Mehr liegt heute nicht drin, meint Maria
Maria, die junge Frau von nebenan, schlendert im kleinen Städtchen zwischen den Ständen des Marktes herum, kaufte hier ein bisschen buntes Gemüse vom Seeland, dort ein paar rotbackige Äpfel aus der Ostschweiz und da etwas Salat aus der Region. Mehr liegt nicht drin, aber für ihren Singlehaushalt braucht sie ohnehin nicht viel.
Danach geht sie zu weiteren Ständen, die Kleidung, Schuhe, Krimskrams und so Allerlei anbieten. Hier könnte man schicke Sachen kaufen, die manchmal auch nicht so teuer sind wie in den Geschäften ringsum. Aber gerade das, was ihr am besten gefällt, ist dann halt doch nicht erschwinglich für sie, denn im Moment liegt nicht viel drin.
"Sehen Sie mal, junge Frau", die nette Marktfrau hält ihr gerade den Pullover einladend vor die Nase, den sie so gern kaufen würde. Verlangend schielt sie noch einmal auf das wunderschöne Teil, dann schüttelt sie den Kopf, den ungnädigen Blick der Dame ignorierend. Maria ist Klavierlehrerin und gerade diese Woche haben wieder zwei ihrer Schüler abgesagt. Da heisst es, noch mehr verzichten und halt weiterhin auf bessere Zeiten warten. Aber darauf wartet sie ja schon lange. „Und nicht nur darauf“, denkt sich Maria bitter und ihre Einsamkeit, die sie sonst vor allem am Abend oder beim einsamen Essen spürt, steigt langsam wieder hoch. „Auch hier wäre es doch schön, jemanden an seiner Seite zu haben“, schwärmt Maria weiter. „Zu zweit wäre auch der Verzicht vielleicht einfacher zu ertragen“ sinniert Maria und schliesst den Gedanken mit einem tiefen Seufzer ab.
Aber wenigstens kann sie sich ja auf ein feines Nachtessen freuen. Das frische Gemüse und die herrlichen Salate sind doch ein Lichtblick und der Fernseher als Gesprächspartner bringt am Abend wenigstens etwas Unterhaltung. Vielleicht findet sie ja am Bücherstand mit den so genannten „alte Schätzen“, auch noch einen schönen Roman aus zweiter oder dritter Hand, dazu ein Glas Wein und ein kuscheliger Abend in der wärmenden Wolldecke ist ihr sicher. Inzwischen ist Maria beim Bücherstand angekommen und überfliegt mit schnellem Blick hunderte von Buchrücken. Als „Viel-Leserin“ nimmt sie diese preiswerten Ausgaben hier immer wieder gerne mit. Am liebsten hätte sie auch wieder einmal etwas Klassisches oder Philosophisches gelesen. Doch die wirklich guten Bücher wurden ja fast nie aus der Hand geben und in der Bibliothek ist Klassik und Philosophie nur spärlich vorhanden. Aber wahrscheinlich wird dort, auch kaum nach ihnen gefragt Darum werden sie natürlich selten zugekauft. Und Bücher aus der Buchhandlung sind für Maria unerschwinglich. Da bleibt ihr höchstens der Blick durchs Schaufenster, in eine Welt, die ihr paradiesisch erscheint, aber auf ein Paradies auf Erden, kann sie kaum hoffen.
Doch wie sie auch stöbert, mal ein Buch herausnimmt und etwas darin etwas blätterte oder einen Klappentext liesst - dieses Mal gibt es nichts, das sie hätte begeistern können. Vielleicht liegt es auch an ihrer Gemütverfassung von heute. Aber was soll sie mit Titeln wie: „Wie erhält man sich eine lebendige Partnerschaft?“ oder „Küssen macht gesund“ oder „Was schenke ich Pappi?“ und Ähnliches. Dazu gibt es ganz Regale mit Liebesromanen, Kochbüchern und Reiseführer. Alles nicht für sie.
"Also Tschüss, Fontane, Keller, Eichendorff, Rilke oder Mörike und nichts mit Sokrates oder Sartre ", sagt sie leise und geht mit hängendem Kopf. Nun gut, bereits Georg Hegel sagte ja: "Das Geistige allein ist das Wirkliche". Also wird sie sich nun irgendwo in die Sonne setzen, einen Apfel essen und von einem jungen, schönen Prinzen träumen. Beim Weitergehen lächelt sie an einem Stand, ganz am Rande des Marktes, ein winzig kleines Engelchen aus Gips tröstlich an. Es hat den Lockenkopf auf beide Hände gestützt, als ob es nachdenken würde.
Maria kann nicht anders, klaubt die beiden Münzen aus dem Geldbeutel und lässt sich das Engelchen in Seidenpapier einwickeln. Sie steckt es in die Manteltasche.
„Vielleicht bringt es ja Glück“, hofft Maria.
Sie nimmt am Rande des Marktes auf einer Bank im Grünen Platz, von wo sie den vielfältigen Geräuschen lauscht und den Trubel vor sich – mit etwas feuchteten Augen- betrachtet. „Es ist heute wirklich nicht mein Tag“, denkt sie.
Ein junger Mann in ihrem Alter - oder er konnte aber auch drei-vier Jahre älter sein als sie– nimmt neben ihr Platz. Anscheinend hat er das richtige Buch gefunden, denn er blättert neugierig darin herum und versenkt sich kurz darauf in den Text.
