem Kirchturm sitzt ein Gockel. Eher unüblich für katholische Kirchen. «Dieser Gockel soll uns mahnen, uns nicht nach dem Wind zu drehen. Wir im Dorf des Wilhelm Tell stellen uns den Herausforderungen der Zeit und orientieren uns dabei an der Botschaft Jesus Christus.», schreibt Pfarrer Wendelin Bucheli dazu auf der Kirchenwebseite.
Mahnt uns das nicht etwas an den freiheitlichen Geist unseres Nationalhelden, der den Hut der Obrigkeit nicht grüssen wollte?
Doch gerade dieser unerschrockene, vorwärtsgerichtete Pfarrer soll nun einfach das Feld räumen. Nur weil er und sein Tun der Obrigkeit im Bistum Chur nicht passt?

Ein katholischer Pfarrer darf Rindviecher, Hunde, Katzen, Feuerwehrautos, Motorräder, Häuser, Brücken und sogar Waffen segnen. Doch die Segnung eines homosexuellen Liebespaares ist ihm in Bürglen untersagt. Das finde ich unerhört.
Vorher hat das monatelang auch niemanden gestört und der Geistliche hatte vor der Segnung der beiden Frauen sowohl den Kirchenrat, den Pfarreirat wie auch die Pfarrei-Mitarbeitenden informiert. Alle sprachen sich im Grundsatz dafür aus.
Erst als Pfarrer Wendelin Bucheli im «Urner Wochenblatt» einige Monate später nebenbei ausgeführt, dass sich die Segnung von der Form her, nicht wesentlich von einer Trauung unterschieden hatte, soll der erzkonservativen Churer Bischof Vitus Huonder aufgeschreckt sein. Postwendend kam aus dem Bistum der Befehl, dass Pfarrer Bucheli seinen Posten zu räumen habe. Bischof Charles Morerod unterstützt ihn dabei und will den aus Freiburg stammenden Bucheli deshalb spätestens im Sommer zurück in sein Stammbistum zurückbeordern.
«Der Bischof muss seine Verantwortung wahrnehmen, er kann so ein Ärgernis nicht einfach hinnehmen, auch wegen all jener Seelsorgenden und Gläubigen, die zum katholischen Glauben stehen.» wird Vitus Huonders Sprecher Giuseppe Gracia in einem Artikel zitiert.

Nur, gerade wegen solchen unverständlichen Entscheidungen werden es davon immer weniger. Die Seelsorger werden immer weniger und die Gläubigen laufen den Landeskirchen in Scharen davon. Viele verstehen nicht, warum sich eine Kirche um die Geschehnisse vor über zweitausend Jahren kümmert, sich aber den heutigen Fragen ständig entzieht. Dazu gehören die Missbrauchsfälle früherer Jahre oder schwer verständliche Kirchengesetze. Sie verbieten armen Kirchenmänner den innigen Umgang mit Frauen und sie müssen es heimlich tun. Auch begreift man nicht warum sie nicht einfach heiraten dürfen oder warum Frauen für die Tätigkeiten der geweihten Kirchenmänner weniger geeignet sein sollen. So stellt sich für sehr viele Kirchenmitglieder immer öfter die Frage: Ja, misst denn der Herrgott mit zwei verschiedenen Ellen?

Ebenso, in der Frage der Partnerschaft. Ist eine gleichgeschlechtliche Verbindung vor Gottesaugen wirklich weniger wert oder ist die Liebe zu einem Menschen vor dem Schöpfer vom Geschlecht abhängig?
«Die Ehe ist eine dauerhafte, sich verpflichtende Partnerschaft zwischen Mann und Frau», soll in der Bibel stehen, argumentieren die Kirchenoberen ihren Entscheid. Aber haben diese alten Kirchenbilder nicht längst ausgedient? Was denken wir Christen denn über fundamentalistische Islamisten, die den Koran wortwörtlich auslegen und die eine Scharia mit ihren drakonischen Strafen auf dessen Grundlage heute noch anwenden wollen: Ganzkörperverschleierungen, Handamputationen bei Diebstahl, Steinigung von Ehebrecherinnen oder Frauen nach einer Vergewaltigung usw.? Was Erzkonservative und „Hardliner“ auslösen können, sehen wir tagtäglich von anderen Religionen in den Nachrichten. Das kann doch nicht der Weg der einer zeitgemässen Kirche sein.

