Diese Frage muss erlaubt sein!
Schreckliches ist in Frankreich passiert!
Am 7. Januar 2015 erschüttert ein fürchterliches Attentat auf die Redaktionsräume der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris ganz Europa. Die beiden islamistischen Attentäter richten dabei ein Blutbad an. Nach zwei Tagen auf der Flucht können die beiden Terroristen von der Polizei erschossen werden. Gleichzeitig nimmt ein weiteres Mitglied der Terrorzelle zahlreiche Geiseln in einem Supermarkt, nachdem er bereits tags zuvor eine Polizistin erschossen hatte. Bei der Geiselnahme werden weitere Personen erschossen. Nach einigen Stunden können die Geiseln, darunter auch Kinder, befreit und der Attentäter getötet werden.
Der Grund für diese Terrorwelle sind verschiedene, provokante Mohammed-Karikaturen, die in der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" seit 2006 regelmässig veröffentlicht wurden. Auch eine Comic-Biographie von Mohammed (La Vie De Mahomet) wurde in muslimischen Ländern als Provokation empfunden. Oft wurden diese Veröffentlichungen auch absichtlich zu einem Zeitpunkt gemacht, als die Stimmung in islamischen Ländern bereits durch andere, islamfeindliche Ereignisse oder Darstellungen mächtig aufgeheizt war.
Verschiedentlich wurde die Zeitschrift seither aus islamischen Kreisen bedroht. Im November 2011 wurde, nach dem Abdruck einer Karikatur Mohammeds auf der damals aktuellen Titelseite, ein Brandanschlag auf die neu bezogenen Redaktionsräume verübt. Im März 2013 wurde Chefredakteur Charbonnier «tot oder lebendig wegen Verbrechen gegen den Islam» „zur Fahndung“ ausgeschrieben.
Auch die französische Regierung kritisierte „Charlie Hebdo“ mehrmals für diese Karikaturen oder für den Zeitpunkt deren Veröffentlichung.
Das Magazin verteidigte stets die Veröffentlichung der Karikaturen. Die Zeichnungen würden nur diejenigen schockieren, die schockiert sein wollten. Man verwies stets auf die Rede- und Pressefreiheit und proklamierte, wie ihr deutscher Berufskollege Kurt Tucholsky: «Satire darf alles»
Darf Satire wirklich alles?
Die Diskussion um Pressefreiheit und mögliche Grenzen für Satire ist nach dem fürchterlichen Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in vollem Gange.
Bereits wenige Stunden nach dem Terroranschlag hat die eidgenössische Medienministerin, Bundesrätin Doris Leuthard, auf Twitter die Gewalttat zwar mit ganz klaren Worten verurteilte, hielt gleichzeitig aber auch fest: «Satire ist kein Freipass». Für diese Aussage wurde sie daraufhin heftig kritisiert.
«Die Pressefreiheit ist unantastbar», sagt auch der Soziologe Kurt Imhof. Aber es gäbe eine moralisch-ethische Grenze. «Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch gut»
Weiter führt Kurt Imhof in einem Interview bei SRF-News sinngemäss aus:
Ursprung dieser umstrittenen Mohammed-Karikaturen ist die rechtskonservative dänische Zeitung „Jyllands-Posten“. Sie veröffentlichte die Zeichnungen ganz bewusst als anti-muslimische Aktion. Diese Bilder, sowie jene, welche «"Charlie Hebdo"» 2011 und 2012 selber machte, waren ganz einfach nicht lustig. Dass man die symbolischen Figuren von Religionsführern nackt oder mit Gegenständen im Anus zeigen sollte, halte ich weder für witzig noch für zielführend. Das ist eine Beleidigung von vielen gläubigen Menschen. Das gilt für alle Religionen.
Gleicher Meinung ist auch Islamwissenschaftler Frank Peter. Er plädiert für eine Mässigung in der diffamierenden Kritik am Islam; insbesondere in Bezug auf die Blasphemie in der Satire, unter der auch andere Religionen zu leiden hätten.
