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Dienstag, 15. Dezember 2015

Der Weihnachts-Trompeter und die Ballerina





Der Weihnachts-Trompeter und die Ballerina
Eine weitere Adventsgeschichte für meine diesjährigen Lesungen
im Adventskaffee des Altersheims
(Blog-Version)




Ein dumpfes Stimmengewirr schleicht sich in die Traumwelt von Max.
„Schachtel, Weihnachtsschmuck, Kugeln, Christbaum …“
Solche Wortfetzen vermischen sich mit seinem Traum:

«Max lässt seinen Blick umherschweifen. Hunderte rote Wachskerzen leuchten eindrucksvoll an der stattlichen Weisstanne und das Kerzenlicht spiegelt sich tausendfach in grossen, farbigen Weihnachtskugeln. Ein richtiges Lichtermeer um ihn herum und er mitten drin - Max wird ganz warm. Bunte Schleifen und Bänder konkurrieren mit dem Grün der Tannennadeln und kleine, farbige Weihnachtspäckchen hängen geheimnisvoll an den ausladenden Ästen. Max ist überwältigt. In all den Jahren hat er keinen grösseren und schöneren Christbaum gesehen. Der riesige Weihnachtsbaum steht genau unter der mächtigen Kuppel in der Mitte einer grossen Kirche. Es soll der Dom sein, hat man ehrfürchtig gemunkelt.
Langsam füllt sich nun das Gotteshaus. Fast zweitausend Personen werden ihn endlich einmal spielen hören, wen er, der berühmte Weihnachtstrompeter, sein Solo vortragen wird.
Max bekommt bei dem Gedanken ganz weiche Knie. Zum Glück sieht man das nicht. Doch er ist ja nicht allein, beruhigt sich Max. Rechts, ganz weit unten im Chor, stehen die berühmten Domspatzen. Auf der linken Seite sitzt das grosse Symphonieorchester mit den vielen Geigern und Flötistinnen und ihm gegenüber thront die mächtige Domorgel über der Eingangspforte. Sie alle werden ihn bei seinem virtuosen Trompetensolo unterstützen – und er wird brillant spielen. Schon glaubt Max, den tosenden Applaus zu hören.»

„Hier! Ich habe sie!“
Ein heftiges Erdbeben reisst Max aus seinem schönen Traum. Jetzt wird er tüchtig durchgeschüttelt und nun ist er hellwach. Zum Glück liegt er weich gebettet. Trotzdem lastet etwas schwer auf ihm. Es wird wohl der gewichtige Nikolaus sein. Max liegt in völliger Dunkelheit, hört jetzt aber, wie jemand die Stiege vom Dachboden hinunter schlurft. Es scheint also bereits wieder Zeit für den grossen Weihnachts-Auftritt zu sein.
Max fühlt sich gut. Der lange Sommerschlaf hat ihm nach der letzten, anstrengenden Weihnachtszeit gut getan.
Denn Max gibt als Weihnachtstrompeter immer alles. Die Saison ist nur kurz und Trompete spielen ist schliesslich sein Beruf – nein sogar seine Berufung, er kann ja nichts anderes. Darum freut sich Max jedes Jahr, auf seinen Auftritt am Weihnachtsbaum. Er bläht schon mal die Backen auf.