Ich meine, es wäre zumindest für unsere Kirche höchste Zeit eine neuzeitliche Haltung anzunehmen. Eine nützliche Kirche sollte sich mit den Fragen der heutigen Zeit auseinander setzten, statt stur auf mehr als zweitausend Jahre alten Werten und Vorstellungen sitzen zu bleiben.
Ein Papst Franziskus lebt ein relativ fortschrittlicheres Christentum vor – und ein aufgeschlossener Pfarrer wie Wendelin Bucheli, wendet es seit zehn Jahren und trotz gesundheitlicher Probleme nach einem Hirnschlag im letzten Oktober, tagtäglich in seiner ansehnlichen Gemeinde (über 90% der Bewohner sind katholisch) zur vollen Zufriedenheit (fast) aller an.
«Er geht unvoreingenommen auf alle Leute zu, ob jung oder alt. Deswegen mögen die Leute Pfarrer Bucheli auch. Er lebt die Nächstenliebe, das spürt man», wird Gemeindepräsident Frösch zitiert.

Zudem sind Segnung gleichgeschlechtlicher Paare vielerorts in der Schweizer Kirche üblich, selbst im Bistum Chur. So sollen in der zum Bistum gehörenden Stadtzürcher Pfarrei St. Josef innerhalb von sechs Jahren rund 70 homosexuelle Paare gesegnet worden sein. Diese Ungleichheit fördert nicht gerade das Vertrauen der Gläubigen und  die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche.
Der Churer Bischof wolle nun offenbar ein Exempel statuieren, sagt Buchelis engster Mitarbeiter René Deiss.
Aber so einfach ist das vermutlich nicht. Nach der letzten Sonntagsmesse räumte der Bürgler Pfarrer zwar den Fehler ein, dass er die Segnung „nicht diskret genug“  vorgenommen habe, lehnte aber gleichzeitig eine Versetzung wiederholt ab. Darauf gab es in der Kirche eine Standing Ovation.
Der Kirchenrat Bürglen – nur er kann Bucheli entlassen – steht gemäss Vize-Kirchenrat Peter Vorwerk: «[…] vorbehaltlos hinter ihm.»

Auch in der Bevölkerung ist der Auflehnung mächtig. In einer Petition gegen die erzkonservative Linie von Bischof Vitus Huonder vom Bistum Chur sollen allein in Bürglen und Umgebung bereits über 4000 Unterschriften zusammengekommen sein. «Er geniesst in der Gemeinde einen enormen Rückhalt», sagt das Kirchenratsmitglied.
Auch auf einer Online-Bürgerpetition haben aktuell bereits 32’478 Personen unterschrieben.

Aber all das wird den rückwärtsgewandten Bischof nicht von seiner Idee abbringen, auch die letzten, treuen Schäflein mitsamt seinem guten Hirten aus seiner einladenden Kirche im wehrhaften Tellendorf zu vertreiben.
Das finde ich unerhört!



Bürglen 
By Badener (Eigenes Werk) [CC BY 3.0 ], via Wikimedia Commons




;)





Freitag, 13. Februar 2015

Frau Hueber





Frau Hueber



Frau Hueber zieht den weissen Unterrock über die behaarten Beine nach oben. Beim Gesäss wird es eng. Sie hatte es vorher schon von oben versucht, über den Kopf, aber da blieb sie bereits bei den Schultern stecken. Also, da muss sie nun einfach durch, für Anpassungen bleibt keine Zeit mehr. Zum Glück kann sie dank des schönen Wetters wenigstens auf die  halblange Unterhose verzichten, sonst wäre es noch enger geworden. So zerrt Frau Hueber nun kräftig am groben Leinen – geht doch, oben sitzt der Gummizug auf der Hüfte und der kunstvolle Spitzensaum reicht bis über die Knöchel. Passt!
Ermutigt greift Frau Hueber nun zur bestickten Rüschenbluse, die ebenfalls aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stammt. Die war ja schon immer etwas eng an den Schultern und den Oberarmen. Aber sie passt bestimmt noch, denn dort hat sie nicht zugelegt. Der feste Stoff ist blütenweiss und glatt gebügelt, so wie es sich für ein ordentliches ‚Wöschwyb‘ gehört. Zwar hat sie nur einmal im Jahr einen Auftritt an der Fasnacht, aber immerhin, da will man doch eine gute Figur abgeben.

