Natürlich
waren sie ständig wieder da – die Erinnerungen und Bilder von
damals.
London
1976
Gerade
mal zwanzig Jahre alt, wohnte ich zusammen mit La Perla, während gut
sechs Monaten in dieser 8 Millionen Metropole. Eine recht
abenteuerliche Zeit für zwei, die in kleinen Bergdörfern
aufgewachsen waren.
Wunderliches
und „Aufregendes“ fanden wir dort vor. Schuhe mit 15 cm hohen
Absätzen und Hot Pants, deren ausgefranste Ränder die Gesäßbacken
auch nicht richtig zu bedecken vermochten. Die aufkommenden Punks mit
ihren Sicherheits-Nadeln in den Wangen und dann wir sahen die ersten
„skandalösen“ Auftritte der „Sex Pistols“, einer Punkband,
die mit ihren „obszönen“ Auftritten sogar die Engländer
schockierten.
Deswegen
sah ich, mit meinem schulterlangen Haar und dem dort „veralteten“
Hippie-Style, neben den aktuellen Punks mit ihrem rot-grünen Kamm
zwischen zwei glatt rasierten Kopfhälften und den „genagelten“
Lederjacken, bereits damals schon – „sehr alt“ aus.
Doch 37
Jahre später, bei meinem letzten Londonbesuch vor ein paar Wochen,
war ich wieder voll dabei.
Denn auf
dem „Piccadilly Circus“, dem Platz der Welt-Jugend von damals,
sassen nun vor allem Touristen in meinem Alter um den altehrwürdigen
Erosbrunnen herum. Dabei schwelgten sie, mit einer kleinen Träne im
Auge, im vergangenen Spirit von damals, denn der Platz hat nach dem
Umbau vor ein paar Jahren, jegliches Flair verloren. Auch in der
„Carnaby Street“ – mit dem früheren Charme seiner kleinen
Designer-Boutiquen, in deren Schaufenstern damals die verrücktesten
Kleider und ausgefallensten Schuhe der Welt zu bestaunen waren –
mussten inzwischen alle von damals, mit einer Ausnahme, dem Einerlei
der mondänen Verkaufsstellen grosser Labels, mit ihren überteuerten
und überall gleichen Auslagen, weichen.
Nur an
den beiden Enden der heutigen Touristenstrasse trotzen – Grenadier
Guards“ gleich – das Pub „Shakespeares Head“ und das
altehrwürdige Kaufhaus „Liberty’s“, noch immer der modernen
Zeit.
Aber auch
am Hyde Park Corner tut kaum noch jemand engagiert und vehement wie
damals, seine freie Meinung kund, denn vermutlich haben Twitter und
Co, die schmalen Rednerpulte inzwischen endgültig abgelöst. Aber ob
das „Gezwitscher“ genau so lustig ist......?
Man darf
sich sicher etwas den „wehmütig“ Erinnerungen hingeben, aber
natürlich kann man nicht vergleichen. Denn überall hat sich im
Laufe der Jahre ja vieles verändert und oft doch auch zum Guten.
So sind
die Londoner allgemein viel, viel freundlicher geworden und die
Sauberkeit auf den Strassen, Plätzen und Parks hat sich sehr stark
verbessert. Verwahrloste, „Drögeler“ und Bettler sieht man kaum
noch und aufdringliche Strassenhändler, wie es sie in Rom zuhauf
gibt, hat es keine. Die damals verhassten und unterprivilegierten
„Schwarzen“ sind heute völlig integriert und akzeptiert und in
jeder Position anzutreffen.
Auch die
typischen, schwarzen Taxis haben sich der Zeit etwas angepasst und
manche sind origineller und farbiger geworden – gerade die haben
mir zum Teil besonders gefallen. Die jungen Leute sind inzwischen
zwar zu anderen Treffpunkten der Welt weitergezogen, aber erstaunlich
viele alte, bereits totgesagte, rote Telefonkabinen stehen noch immer
dort.