Kurz darauf wird Max aus dem Seidenpapier gewickelt und behutsam auf einen kleinen Tisch in der Stube gelegt. Ein kurzes Schaudern durchfliesst seinen dünnen Holzkörper, in der Schachtel war es doch wärmer.
Vorsichtig öffnet Max die Augen. Nur langsam gewöhnen sie sich an das grelle Tageslicht. Doch im Moment sieht Max sowieso noch nicht viel, der breite Rücken des Nikolaus mit seinem dicken, roten Mantel versperrt ihm die Aussicht.
Ob sie alle wieder da sind, fragt sich Max?
Der Hase, die Eule, der kleine Hund, der Waldvogel, das scheue Rehlein oder das dicke Glücksschwein. Ob sie alle den Sommer gut überstanden haben? Der gemütliche Schneemann, der immer etwas Angst vor der Wärme hat oder der freche Fliegenpilz, der nur davor Respekt hat, dass ihm die rotbraune Schnecke in der Weihnachts-Schachtel zu nahe kommt.
Max, der langjährige Weihnachtstrompeter, kennt jeden seiner Truppe. So auch die goldenen Zapfen, die glitzernden Schneesterne und die bunten Christbaumkugeln, die den Weihnachtsbaum ja erst so richtig festlich machen. Max mag alle vom Weihnachtsschmuck. Auch die kleinen Süssigkeiten, die am Heiligen Abend ganz zahlreich am Baum hängen. Sie duften doch immer so fein. Leider sind sie jeweils recht schnell verschwunden.
Nur mit den Wachskerzen wurde Max nie so richtig warm. Sie waren recht unnahbar. Denn während sie brannten, vermied man den Kontakt zu ihnen besser. Weil, wenn man ihnen zu nahe kam, konnten sie recht gefährlich werden. Und nachher waren sie immer verschwunden – sie blieben ja nur einen Abend lang. 
Vor einigen Jahren wurden sie dann durch Elektrische ersetzt. Mit denen geht es jetzt besser, auch wenn sie ziemlich gefühllos wirken.

Auch mit der schlanken, silbernen Spitze auf der Baumkrone kann es der stramme Trompeter nicht so recht. Sie ist ihm zu hoffärtig. Sie meint, sie sei Spitzenklasse und blickt ständig hochnäsig von oben herab auf alle anderen.
‘Aber ,was kann die denn schon, ausser zu glänzen‘, denkt Max. ‘Sie wäre nicht die erste, der Hochmut das Genick bricht.’ – Etwa so, wie bei der dicken Pute im letzten Jahr, die auch immer mächtig aufgeblasen war, bis sie dann vom Baum fiel. Ein dünnes Ästchen hat sie wohl nicht mehr ertragen. Nur wenige hatten Mitleid mit der dummen Gans.
Da sind Max die kleinen, niedlichen Engelchen schon viel lieber. Wunderschöne Wesen mit Fügelchen die bescheiden und federleicht an feinen Schnüren hängen. Oder die andere Himmelsgeschöpfe mit ihren glänzenden Posaunen, aus dünnem silbernem Metall gestanzt. Sie unterstützen ihn jeweils beim Spielen. Mit diesen niedlichen Wesen hat er oft richtig Spass.










Während Max noch eifrig von seinen Engelchen träumt, greifen leicht zitternde Hände behutsam nach ihm.
„Ja schau da, der Max, unser grosser Weihnachtstrompeter“.
Max blickt in ein vertrautes, freundliches Antlitz. Es ist das von Christian.
'Im Gegensatz zu mir, ist er in den letzten Jahren doch ziemlich gealtert’, denkt Max. Denn die beiden kennen sich schon viele Jahre lang. Christian hat ihn damals aus dem Geschäft geholt, als Max zusammen mit vielen anderen Weihnachtsfiguren dort auf einen Käufer wartete. Christian entdeckte den Trompetenspieler rein zufällig, aber kaufte ihn dann ohne lange zu überlegen. Denn er passte genau zu seinem Sohn Georg, auch er ein junger Trompetenspieler mit einiger Begabung.
Was war das für einen Auftritt – damals an seinem ersten Heiligen Abend. Max erinnert sich noch gut: Es hatte nicht lange gedauert, bis Georg ihn am Baum bemerkt hatte. Die Freude im Gesicht des kleinen Buben, wird Max wohl nie mehr vergessen. Georg wollte den Trompeter natürlich sofort ungestüm vom Baum reissen – Max fürchtete sich gleich um seine Gesundheit – aber der Vater wusste um die Zerbrechlichkeit des steifen Trompetenspielers und schützte ihn vor den flinken Kinderhänden, indem er Max zwei Äste höher platzierte.

Seither sind über zwei Jahrzehnte vergangen und kaum einer der Familie interessierte sich noch für den Trompetenspieler. Für den erwachsenen Georg, der jetzt eine eigene Familie hat, ist die Trompete nicht mehr das Wichtigste und Erwachsene betrachten einen Christbaum ja sowieso anders, als Kinderaugen. Nur Christian schaut den Trompetenspieler jeweils nachdenklich an, bevor er ihn in der Mitte des Baumes festklemmt. Er nimmt immer ein besonders starkes Ästchen, denn Max blieb die einzige Christbaumfigur, die der alte Mann jemals gekauft hatte. Und Max dankt es ihm, denn er ist mit Leib und Seele Weihnachtstrompeter.