Jedoch, Frau Hueber hat in diesem Jahr Mühe in Fasnachtsstimmung zu kommen. Etwas ist in den letzten Tagen ist leicht aus dem Takt geraten, aber vielleicht liegt es auch nur am trüben Wetter der letzten Zeit. Doch nun kann sie sich keine Blösse geben. Spätestens, wenn sie das Altersheim betritt, muss sie in fasnächtlicher Hochstimmung sein. Dafür ist sie gekommen und das erwarten auch die betagten Bewohner von ihr; davon sprechen sie seit Tagen.

Während sie die lange Knopfreihe zuknöpft, überlegt sich Frau Hueber ob sie den BH noch etwas ausstopfen sollte, um den Bauchansatz zu kaschieren. Dabei muss die alte Tante nun doch etwas lächeln, denn sie ist froh, dass sie sich solche Sorgen nur einmal im Jahr machen muss. Jetzt steigt sie in den schwarzen Rock. Kein Problem, der sitzt perfekt. Er ist etwas weiter geschnitten und ein Stück kürzer, damit der schön bestickte Saum des engen Unterrockes sichtbar bleibt.

Nun legt sich Frau Hueber den gehäkelten, schwarze Umhang über die Schultern. Frau Ambauen hat auch manchmal ein ähnliches Tuch übergezogen, wenn ihr ein wenig kalt war. „Selber gestrickt“, erwähnte sie dann oft und hat sich gefreut, wenn man den Umhang lobte. Nun ist sie tot. Gestern Nachmittag verstorben. Frau Hueber überzieht bei dem Gedanken eine leichte Gänsehaut. Viele Nachmittage hatten sie zusammen mit den anderen am grossen Tisch in der Cafeteria des Altersheimes verbracht. Kaffee trinken, Dessert essen, reden, schweigen, lachen, ja es ist oft eine lustige Runde. Doch Frau Ambauen war nicht leicht zum Lachen zu bringen. Sie war eine ernste Frau. Sie hat viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen - ein Sohn behindert; der Mann – na ja, Gott hab in selig – und ihre Tochter ist dann vor zwei Jahren auch noch viel zu früh gestorben. „Dass das Kind vor einem stirbt, wenn man doch selber alt und angeschlagen ist, das ist ungerecht“, hat sie einmal traurig zu mir gesagt. Die Tochter hatte sie regelmässig besucht, darum hatte ihr Tod Frau Ambauen vielleicht auch besonders schwer mitgenommen; darüber ist sie nie ganz weg gekommen. Zur Beerdigung wurde sie von der eigenen Familie, die im gleichen Ort wohnt, nicht einmal persönlich abgeholt – ein Begleitungs-Auftrag wurde ans Heim erteilt. Die selten Besuche der danach noch verbleibenden Familienmitglieder, die immerhin einen stattlichen Hof erben konnten, taten dann das übrige. Sie wollte nicht mehr. Im Dezember sagte sie mir, dass sie gerne sterben möchte, weil das alles sowieso ‘keinen Sinn mehr machen würde‘.
Nun liegt sie oben in ihrem Zimmer aufgebahrt, so wie es üblich ist. Und morgen Abend wird das Sterbegebet für Frau Ambauen in der Heimkapelle abgehalten. Ich werde dabei sein, ganz normal gekleidet.

Nun gilt es aber zuerst, trotzdem gute Stimmung an der Heim-Fasnacht in der Cafeteria zu verbreiten. Ist das pietätlos? Nein, das ist das Leben! Der Tod gehört dazu, genau wie eine Geburt. Damit hat Frau Hueber keine Mühe und als ‚Figur‘ sowieso nicht. Denn früher wurden die ‚Wöschwyber’ oft gerufen, um die Toten zu waschen und anzukleiden. Das gehörte vielerorts zu ihren Aufgaben.