Maria seufzt. Heute ist kein Glückstag für sie.
Der junge Mann schaut auf.
"Sorgen?" fragt er. Sie zuckt die Achseln.
"Na ja, ich wollte auch ein Buch kaufen, ich habe aber nichts Richtiges gefunden. Mir sind im Augenblick selbst die preiswertesten Bücher zu teuer. Als Klavierlehrerin muss man auf manches Schöne verzichten."
Sie seufzt noch einmal ausgiebig.
Der junge Mann lächelt ihr zu. "Ich bin auch Musiker. Ich spiele die Orgel in unserer Kirche, ich bin hier im Städtchen der Organist.
„Ach so“, sagt darauf Maria interessiert. „Ich habe sie noch gar nie in der Kirche gesehen.“
„Schon klar“, entgegnet der flotte junge Mann und lächelt dabei. „Der Organist arbeitet im Hintergrund. Man nimmt mich kaum war - ausser ich spielt mal falsch. Außerdem schreibe ich in meiner Freizeit gerne Kurzgeschichten, ebenfalls eine einsame Tätigkeit."
"Doch so, wie sie strahlen, scheinen sie trotzdem ein richtiger Glückspilz zu sein. Darum haben Sie heute wohl auch das Richtige zum Lesen gefunden."
Er nickt. "Ich bin sehr genügsam. Ich brauche wenig um glücklich zu sein. Kleine Dinge erfreuen mich mehr, als wenn ich mich für Grosse verschulden oder zuviel arbeiten müsste. Glück hat nichts mit Geld zu tun. Das wissen nur die Wenigsten.
„Sie sind ja ein richtiger Philosoph, wie es scheint“, lächelt Maria ihm zu und ihr dünkt, als sei das Sonnenlicht gerade etwas wärmer geworden.
„Nein, nein“, wehrt sich der charmante Gesprächspartner. „Aber nehmen Sie die Natur. Sie ist für alle da und kostet nichts. Schauen Sie mal, da hinten dieser herrliche Kastanienbaum! Bald wird er wieder in Blüte stehen. Ich kann mich nicht satt genug an ihm sehen. Für mich ist er ein Geschenk der Natur."
"Wenn man es so sieht …", sagte Maria nach einer Weile des Nachdenkens.
„Wenn man wenig hat, muss man es so sehen und die, die mehr haben, täten gut daran, es auch so zu sehen. Das wäre die Lösung für die meisten Probleme auf dieser Welt. Aber ich will sie damit nicht langweilen.“
„Aber sie langweilen mich überhaupt nicht, ich höre ihnen sehr gerne zu“. Maria wird etwas verlegen und wenn sie jetzt nicht aufpasst, errötet sie wieder.
„Entschuldigen Sie, aber sie sollten sich nicht abwenden, denn es steht ihrem hübschen Gesicht sehr gut, wenn sie erröten.“ sagt der nette Mann auch prompt.
„Übrigens“, und dabei hält er ihr sein aufgeschlagenes Büchlein hin. "Lesen Sie, was Sokrates schon damals gesagt hat: „Wie viele Dinge gibt es doch, die man gar nicht braucht!“ Diesen Satz, den ich vorhin gerade gelesen habe, passt ja gerade jetzt, recht gut zu unserem Gespräch."
Sie lächelt ihn an und schwieg, aber ihre Gedanken schlagen Purzelbäume und in ihrem Magen beginnen Schmetterlinge zu tanzen.
"Ich leihe Ihnen das Buch sehr gerne aus, wenn Sie so etwas interessiert", meint er und hält ihr seine Visitenkarte hin, "ich lese es dann nach Ihnen. Geben Sie mir Ihre Adresse auch?"
Das Glücksgefühl in ihrem Herzen treibt ihr eine weitere Röte in die Wangen. Als gehörten sie zusammen, schlendern sie kurz danach noch einmal durch das Gewühl des Marktes. „Ich brauche noch etwas Gemüse und Salat fürs Abendessen“, meint er, „Sie scheinen ja bereits eingekauft zu haben“.
„Ja, das stimmt“, sagt Maria, „und wenn sie möchten lade ich sie gerne zum Abendessen bei mir ein, als Gegenleistung für das Buch, sozusagen. Aber leider gibt es nur Gemüse, Salat und frisches knuspriges Brot, mehr liegt heute nicht drin.“
„Ach, das ist sehr lieb von Ihnen, ich komme gerne. Darauf freue ich mich jetzt wirklich sehr, denn so alleine zu Essen, macht nicht sehr viel Spass.“
„Ja, das stimmt“, sagt Maria und denkt: „Man braucht tatsächlich nicht viele materielle Dinge zum Glücklichsein, etwas Anderes ist viel wichtiger.“
Dabei nimmt sie das kleine Engelchen in ihrer Manteltasche ganz fest in die Hand.
Sie sieht zu ihrem Begleiter auf. "Ich las eben Ihren Namen, Heinz Wissermann. Aber ich nenne Sie anders." Er lachte zu ihr herunter. "Und wie?"
"Heinz Weisemann - weil sie so weise sind, wie Sokrates."
1 Kommentar :
eine wunderschöne Geschichte....geht ans Herz!!
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