Bald ist der Baum festlich geschmückt. Der Trompetenspieler ist jetzt umgeben von  goldenem Engelshaar und silbrigem Lametta. Alle seiner Truppe haben den Umzug auf den Baum schadlos überstanden – immer ein gefährliches Unterfangen. Schon manche Weihnachtskugel musste am Ende der Saison beklagt werden, weil sie am Boden zerschellte. Max schaut sich um. Zwei, drei Engelchen sind ganz in seiner Nähe, so fühlt er sich richtig wohl.
Nun kommt noch die silberne Grazie als Letztes auf die Spitze der Tanne. Anfänglich wankt sie bedrohlich, doch dann ist sie ganz ihrer selbst – die Krönung des prachtvollen Christbaums.
Innerlich verzieht Max verächtlich sein Gesicht, äusserlich lässt er sich natürlich nichts anmerken.
Schnell wird Max wieder abgelenkt, denn die Schwiegertochter, die seit ein paar Jahren zusammen mit Christian den Baum schmückt, zieht eine neue Figur aus einem  dünnen Papierumschlag. So ein Neuankömmling ist natürlich immer eine grosse Sache und alle sind gespannt, was es wohl sein könnte.
Es ist eine zierliche Balletteuse! Sie wird sicher für die kleine Nina an den Baum gehängt. Denn für die Fünfjährige wurden im letzten Jahr schon ein rosa Tutu und Ballettschuhe unter den Weihnachtsbaum gelegt.
Unweit unter Max wird die graziöse Tänzerin ans Bäumchen gehängt. Aufgeregt dreht sie sich ein paar mal im Kreis – nach links und dann wieder nach rechts herum, bis sie ausgependelt halt. Dabei wird das dünne Ästchen arg belastet.
‘Aber es wird sie tragen können‘, denkt Max, ‘so federleicht wie sie aussieht‘.




Max wird etwas nervös, so nahe bei dieser reizenden Ballerina. Krampfhaft versucht er sich bemerkbar zu machen, möchte seinen Ast gerne auch etwas in Schwung bringen, aber dazu ist er zu unbeweglich.
Die junge Tänzerin bemerkt ihn nicht. Sie schaut verzückt an ihm vorbei nach oben zu der formvollendeten Grazie die zuoberst auf dem Baum thront.
‘Ha’, denkt der kleine Trompeter verächtlich, ’der Scheint trügt – wenn du wüsstest …‘
Aber noch muss er sich gedulden, denn erst nach Mitternacht kann er ihr sein ganzes Können beweisen.

Zuerst hat nun das goldene Glöckchen seinen grossen Auftritt.
„Bimm, bimm, bimm!“ Hell und rein tönt sein zarter Klang.
Das bescheidene Glöckchen ist fast etwas verlegen, dass es jeweils als Erstes den Ton angeben darf. Aber es ist nun mal seine Aufgabe, den Heiligen Abend einzuläuten.
‘Welch eine Ehre und trotzdem bleibt es ganz bescheiden‘, denkt der Trompeter mit einem verächtlichen Blick hinauf zur Tannenspitze. 




