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Freitag, 13. Februar 2015

Frau Hueber





Frau Hueber



Frau Hueber zieht den weissen Unterrock über die behaarten Beine nach oben. Beim Gesäss wird es eng. Sie hatte es vorher schon von oben versucht, über den Kopf, aber da blieb sie bereits bei den Schultern stecken. Also, da muss sie nun einfach durch, für Anpassungen bleibt keine Zeit mehr. Zum Glück kann sie dank des schönen Wetters wenigstens auf die  halblange Unterhose verzichten, sonst wäre es noch enger geworden. So zerrt Frau Hueber nun kräftig am groben Leinen – geht doch, oben sitzt der Gummizug auf der Hüfte und der kunstvolle Spitzensaum reicht bis über die Knöchel. Passt!
Ermutigt greift Frau Hueber nun zur bestickten Rüschenbluse, die ebenfalls aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stammt. Die war ja schon immer etwas eng an den Schultern und den Oberarmen. Aber sie passt bestimmt noch, denn dort hat sie nicht zugelegt. Der feste Stoff ist blütenweiss und glatt gebügelt, so wie es sich für ein ordentliches ‚Wöschwyb‘ gehört. Zwar hat sie nur einmal im Jahr einen Auftritt an der Fasnacht, aber immerhin, da will man doch eine gute Figur abgeben.

Jedoch, Frau Hueber hat in diesem Jahr Mühe in Fasnachtsstimmung zu kommen. Etwas ist in den letzten Tagen ist leicht aus dem Takt geraten, aber vielleicht liegt es auch nur am trüben Wetter der letzten Zeit. Doch nun kann sie sich keine Blösse geben. Spätestens, wenn sie das Altersheim betritt, muss sie in fasnächtlicher Hochstimmung sein. Dafür ist sie gekommen und das erwarten auch die betagten Bewohner von ihr; davon sprechen sie seit Tagen.

Während sie die lange Knopfreihe zuknöpft, überlegt sich Frau Hueber ob sie den BH noch etwas ausstopfen sollte, um den Bauchansatz zu kaschieren. Dabei muss die alte Tante nun doch etwas lächeln, denn sie ist froh, dass sie sich solche Sorgen nur einmal im Jahr machen muss. Jetzt steigt sie in den schwarzen Rock. Kein Problem, der sitzt perfekt. Er ist etwas weiter geschnitten und ein Stück kürzer, damit der schön bestickte Saum des engen Unterrockes sichtbar bleibt.

Nun legt sich Frau Hueber den gehäkelten, schwarze Umhang über die Schultern. Frau Ambauen hat auch manchmal ein ähnliches Tuch übergezogen, wenn ihr ein wenig kalt war. „Selber gestrickt“, erwähnte sie dann oft und hat sich gefreut, wenn man den Umhang lobte. Nun ist sie tot. Gestern Nachmittag verstorben. Frau Hueber überzieht bei dem Gedanken eine leichte Gänsehaut. Viele Nachmittage hatten sie zusammen mit den anderen am grossen Tisch in der Cafeteria des Altersheimes verbracht. Kaffee trinken, Dessert essen, reden, schweigen, lachen, ja es ist oft eine lustige Runde. Doch Frau Ambauen war nicht leicht zum Lachen zu bringen. Sie war eine ernste Frau. Sie hat viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen - ein Sohn behindert; der Mann – na ja, Gott hab in selig – und ihre Tochter ist dann vor zwei Jahren auch noch viel zu früh gestorben. „Dass das Kind vor einem stirbt, wenn man doch selber alt und angeschlagen ist, das ist ungerecht“, hat sie einmal traurig zu mir gesagt. Die Tochter hatte sie regelmässig besucht, darum hatte ihr Tod Frau Ambauen vielleicht auch besonders schwer mitgenommen; darüber ist sie nie ganz weg gekommen. Zur Beerdigung wurde sie von der eigenen Familie, die im gleichen Ort wohnt, nicht einmal persönlich abgeholt – ein Begleitungs-Auftrag wurde ans Heim erteilt. Die selten Besuche der danach noch verbleibenden Familienmitglieder, die immerhin einen stattlichen Hof erben konnten, taten dann das übrige. Sie wollte nicht mehr. Im Dezember sagte sie mir, dass sie gerne sterben möchte, weil das alles sowieso ‘keinen Sinn mehr machen würde‘.
Nun liegt sie oben in ihrem Zimmer aufgebahrt, so wie es üblich ist. Und morgen Abend wird das Sterbegebet für Frau Ambauen in der Heimkapelle abgehalten. Ich werde dabei sein, ganz normal gekleidet.