Frau Hueber atmet tief durch, zieht sich das schwarzweisse Kopftuch über ihre grauen Haare und knotet es vorne zusammen. Danach zieht sie die von Mutters Hand grobgestrickten Socken an und steckt die Füsse in die klobigen Schuhe. Probelauf – an die stöckelnden Schritte im engen Unterrock, muss sie sich erst wieder gewöhnen. Kein Wunder, dass Frauen manchmal zu spät zu einem Treffen kommen, bei diesen kleinen Schritten, denkt Frau Hueber verschmitzt. Entschlossen greift sie nun zur geflochtenen Handtasche. Sie stammt noch von ihrer Grossmutter. Sicher wird das elegante Täschchen von den Bewohnerinnen auch heute wieder besonders bewundert und gelobt.
Vorsichtig betätigt Frau Hueber den Schliessmechanismus und zieht den Zipfel eines karierten Taschentuches ein wenig hinaus. So fertig.
Ein Blick in den Spiegel – alles sitzt und passt auch einigermassen. Jetzt bitte lächeln Frau Hueber – Mundwinkel nach oben!
In Kürze wird ein altes, gebeugtes Waschweib am schwarzen Gehstock ins Altersheim humpeln. Am linken Arm ein schwarzes Täschchen. Eine vollendete Komposition aus schwarz und weiss. Passt doch! Lächeln Frau Hueber, lächeln! Fasnachtsstimmung wie immer – schauspielern ist sich Frau Hueber ja gewohnt.

©/® Copyright by Herr Oter 






;)

Mittwoch, 11. Februar 2015

Elfchen





Zahnarzt
Zieht weiter

Zahn um Zahn
Auch gute Zähne wackeln
Alter
!






Anmerkung:
Diese Gedichtform wird Elfchen genannt.
Das Elfchen besteht nur aus einer Strophe, die aus fünf Zeilen gebildet wird. Insgesamt haben diese fünf Zeilen elf Wörter, wobei bis zur vierten Zeile jede ein Wort mehr aufweist. Das Fazit, also die letzte Zeile, bricht damit, den da wird nur noch ein Wort benutzt.




 :(






Samstag, 7. Februar 2015

Der Hund und der Esel






Der Hund und der Esel


Ein Bauer, ein Hund und ein Esel lebten schon seit einiger Zeit zusammen. Jeder hatte seine Aufgabe. Der Hund bewachte das Haus, der Esel trug die schweren Lasten und der Bauer war für das Wohl aller zuständig.

Es war an einem heissen Tag. Alle drei hielten nach der strengen Arbeit vom Vormittag ihren wohl verdienten Mittagsschlaf. Der Hund döste unter der schattigen Veranda, der Esel ruhte beim mächtigen Baum neben dem Haus und der Bauer machte ein Nickerchen auf dem Sofa im Wohnzimmer.

Plötzlich hörte man einige Geräusche hinter dem Haus. Der Hund hob faul den Kopf, legte ihn aber bald wieder zwischen seine Pfoten und döste weiter.

Der Esel fragte ihn: „Warum bellst du nicht, wie es deine Aufgabe ist. Es könnten Diebe sein.“ Der Hund antwortete träge: „Es wird nur die Katze sein, kümmere du dich um deine eigenen Angelegenheiten.“

Doch der Esel war sehr pflichtbewusst und machte sich Sorgen, dass sein Herr in Gefahr sein könnte. Darum wollte er seinen Herrn vor den Dieben warnen und begann mit seiner heiseren Stimme laut zu schreien.

Der Meister, der gerade eingeschlafen war, schreckte hoch, nahm einen Stock und rannte wütend aus dem Haus. Es waren aber keine Diebe zu sehen, nur eine grosse Katze flüchtete verängstigt ins Gebüsch.
 
„Na - hab ich es nicht gesagt? Die Katze!“ Der Hund streckte genüsslich seine Glieder und gähnte.

Nun wurde der Bauer erst recht zornig und schlug den armen Esel mit dem Stock. „Die Bestimmung eines dummen Esels ist das Tragen und Schleppen! Der Schutz und die Bewachung sind allein die edlen Aufgaben des Hundes!“


Fluchend kehrte der Bauer in sein Haus zurück und bemerkte, dass inzwischen dreiste Diebe alle seine Wertsachen gestohlen hatten.
 



Die Moral dieser Geschichte:
Manchmal ist die Funktion entscheidender,
als guter Wille und beherzten Einsatz


 Autor: AnnaER / Lizenz: CC0 Public Domain (Gemeinfrei) / via pixabay




:)

Mittwoch, 4. Februar 2015

Röslis letzter Auftritt





Röslis letzter Auftritt



«Silberfäden zart durchziehen,
meiner Mutter weiches Haar.
Silberfäden heute zieren,
ihr das Haupt so wunderbar...»