Das
weltbekannte „Mind the gap“ gehört auch nicht mehr
typischerweise zur Geräuschkulisse jeder Underground-Station –
genauso wie der schwarze Regenschirm nicht mehr zwingend zu jedem
Londoner gehört. Dafür ist nun jede Tube-Station der grössten und
ältesten U-Bahn der Welt sauber, hell und freundlich. Die modernen
Busse sind aber noch immer rot, nur haben sie nun auch, wie überall
auf der Welt, einen Ein- und einen Ausstieg mit automatischen Türen,
die verhindern, dass man beim Rotlicht oder bei langsamer Fahrt
spontan Aus- oder Einsteigen kann – denn warum sollten die (nicht
mehr) so „versnobten“ Londoner da noch eine Ausnahme machen.
Dafür sind die Busse jetzt moderner, leiser, umweltfreundlicher und
fahren auch für die Fahrgäste etwas „schonender“.
Und doch,
den legendären, roten Doppeldecker-Bus, the Routemaster, mit dem
einen, türlosen, hinteren Einstieg und dem dort angebrachten,
auffällig knallgelben Haltegriff-Stange, habe ich dennoch gefunden.
Denn er knattert noch immer zu laut, aber zuverlässig auf zwei
bestimmten „Heritage Routen“ von Haltestelle zu Haltestelle und
wirft mit seinem harten Gangwechsel und den abrupten Bremsmanövern,
wie früher, die illusteren Fahrgäste beinahe von den Sitzbänken.
Doch man darf noch immer zu- und aussteigen, wann man will und das
habe ich natürlich mit heller Freude auch mehrmals getan.
Nur,
statt der oft etwas älteren, schwarzen, meist „gewichtigen“ Frau
mit dem typisch „losen“ Mundwerk der damaligen „Bus
conductors“, begrüsst einem heutzutage eine junge, zierliche,
hellhäutige „customer hosts“ mit einem freundlichen Lächeln und
ohne die gelächterheischenden Sprüche. Doch auch die alte
Schaffnertasche mit dem „Coin dispenser“ – hierzulande nennt
man sie Münzwechsler oder auch Galoppwechsler und mit dem typischen
„klack-klack-klack“ des Hebelmechanismus allen Älteren vertraut
– musste der modernen, elektronischen „Oyster card“ endgültig
Platz machen.
Conductor´s bag with a coin dispenser
(Schaffnertasche mit Münzmagazin, umgangssprachlich Galoppwechsler)
Bild-Lizens by: LosHawlos / Bild-Quelle: Wikimedia Commons
Aber noch
mehr vermisst habe ich das vertraute „Fares please, enoyne fair
please“ des Kondukteurs, das er früher nach jedem Halt einige Mal
durch den Wagen gerufen hat und damit die Fahrgäste aufforderte, den
Fahrpreis ohne zu schummeln zu bezahlen.
Genau so
verstummt ist auch das „Gling“ für den nächsten Halt oder das
„Gling-Gling“, mit dem die Bussführerin dem Fahrer Bescheid zur
Abfahrt gab. Das Seil durch den Bus ist zwar noch vorhanden, aber es
wird nun mittels Knopfdruck ein optisches Signal zum Fahrer gegeben.
Auch die alten, oft undichten Kurbelfenster wurden durch Klappfenster
ersetzt – doch kurz vor der Endstation kommt noch immer der
„conductor“ im Oberdeck nach vorne und kurbelt an der Anzeige die
neue Endhaltestelle nach oben.
Trotz all
diesen Veränderungen, bin ich gerne über eine Stunde lang im
legendären Londoner-Bus auf der Heritage Route 15 gefahren. Vorbei
an vielen alten Sehenswürdigkeiten und modernsten Wolkenkratzern,
aber in Gedanken doch oft Jahrzehnte zurück. So kam mir
beispielsweise wieder in den Sinn, als wir mit unserer betagten
Landlady gemeinsam den Portobello-Road-Market besuchten. Ein seltenes
Erlebnis der besonderen Art, aber davon erzähle ich mehr ein anders
Mal.