Nun gilt es aber zuerst, trotzdem gute Stimmung an der Heim-Fasnacht in der Cafeteria zu verbreiten. Ist das pietätlos? Nein, das ist das Leben! Der Tod gehört dazu, genau wie eine Geburt. Damit hat Frau Hueber keine Mühe und als ‚Figur‘ sowieso nicht. Denn früher wurden die ‚Wöschwyber’ oft gerufen, um die Toten zu waschen und anzukleiden. Das gehörte vielerorts zu ihren Aufgaben.

Frau Hueber atmet tief durch, zieht sich das schwarzweisse Kopftuch über ihre grauen Haare und knotet es vorne zusammen. Danach zieht sie die von Mutters Hand grobgestrickten Socken an und steckt die Füsse in die klobigen Schuhe. Probelauf – an die stöckelnden Schritte im engen Unterrock, muss sie sich erst wieder gewöhnen. Kein Wunder, dass Frauen manchmal zu spät zu einem Treffen kommen, bei diesen kleinen Schritten, denkt Frau Hueber verschmitzt. Entschlossen greift sie nun zur geflochtenen Handtasche. Sie stammt noch von ihrer Grossmutter. Sicher wird das elegante Täschchen von den Bewohnerinnen auch heute wieder besonders bewundert und gelobt.
Vorsichtig betätigt Frau Hueber den Schliessmechanismus und zieht den Zipfel eines karierten Taschentuches ein wenig hinaus. So fertig.
Ein Blick in den Spiegel – alles sitzt und passt auch einigermassen. Jetzt bitte lächeln Frau Hueber – Mundwinkel nach oben!
In Kürze wird ein altes, gebeugtes Waschweib am schwarzen Gehstock ins Altersheim humpeln. Am linken Arm ein schwarzes Täschchen. Eine vollendete Komposition aus schwarz und weiss. Passt doch! Lächeln Frau Hueber, lächeln! Fasnachtsstimmung wie immer – schauspielern ist sich Frau Hueber ja gewohnt.

©/® Copyright by Herr Oter 






;)

5 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Jo Frau Hueber...meh lächle! Ghöre düschteri Stimmig. Zwenig Sunna gäll?? Oder susch no dunggli Wolka uma?
Wird glaub widermol Zyt für es Rendevous mit dr chline Schwöschter :-)
Sunnigi Grüessli
T.O.&O.

Herr Oter hat gesagt…

Danka für de Kommentar, Schwösterli. Hüt häts Sunna, das muess i jetzt grad usnütza und e chli go laufa. Dir au en schöna Sunntig. Liebi Gruessli

Anonym hat gesagt…

Ich finde das ist sehr schön geschrieben :) Eine tolle Geschichte. Ich habe richtig eine Gänsehaut bekommen. :)

Ganz liebe Grüße :)

Herr Oter hat gesagt…

Ganz herzlichen Dank für Dein Kompliment, Alina. Es freut mich sehr! Ich liebe es, "Gänsehaut" zu erzeugen ;)

Ich wünsche Dir eine ganz schöne und erfolgreiche Woche

Liebe Grüsse
Re

Anonym hat gesagt…

Dankeschön, Dir auch lieber Resunad :)