Er meint sogar in einem Artikel der Berner Zeitung: «Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt nicht absolut»
Auch das Schweizer Satiremagazin „Nebelspalter“ distanziert sich vom «Tabubruch zum Selbstzweck». So wird Marco Ratschiller im Tagesanzeiger folgendermassen zitiert: «Satire ist nicht das beste Mittel der Stunde, um die Medienfreiheit hochzuhalten.» Zu den kritisierten Karikaturen im "Charlie Hebdo" meint er: «Das ist nicht unser Satire-Verständnis.»
Eine Infragestellung der Satire als grenzenloses Mittel zu einem Religionsstreit ist aus meiner Sicht angebracht. Ich bin der Meinung, dass Satire aus moralischen und ethischen Gründen nicht alles darf! Ansonsten hat sie allein die Folgen zu tragen - was jedoch kaum realistisch ist, wie das Massaker mit vielen Unschuldigen und Unbeteiligten in Paris zeigt.
So halte ich zum Beispiel die schamlose Verunglimpfung der Muslime in der Koran-Kritik des Kolumnisten Andreas Thiel (er nennt sich selbst «anarchistisch orientierter» Satiriker) in der Weltwoche nicht für zielführend. Er macht darin den Koran für Krieg, Gewalt und Unterdrückung verantwortlich. Die Bezeichnung des Propheten Mohammed als «Sklaventreiber“, „Kinderschänder“ und „Massenmörder» unter dem Deckmantel der Satire halte ich schlicht und einfach für eine niederträchtige Hetz- und Hassschrift, die keinen Nutzen bringt. Ich meine, wer so mit dem Feuer spielt, der darf das zwar, muss sich aber nicht wundern, wenn es brennt.
Ich bin ganz klar der Ansicht, dass die Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit nicht in Frage gestellt werden darf. Sie ist die wichtigste Errungenschaft der Französischen Revolution, ein Grundpfeiler unserer Demokratie und eines der kostbarsten Menschenrechte.
Aber in Anbetracht von 20 Toten, 15 schuldlosen Schwerverletzten, hunderten Verletzten, Traumatisierten und Trauernden und nach rund 50 Stunden Ausnahmezustand muss die Frage erlaubt sein —
war es das wert?
Bild: Pixabay Lizenz: CC0 Public Domain
:((
7 Kommentare :
Ich stimme im grossen und ganzen deinen Ausführungen bei...Aber in keiner Religion ist es grundsätzlich erlaubt mit solchem abgrundtiefen Hass und sogar Mord gegenüber anders denkenden oder anders gläubigen Mitmenschen vorzugehen! Das Problem liegt wie in jeder Religion bei den Fanatiker welche zu solchen (Re)-Aktionen aufrufen und anstiften. Meiner Meinung nach wäre dort anzusetzen. Aber da solche Prediger eben unter dem Schutzmantel ihrer heiligen Schriften agieren ist es auch schwer einzugreifen. Ich sehe nur möglichen Widerstand in ihren eigenen Reihen...
Auf deine Frage,ob es das Wert war? Vielleicht reagieren die Muslime in Europa auf Grund solcher Vorkommnisse auch je länger je stärker mit negativen Äusserungen gegen solche Fanatiker.
T.O.&O.
Lieber Herr Oter -
diese Fragen treiben auch mich um, denn auch wir Blogger profitieren in gewisser Weise ja auch von der Presse- und Meinungsfreiheit. Und nichts, aber wirklich gar nichts rechtfertigt den gewaltsamen Tod von Menschen, egal welcher Religion sie angehören.
Wenn man sich mal die Welt so anschaut, dann ist die Lage zur Zeit alles andere als entspannt, was den Gebrauch von Waffen anbelangt, um der einen oder der Religion zu ihrem RECHT? zu verhelfen. Und kein europäisches Land hat bisher den optimalen Umgang aller Menschen miteinander gefunden.
Nur eine kleine Sache muß ich anmerken:
Nehmen wir einmal an, jemand hat eine andere oder eine schlechte Beziehung und alle würden wir ihm das mit drastischen Bildern immer wieder vor Augen führen ... Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis diese Person die Nerven verliert ... (Es muß ja nicht gleich um Leben oder Tod gehen.)