;)
4 Kommentare :
Ja, solche "Zeitreisen" sind schön. Ich hab nur nicht so schöne Ziele.^^ Nun bin ich aber auch etwas jünger und noch dazu in der DDR aufgewachsen. London war da eher ein unerfüllbarer Traum. Und nach Deinen Erzählungen, möchte ich ihn lieber auch so lassen. Ich hätte gerne diesen "alten Charme" der Stadt aus den 70-ern erlebt. Und mit diesem schönen roten Doppeldeckerbus wär ich auch gern den ganzen Tag dort rumgefahren. ;-)
Ich hab meine "Zeitreise" mal in mein Heimatstadtteil gemacht, 20 Jahre später. Und es waren alle Erlebnisse sofort wieder da, trotz der vielen baulichen Veränderungen.
Ist das nun ein Zeichen dafür, das man alt wird? Denkt man mit 20 auch so gern an vergangene Zeiten?
LG Rotzlöffel
Zeitreisen und Erinnerungen, liebes Rotzlöffelchen, sind vielleicht eher ein Wesenszug, als eine Altersfrage.
Manche, auch junge Leute, entsinnen sich oft und bei jeder Gelegenheit an früher, erinnern sich an Erlebnisse und erzählen Anekdoten. Sind es vielleicht dieselben, die auch etwas schwerer "loslassen" können?
Aber es ist aus meiner Sicht auch logisch, dass sich ältere Leute eher mit der Vergangenheit beschäftigen, weil sie ja auch schon sehr viel erlebt und erfahren haben und vielleicht auch einiges verarbeiten müssen.
Zudem will man vielleicht gerade Jüngeren gegenüber auch zeigen, dass man auch mal jung, unbeschwerter und unternehmungslustiger war.
Und noch eine letzte Vermutung:
Bei einigen "Alten" war die Vergangenheit vielleicht auch viel spannender als die Gegenwart und dann "lebt" man halt von seinen Erinnerungen.
Ich bin jedoch auch überzeugt davon, dass ein erfülltes Leben überhaupt nicht davon abhängt, wie weit man in seinem Leben herum gekommen ist. Auch wenn man das heutzutage bei einigen, manchmal meinen könnte.
Nun wünsche ich Dir einen ganz erholsamen Sonntag mit vielen tollen Erlebnissen oder schönen Erinnerungen.
Liebe Grüsse
Resunad
Lieber Herr Oter
Ist diese Aussage wirklich eine Vermutung oder doch eher eine Feststellung?
(Bei einigen "Alten" war die Vergangenheit vielleicht auch viel spannender als die Gegenwart und dann "lebt" man halt von seinen Erinnerungen.)
Ich fände es wirklch traurig, nicht nur für Sie, wenn das so wäre.
Warum versuchen Sie nicht aus der Gegenwart eine Erinnerung zu machen?
Versuchen Sie es - Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
:-)
Besten Dank für den Eintrag.
Es freut mich, dass jemand sogar meine Kommentare so aufmerksam liest.
Es ist natürlich eine Vermutung
(und bezog sich vor allem auf Leute in Altersheimen oder mit gesundheitlichen Einschränkungen).
Aber ich sehe doch auch viele andere, deren Leben sich mit zunehmenden Alter linear ruhiger gestaltet. Die Kinder sind selbstständig, die Erwerbsarbeit ist getan und man muss nicht mehr immer überall dabei sein oder teilnehmen, nur weil es alle tun. Das ist doch ein sehr grosser Teil des Tages der nun frei gestaltet werden kann. Doch, muss dieser Teil nun weiterhin ständig mit Aktionismus ausgefüllt werden?
Das heisst natürlich nicht, dass das Leben im Alter langweilig sein muss/soll. Es gestaltet sich einfach etwas anders, vielleicht ruhiger und manchmal auch gehaltvoller. Darin liegt aus meiner Sicht genau soviel Befriedigung.
Ich – und das ist nun eine Feststellung – bin körperlich und geistig noch in der Verfassung, dass ich uneingeschränkt leben darf. Lesen, schreiben, gehen, reisen und Hausarbeit füllen meine Tage, auch wenn sie – besonders an regnerischen Tagen – nicht immer ganz wunschgerecht gestaltet werden können.
Aber, konnten sie das früher? Interessant sind sie meistens trotzdem.
Noch ein Hinweis, gerade morgen (23.05) wird hier zufälligerweise mein Feststellung über "Dinge die im Alter besser werden" erscheinen. Eine ganz schön lange Liste übrigens ;)
Liebe Grüsse
Resunad
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