Mit zittriger Stimme singt Rösli das populäre Volkslied, das Vico Torriani 1949 bei uns bekannt gemacht hat. Damals war sie gerade mal zarte 18 Jahre alt – und heute, 66 Jahre später, steht die 84-Jährige endlich dort, wo sie schon immer hinwollte, ins gleissende Scheinwerferlicht einer Theaterbühne.
Auch bei dieser letzten Zusatzvorstellung in einer Schweizer Kleinstadt bebt ihr schwacher Körper vor Nervosität und noch immer steht sie etwas steif auf den Brettern, die die Welt bedeuten; den starren Blick versunken leicht nach oben gerichtet. Spontaner Applaus nach dem letzten Ton wird ihr gewiss sein, auch wenn die brüchige Stimme manchmal etwas versagt – doch der Mann am Klavier singt mit und trägt mit sie seiner tiefen Stimme.

Das Schauspiel hat Rösli schon immer fasziniert. In jungen Jahren war sie deshalb auch Mitglied in einem Theaterverein. Aber auf die Bühne hat sie sich dann doch nicht zugetraut. So blieb sie die unscheinbare Souffleuse, im dunklen Flüsterkasten unterhalb der Rampe im Bühnenboden.
Dort hat sie auch ihren Hans kennengelernt. Von unten hat sie den kräftigen Schmied heimlich angehimmelt, als er in einem Schwank auf der Bühne stand. Ernst wurde es dann bei der nächsten Produktion, als Hans die Rolle des zweiten Souffleur übernahm. „Die Rolle seines Lebens“, wie er später gerne lachend bemerkte.

Hans ist inzwischen schon einige Jahre von der Lebensbühne abgetreten und Rösli noch einigermassen rüstig im Altersheim. Dort wurde sie dann auch angefragt, ob sie in einem Theaterstück mitspielen würde. In kleinen Szenen wolle man oft verdrängte Themen rund um den letzten Lebensabschnitt im Heim thematisieren. Man beabsichtige dabei, die vielfältigen Herausforderungen aller Beteiligten: der Bewohner, der Angehörigen, der Pflegenden und Betreuenden, aber auch der Allgemeinheit sichtbar zu machen. Themen wie Heimeintritt, Einsamkeit, Langeweile, Hilflosigkeit, Demenz, Krankheit aber auch Liebe im Alter sollen angesprochen werden und den Zuschauern Impulse und Denkanstösse vermittelt werden.

So etwa die lebhafte Bewohnerin, die jetzt plötzlich zur Untätigkeit verurteilt wird, obschon es ihr langweilig ist. Die Sichtweise ihres älteren Bruders, der schon immer alles verdrängt hat und sich keine Gedanken über einen Heimeintritt machen will. Die Verwandten, die nicht begreifen können, dass man rüstig und freiwillig in ein Heim geht, zu diesen Alten, die dementsprechend reden, riechen und sowieso nur immer ‚rumhocken‘. Oder die Konflikte der Familie, die das Grosi zwar bewundert, aber trotzdem eher unwillig, höchstens einmal im Monat besucht, damit man nicht schlecht von ihnen denkt – im Heim, beim Personal. Man führt auch vor, wie verletzend das Getuschel über die Mitbewohnerin sein kann, die sich schon bald wieder in einen neuen Bewohner verliebt, weil die Einsamkeit und die Liebe nicht vor einer Heimtüre Halt machen.

Dagegen die Nöte einer Pflegekraft, deren Bewohner die Hände beim Waschen im Intimbereich einfach nicht unter Kontrolle halten kann und ihr ständig ‚Schätzeli‘ sagt. Dazu die Sicht der Teamleitung, die trotzdem Pflichterfüllung und Professionalität von ihr fordert, um den Betrieb rentabel und aufrecht zu erhalten. Oder die Belastung der jungen Auszubildenden, die die vielen Todesfälle noch schlecht einordnen kann, sich aber wegen der Schweigepflicht mit ihren sich wundernden Freundinnen nicht richtig auszusprechen wagt. Aber auch die Heimleitung und die Gemeindebehörden kommen zu Wort, die durch stetig anwachsende Pflegekosten, zeitraubende Vorschriften und neue Pflegekonzepte in eine immer schwierigere Situation geraten

So haben alle Betroffenen ihre Auftritte in dem Stück, das die beteiligten Laienschauspieler in monatelangem Austausch und intensiven Gesprächen zusammen mit einem Regisseur entwickelt haben. Sie kennen sich in den verschiedenen Problematiken gut aus, weil sie alle in irgendeiner Weise davon betroffen sind, sei es bei der Arbeit, in einer Funktion oder in der eigenen Familie. Und doch, jeder spielt in den Mehrfachrollen nie sich selbst, jeder schlüpft allabendlich in die Befindlichkeiten von anderen, damit das Stück nie zu persönlich wird.