Mir fehlt in vielen Dingen oftmals ein bißchen Fingerspitzengefühl - mal ausnahmsweise nicht gerade da noch nachharken, wo es unterdessen ohnehin schon schwierig ist ... Es gibt so viele Dinge, die den Anlaß für treffsichere gute Satire geben.
Ich bin entsetzt und betrauere von ganzem Herzen was bei Charlie Hebdo geschehen ist, und ich lebe gern und interessiert mit allen friedliebenden Muslimen.
PS:
Mir ist aufgefallen, das sich das alles nicht so einfach von der Leber weg schreibt - man ist schon sehr bemüht, sich genau auszudrücken, um nicht falsch verstanden zu werden.
Danke für den Kommentar, Ri.
Ich gebe Dir vollkommen Recht: Terror ist in jedem Fall verabscheuungswürdig!
Hassen und Töten für Religion und Glaube ist fundamentalistisch. Denn Glauben heisst "nicht wissen" und somit ist auch das Pochen auf den Absolutheitsanspruch paradox.
Ich möchte aber die Verantwortung für diese islamischen Extremisten auch nicht "den Muslimen" anhängen. Ich fühle mich ja auch nicht verantwortlich für Unrecht, das von Christen oder Schweizern verübt wird.
Mein Ansatz hier, war vor allem, dass es im Moment kaum möglich ist, die Frage zu stellen, ob Satire wirklich alles darf. Sofort wird auf die Meinungs- und Pressefreiheit verwiesen, die ja unbestritten ist.
Aber genau darüber muss auch gesprochen werden. Klar, jetzt ist die Zeit der Trauer und der Empörung – das ist auch gut so. Aber danach muss unbedingt die Sinnfrage dieser rücksichtslosen Satire vertieft gestellt werden. Weil das Leid, das manchmal daraus folgt, ist unerträglich.
Gruss Re
@Dekoratz:
Ja, es ist nicht einfach, bei diesem Thema die Grautöne zu zeichnen. Schwarz oder Weiss ist einfacher zu treffen und darum wird vielleicht auch öfter so gemalt.
Ich bin genau wie Du, nicht der Meinung, man müsste in jede Wunde noch Salz streuen. Das ist auch genau das Anliegen dieses Posts.
Satire ist für mich eine intelligente, spitzzüngige, mit feinem Spott und Ironie gezeichnete Überhöhung von Meinungen. Satire soll übertreiben, aufklären und zum Denken anregen, aber nicht die niedrigsten Gefühle herausfordern.
Du hast Recht, das Fingerspitzengefühl geht in unserer Gesellschaft leider vielerorts immer mehr verloren. Einfach schade.
Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und noch einen schönen Rest des Sonntags.
Liebe Grüsse Re
Hallo
ich habe deinen Eintrag erst heute gelesen und muss bzw. möchte dir gerne zustimmmen.
Wie weit darf Satire gehen? Es hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit usw. zu tun, es ist Provokation auf höchstem Niveau die man nicht unbedingt leben muss, gerade wo alle so aufgeschaukelt sind. Selbstverständlich sind Terror, Mord und Fanatismus keine Antwort.
"War es das wert"? genau diese Frage habe ich mir auch gestellt.
LG und entspannten Wochenbeginn.
Sadie
Ob früher oder später – ich nehme Kommentare jederzeit gerne entgegen, liebe Sadie. Darum ganz herzlichen Dank für Deinen Eintrag.
Ich sehe, wir sind uns einig; auch wenn wir scheinbar in der Minderzahl sind. Denn die "Grossen" und "Wichtigen" dieser Welt reden nur von "Meinungsfreiheit über alles".
Ich bin auch dafür, aber nicht wenn sie andere verletzt, verspottet und diskriminiert. Gerade in dieser Sache, die "Glauben" und nicht "Wissen" heisst....
Ich wünsche Dir einen ganz erbaulichen Rest der Woche und dann ein hoffentlich sonniges Wochenende.
Gruss Resuand
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