Nun wird die Türe aufgerissen und die beiden Kinder stürmen ins Wohnzimmer. Beeindruckt ob der herrlichen Pracht bleiben sie mit offenen Mündern stehen. Auch die Erwachsenen kommen nun zum Baum, um ihn zu bestaunen.
Bereits nach kurzer Zeit entdeckt das Mädchen die Tänzerin.
„Papa, Mama, schaut!“, ruft die Kleine ganz begeistert, „eine Prima Ballerina“.
Vergnügt quietscht Nina und der jungen Tänzerin am Baum ist der Stolz anzusehen.
‘Geniesse es, Kleine’, denkt Max ein bisschen wehmütig, ‘in zwei, drei Jahren wirst auch du unbeachtet am Baum hängen, genau wie ich.’
Jetzt schiessen die dünnen Ärmchen des Mädchens nach oben und wollen das zarte Geschöpf am Baum packen.
„Nein!“, schreit Max aus Leibeskräften und bläst vor Schreck viel zu früh auf seiner Trompete verzweifelt Alarm.
Doch leider können ihn die Menschen ja nicht hören.
Oder vielleicht doch?
Möglicherweise gerade ältere Menschen, wenn sie ein grosses Herz für Weihnachtsfiguren haben?
Jedenfalls kann Christian, sein alter Freund, im letzten Moment das Schlimmste abwenden und die Tänzerin behutsam, vor den unbeholfenen Kinderhänden retten.
‘Puh! – Glück gehabt, Kleines!‘, denkt Max erleichtert.
Die Balletttänzerin wird nun etwas höher gehängt und tanzt jetzt – aufgeregt vor Schreck – ganz nahe neben Max am Ästchen wild hin und her und … – berührt dabei leicht seinen ausgestreckten Arm.
„Oh, Pardon!“ haucht eine feine Stimme.
'Sie hat mich bemerkt! Sie hat gemerkt, dass ich ihr wahrscheinlich das Leben gerettet habe.’
Der Trompetenspieler ist ganz aus dem Häuschen und blickt voller Stolz zu seiner Angebeteten. Noch nie hat er ein lieblicheres Wesen gesehen.
‘Warte nur bis Mitternacht’, denkt der Musikant.
Denn erst dann, wird er alles geben können, um sie mit seinen Trompetenklängen so richtig zu bezaubern. Max wird seltsam warm ums hölzerne Herz.

Aber er hat keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn nun greift jemand nach ihm.
„Ach schau da, der alte Trompetenspieler. Gibt's dich auch noch?“
Sanft streicht Georg der Figur über den Kopf und nun ist es Max, der auf seinem Ast vor Freude wilde Luftsprünge macht. Endlich wird er wieder einmal wahrgenommen. Max ist überglücklich. Er hüpft noch einige Male auf und ab. Verwundert schaut die junge Tänzerin zu ihm herüber.
Hat ihm die junge Frau jetzt auch noch zugelächelt?
Max kann sein Glück kaum fassen. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals. Könnte er, würde er jetzt schon seine Fanfare in die goldene Trompete blasen. Aber dazu muss er sich noch ein bisschen gedulden.

Denn immer um Mitternacht, genau beim zwölften Glockenschlag, wenn alle Hausbewohner in der Mitternachtsmesse oder müde und zufrieden im Bett liegen, dann kommt sein grosser Auftritt. Dann schmettert Max mit seiner Trompete das Signal zur Sternstunde aller Weihnachtsfiguren in die mystische Nacht. Dann werden sie alle für eine Stunde lebendig und feiern fröhlich ihre eigene, hochheilige Zeit.
Max wird dabei in diesem Jahr besonders hingebungsvoll die gefühlvollsten Trompetenstücke spielen die er kennt. Bestimmt wird er mit seinen Klängen das Herz dieses wundervolle Wesens berühren und sie wird sie sich nur für ihn im Kreis drehen und zu seiner Musik tanzen. Endlich wird sein Traum wahr und Max der grosse Weihnachtstrompeter wird den grössten Auftritt seines Lebens haben; dazu brauchte keinen Dom mit zweitausend Zuhörer, sondern nur die Eine.

Am 6. Januar verschwinden sie dann müde, aber glücklich, wieder in der grossen Weihnachtschachtel zum wohlverdienten Sommerschlaf und träumen von grossen Auftritten, leuchtenden Kinderaugen und älteren Menschen, die manchmal ein ganz besonders feines Gespür für leblos scheinende Weihnachtsfiguren haben.

Einer jedoch träumt von einer sanften Berührung und dem Tanz einer grazilen Prima Ballerina.
Hoffentlich liegt in diesem Jahr anstelle des übergewichtigen Nikolaus, die federleichte Tänzerin über ihm. und wer weiss, vielleicht gestattet sie ihm, dass sie sich während des langen Sommerschlafes an den Händen halten.

© Herr Oter (Dezember 2015)


Eine schweizerdeutsche Lesefassung für den privaten Gebrauch
kann auf Anfrage bei mir bezogen werden.




Eine ähnliche Geschichte 
(sie diente mir als Inspiration), 
des bekannten Autors Gernot Jennerwein findet ihr hier
Die wunderbare Geschichte kann man auch gedruckt und wunderschön illustriert kaufen, hier ist die Webseite des Autors.



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