Ausser Rösli! Sie spielt nur sich selbst. Sie ist die Darstellerin ihres eigenen Lebens – denn Rösli’s „Figur“ wurde aus ihren persönlichen Lebensgeschichten zusammengestellt. So brauchte sie kaum Text auswendig zu lernen, denn sie darf einfach erzählen. Vom Geldmangel in ihrer Jugend das verhindert hat, dass sie ein Musikinstrument lernen konnte. Das ist zwar lange her, aber vergessen hat sie es trotzdem nie. Rösli erzählt bewegt und hat dabei die Freiheit, sich nicht wörtlich an einen Text halten zu müssen. Das macht die Einsätze der beiden Jungschauspieler nicht einfacher. Aber das bezaubernde Enkel-Pärchen auf der Bühne staunt auch noch bei der letzten Aufführung, man fragt sich, ob es wirklich jeden Abend bloss gespielt war.
Manchmal liesst Rösli auch Texte aus einem Tagebuch, das dem ihren durchaus entsprechen könnte. Gedanken über die Befindlichkeiten einer agilen Rentnerin, die frühzeitig den Schritt ins Heim gewagt hat, nachdem ihr Mann gestorben ist, weil ein Umzug sowieso von Nöten war. Die Sicht der Bewohnerin, die im Altersheim zur Untätigkeit verdammt ist und dabei ihren Mann und seine Zärtlichkeiten vermisst. Dass sie sich, wie im Stück, mit bald neunzig in einen Mitbewohner verliebt, das könnte schon noch sein, meint Rösli keck mit einem Augenzwinkern. Und wenn dann auch über sie getuschelt und getratscht würde, würde sie auch das in Kauf nehmen und einfach nicht hinhören.
Genau so wie heute, wenn im Heim von den neidischen Mitbewohnerinnen hinter vorgehaltener Hand boshaften Bemerkungen über sie fallen. Denn manche mögen ihr die Abwechslung im Heimalltag und den Erfolg auf der Bühne nicht gönnen, vergessen dabei aber, dass man dafür etwas mehr tun muss, als im Sofa auf den Tod zu warten.

Doch das alles kümmert Rösli wenig, sie geniesst die Auftritte im Scheinwerferlicht und alles, was damit verbunden ist. Sie hat die sich bietende Chance gepackt und sich einen lebenslangen Traum endlich erfüllt – zu einem Zeitpunkt, als sie ihn eigentlich bereits abgeschrieben hatte.


«Jahr um Jahr so schnell entfliehen, 
voller Leid und voller Glück.
  Doch ihr Herz ist jung geblieben, 
immer zart und lieb ihr Blick.»


Und wie bei jeder Aufführung gibt es am Schluss der zittrigen Silberfäden mächtigen Szenenapplaus für Rösli, auch an diesem Abend, ihrer letzten Vorstellung auf der Bühne.
Ab morgen wird ihr etwas fehlen!


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Silberfäden:
“Silver Threads Among the Gold” wurde vom damals berühmtesten Komponisten Amerikas [er schrieb mehr als 1.000 Songs], Hart Pease (HP) Danks, bereits 1872 geschrieben. Der Text basiert auf einem Gedicht von Eben Eugen Rexford, dem er 3 $ für die Rechte geboten haben soll. Das Lied verkaufte sich unmittelbar nach seiner Veröffentlichung bereits 300.000 mal alleine in Amerika und der weltweite Verkauf überstieg drei Millionen noch vor der Jahrhundertwende. 
Trotzdem verstarb HP Danks, nachdem er die Rechte später verkauft hatte, 1903, im Alter von 69 Jahren, völlig mittellos in einer Pension in Philadelphia. Seine letzten geschriebenen Worte sollen gelautet haben: «Es ist schwer, allein zu sterben»

Vico Torriani:
Der singende St. Moritzer Koch  Vico Torriani (1920-1988) hatte mit den Silberfäden 1949 in der Schweiz seinen ersten grossen Hit. Begleitet wurde er dabei von Cédric Dumont und dem Unterhaltungsorchester von Radio Beromünster. Ab 1951 wurde das Lied dann durch Vico Torrianis Auftritte und Fernseh-Shows im ganzen deutschsprachigen Raum bekannt.


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