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Samstag, 28. März 2015
Auch wenn es nur sehr schwer auszuhalten ist….
Ein Flugzeug zerschellt nach einem kontrollierten, fast 10-minütigen Sinkflug in den französischen Alpen in kleinste Einzelteile. 150 Personen werden dabei getötet. Schockierend!
Der Voice-Recorder wird nach wenigen Stunden gefunden und die aufgezeichneten Stimmen und Geräusche innert 24 Stunden grob ausgewertet. Ein französischer Staatsanwalt tritt vor die versammelte Weltpresse und gibt bekannt, was die ersten, provisorischen Auswertung ergeben haben. Demnach soll der Pilot kurz vor dem Einleiten des Sinkfluges das Cockpit verlassen haben. Später versuchte er vergeblich ins Cockpit zurückzukehren. Der Kopilot reagiert auf die Rufe des Piloten, die Schreie der Passagiere, verschiedene Aufrufe der französische Flugsicherung und die Warnsignale der Überwachungstechnik im Flugzeug nicht. Normale Atmungsgeräusche sind jedoch bis am Schluss hörbar.
Soweit die Fakten.
Jetzt beginnt der Staatsanwalt (gemäss Wikipedia: meistens ein Staatsbediensteter, der bei Gericht oberster Vertreter der Anklage ist, [also der Ankläger, nicht der Richter] zu spekulieren. Er nimmt auf Grund der Geräusche an, dass dem Piloten der Zutritt in das Cockpit durch den Kopiloten willentlich verwehrt wurde. Auch muss absichtlich der Sinkflug der Maschine eingeleitet und auf Warnsignale nicht reagiert worden sein. Also folgert der Staatsanwalt daraus, dass der Kopilot das Flugzeug absichtlich zum Absturz brachte. Das Wort Selbstmord erachtet er dabei als falsch, weil der Kopilot zusätzlich 149 andere Insassen zu Tode brachte; also ist er nun ein Mörder!
Dann buchstabiert der franz. Ankläger den vollen Namen des Kopilot in die Mikrofone und Kameras der ganzen Welt. Innert Minuten werden Bilder des Mörders und Selbstmord-Attentäters weltweit verbreitet. Einige der Bilder zeigen dummerweise auch falsche Person mit gleichem oder ähnlichem Namen. Innert einer halben Stunde werden zudem 14 FB-Profile mit dem Namen des Kopilot neu aufgeschaltet und zum Teil mit islamischen Parolen versehen. Das echte FB-Profil des Kopilot wird erst mehr als eine Stunde danach gelöscht. Fatalerweise werden innert einer Stunde auch Bilder, TV-Aufnahmen und die genaue Adresse des Elternhauses des mutmasslichen Mörders – in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt (mit ca. 13’000 Einwohnern) im Westerwald – veröffentlicht. Das zieht sofort eine dutzendfache Reporterschar dorthin nach sich. Der Beschuldigte bewohnte jedoch seit einiger Zeit eine eigene Wohnung, 130 Kilometer entfernt am Düsseldorfer Stadtrand.
Der Lufthansa-CEO spricht dann wenige Stunden später auf der Pressekonferenz, von einem mehrmonatigen Unterbruch während der Ausbildung des Kopilot. So ein Unterbruch sei nicht aussergewöhnlich und der Grund dafür sei ihm nicht bekannt. Eine Journalistenfrage nach einem möglichen medizinischen Grund, beantwortet der CEO damit, dass er aufgrund des Arztgeheimnisses, das in Deutschland auch über den Tod hinaus gilt, darüber nicht in Kenntnis gesetzt wurde.
Trotzdem wird innert Minuten, befeuert durch die Selbstmord-Theorie, über eine mögliche, psychische Erkrankung des Kopilot spekuliert. Depressionen werden von Reportern diagnostiziert und es werden auch irgendwelche „Freunde” oder Kollegen gefunden, die diese Theorie „bestätigen”. Zum Teil wird ihnen dafür angeblich 70 € angeboten.
Am Tag danach wird bei der Hausdurchsuchung ein zerrissenes Arztzeugnis für den Unfalltag gefunden. Was darin stand? Arztgeheimnis! Auch wird bekannt, dass der 27-jährige Kopilot unter Sehstörungen gelitten haben soll und sich wegen einer möglichen Einschränkung des Sehvermögens Sorge um seine Pilotentauglichkeit gemacht haben soll und sich darum in ärztliche Behandlung begeben haben soll...
So, nun ab gilt der
„150fache Mord unter Inkaufnahme der Selbsttötung” durch einen ein Flugzeug steuernden, depressiven Mörder mit Augenproblemen und Sorgen,
als gesicherte und bestätigte Tatsache.
Selten, wie in diesem tragischen Fall, sind mir die üblen Machenschaften der Medien bewusst geworden: Spekulationen werden zu Vermutungen und die Vermutungen werden durch neue Spekulationen zu Tatsachen. Bausteinartig wird ein Täterbild auf wackeligen Elementen konstruiert. Durch das ständige Wiederholen setzen sich diese Spekulationen und Theorien dann nachhaltig im Gedächtnis fest. Doch Beweise dafür gibt es eigentlich keine.
Ich meine, auch wenn die französische Staatsanwaltschaft sagt, der Kopilot habe die Maschine willentlich zum Absturz gebracht, heisst das noch lange nicht, dass es wirklich so war. Staatsanwälte haben schon oft etwas behauptet und angeklagt, das sich später als unrichtig herausgestellt hat und dementsprechend auch ganz andere Urteile, als die von ihnen geforderten, daraus resultierten. Das sieht man ganz explizit auch am Fall Knox, aber dazu später mehr.
Der wirkliche Hergang im Cockpit des Airbus A320, die technischen Voraussetzungen und die genauen Manipulationen, aber auch die Befindlichkeit des Piloten und erst recht seine wirklichen Beweggründe sind absolut unbewiesen. Der Flugdatenschreiber, der diese Beweise liefern könnte, ist scheinbar nach vier Tagen immer noch nicht gefunden. (Warum wohl?) Somit bleibt alles nur Spekulation und Theorie.
Aber auch wenn sich diese Theorien vermutlich im Nachhinein als richtig erweisen, so darf aus meiner Sicht, der seriöse Journalismus, trotz des Drucks aus der voyeuristischen Öffentlichkeit, ethische Grundregeln nicht ausser Kraft setzen.
So ist eine menschenunwürdige Hetzjagd auf die Angehörigen (in diesem Fall die Eltern und ein Bruder), durch eine sofortige Herausgabe des vollen Namens zu vermeiden. Für sie gilt die gleiche Regel wie für die Angehörigen der Opfer. Denn auch sie sind genau so Opfer und nicht Täter.
Auch die Aufbauschung von möglichen Szenarien und unbewiesenen Tatsachen sollte mit der nötigen Sorgfalt erfolgen. Denn durch eine ‘sensationsgetriebene’ Berichterstattung werden Erinnerungen und Bilder in den Köpfen der Öffentlichkeit produziert, die sich nie mehr ganz korrigieren lassen.
Das zeigt ein weiterer schamloser Fall von Sensationsjournalismus, der in den gleichen vier Tagen leider durch das Grossereignis in den französischen Alpen etwas in den Hintergrund gedrängt wurde.
In diesem absolut unseriös und schlampig ermittelten Mordfall, wurde die Amerikanerin Amanda Knox von der italienischen Staatsanwaltschaft in verschiedenen Verfahren um Sex, Drogen und einer barbarischen Bluttat, zu 28 Jahren und sechs Monaten Haft wegen Mordes verurteilt. Ihr damaliger Freund erhält dafür 25 Jahre. Vier Jahre davon sitzen die beiden ab. Dann musste man sie auf Grund von zwei Rekurs-Verfahren (nach einer erneuten Verurteilung) freilassen. Gestern wurden die beiden nun vom höchsten Gericht Italiens in letzter Instanz «wegen erwiesener Unschuld» endgültig freigesprochen. [Bericht]
Bei diesen verschiedenen, spektakulären Verfahren wird Amanda Knox von den Medien während Jahren als «eiskalter Engel von Perugia» bezeichnet und dabei entweder als bildschöne, unschuldige Madonna oder als kaltblütige, blutrünstige Mörderin dargestellt.
Trotz diesem nun vollumfänglichen Freispruch und der bewiesenen Unschuld, kommt einem sofort wieder das Bild des „Engel mit den Eisaugen” - wie die schöne Amanda Knox in den Medien auch bezeichnet wurde – in den Sinn und man ist darum sogleich wieder nicht mehr ganz davon überzeugt, dass eine, mit solchen Augen, wirklich nichts mit dem Mord an ihrer Mitstudentin zu tun hat.
Darum meine ich, Mörder sind erst Mörder, wenn es endgültig bewiesen ist!
Somit müsste die Unschuldsvermutung auch im aktuellen Flugzeugabsturz gelten, bis das Gegenteil mit eindeutigen Belegen bewiesen ist – auch wenn das für Journalisten und die Medien-Öffentlichkeit nur sehr schwer auszuhalten ist.
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